Frauen schneiden schlechter in juristischen Examen ab — Ist eine denkbare Erklärung eine höhere juristische Begabung der Männer?

Nina Diercks
9 min readApr 27, 2018

Unfug!” möchte man rufen “Natürlich nicht!”Schließlich schreiben wir das Jahr 2018. Und über diese Fragestellungen sind wir doch lange hinweg. Ja, nun, das dachte, nein, hoffe ich ständig… und wurde wieder einmal eines Besseren belehrt.

Und damit ist es leider notwendig, dem Thema “strukturelle Diskriminierung” und “unbewusste Diskriminierung”, ein paar Zeilen zu widmen. Das klingt nicht sexy. Ich weiß.

Deswegen formuliere ich es jetzt mal anders: Es geht darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es nicht egal ist, wenn ein Journalist im Jahr 2018 es für denkbar hält, dass Männer einfach eine höhere (juristische) Begabung, eine größere Stressresilienz oder eine selbstbewusstere Vortragsweise haben und dies als vollkommen normalen denkbaren Erklärungsansatz neben ein Studienergebnis stellen, in dem Frauen schlechter abschneiden.

Doch von vorn und worum geht es?

Beim Scrollen durch die Timeline heute morgen stolperte ich über ich folgenden Tweet des geschätzten Malte Engeler:

Uff. What?! Nein. Dass im Podcast der FAZ so etwas gesagt wurde, vermochte ich mir nicht so recht vorstellen. Also flugs, einmal reingehört. Doch zuvor (wer den Hintergrund kennt, einfach weiterscrollen bis zur nächsten Überschrift):

Zum Hintergrund des Ganzen

In der Postcast-Folge vom 25. April 2018 geht es unter anderem um eine Studie, die sich nicht dem unterschiedlichen Abschneiden von Frauen, Männern und Menschen mit Migrationshintergrund in den juristischen Staatsexamina befasst.

Frauen schneiden in der Gesamtbetrachtung nur minimal schlechter ab. Um 0,29 Notenpunkte im 1. Staatsexamen und um 0,14 Notenpunkte im 2. Staatsexamen.

Das klingt wenig. Ist wenig. Und kann 1.000 Gründe haben, die die Studie nicht liefert, nicht liefern kann. Trotzdem förderte die Studie Ergebnisse zu Tage, die ein Großteil der Juristinnen aus eigenem Erleben an der einen oder anderen Stelle während der Ausbildung — leider — nur zu gut wieder erkennen, nämlich eine strukturelle Diskriminierung von Juristinnen in Teilen der Staatsprüfungen, genau genommen in den mündlichen Prüfungen. Wie das?

Während die schriftlichen Prüfungen anonym abgelegt werden, finden die mündlichen Prüfungen naturgemäß von Angesicht zu Angesicht statt. Die mündlichen Prüfungen sind sehr wichtig, da hier zumeist noch die Möglichkeit besteht, wichtige “Notensprünge” zu schaffen. D.h. zum Beispiel über die — für Juristen — magische Grenze von 9 Punkten zu gelangen. (Es ist eignungsdiagnostisch zwar hanebüchender Unsinn, zu glauben, dass jemand mit 9,1 Punkten ein besserer Jurist sei als mit 8,8 Punkten, aber das ist ein anderes Thema und so tickt die juristische Welt leider nun einmal leider zu Großteilen immer noch).

Die Studie ergab nun, dass Frauen

“in der mündlichen Prüfung — selbst nach Kontrolle für die durchschnittliche Vornote im schriftlichen Teil — eine signifikant geringere Wahrscheinlichkeit [haben], die nächste Notenschwelle zu erreichen als Männer. Diese Geschlechtsunterschiede sind bei den Schwellwerten 9,0 und 11,5 stärker ausgeprägt”

( Empirische Untersuchung zur Benotung in der staatlichen Pflichtfachprüfung und in der zweiten juristischen Staatsprüfung in Nordrhein-Westfalen von 2006 bis 2016 von Andreas Glöckner (FernUniversität Hagen), Emanuel Towfigh (EBS Universität Law School), und Christian Traxler (Hertie School of Governance) im Auftrag des Ministeriums der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen, S.20)

Dieses Ergebnis wurde mit der Besetzung der Prüfungskommission in Zusammenhang gesetzt, dabei ergab sich das folgende Bild:

In einer rein männlich besetzten Prüfungskommission sind diese Geschlechtsunterschiede deutlich stärker ausgeprägt. Ist mindestens eine Frau Teil der Prüfungskommission, so verschwinden die Geschlechtsunterschiede vollständig. Dieser nivellierende Effekt ist bei den Schwellwerten von 9,0 und 11,5 Punkten stärker ausgeprägt.

(o.g. Studie, S. 20)

65% der Prüfungskommissionen werden von ausschließlich von Männern besetzt, 30% der Kommissionen mit genau einer Frau, 5% von Kommissionen mit zwei und nur 0,3% vor Kommissionen mit drei Prüferinnen. (vgl. o.g. Studie, S. 20). 52% aller Examenskandidaten sind aber Frauen.

Meines Erachtens ist sehr deutlich, in welche Richtung diese Ergebnisse zeigen. In ein strukturelles Diskriminierungsproblem, vor dem (angehende) Juristinnen stehen.

Das sehen wohl auch die Verfasser der Studie an dieser Stelle so. Denn Sie empfehlen

Ein Ansatzpunkt zur Verringerung einer potenziellen Ungleichbehandlung von Prüflingen kann darin bestehen, die Prüfungskommissionen ausgeglichener bzw. repräsentativer zu besetzen. Speziell sind Frauen in Prüfungskommissionen üblicherweise unterrepräsentiert, […] Eine diversere Besetzung der Prüfungskommissionen könnte zum einen dazu beitragen, dass einer potenziellen Diskriminierung durch diese Prüfer direkt entgegengewirkt wird.

(o.g. Studie, S. 4)

Hä? Und was hat das mit einer höheren Begabung von Männern zu tun?

Das fragte ich mich ja auch und stolperte über den oben genannten Tweet und den Postcast. Doch tatsächlich tatsächlich bei Minute -40:21 heißt es, zunächst im Hinblick auf den allgemeinen Notenunterschied (mündliche Rede transkribiert):

CVL „Der Unterschied allein bedeutet nicht, dass hier irgendjemand diskriminiert wird. Man kann ja auch sagen, vielleicht haben Männer einfach eine höher juristische Begabung“

CB „Sind einfach intelligenter möchtest Du sagen“

CVL „Nein möchte ich überhaupt nicht sagen. Nö, das liegt mir wirklich fern. Aber so, ja, Intelligenz ist ja das eine, aber Begabung für bestimmte Fächer ist das andere. Ähm, hat man ja in Naturwissenschaften tendenziell auch. Aber das wäre eine denkbare Erklärung. Eine andere Erklärung wäre auch Resilenz in Stresssituationen, Examen sind belastend. Vielleicht kommen Männer damit im Schnitt besser klar. Vielleicht ist es auch so, dass Männer in der mündlichen Prüfung besser vortragen können oder so. Ich will nur sagen, man kann sich auch viele Erklärungen denken, die nichts mit Diskriminierung zu tun haben, man kann sich auch welche denken, die damit zu tun haben.“ …

CB “In der mündlichen Prüfung ist es ja ziemlich klar, dass es da eine Diskriminierung gibt…”

CVL “Mhm, nein, es ist auch nicht eindeutig, dass es eine Diskriminierung gibt, wie gesagt, es kann auch einfach sein, dass Männer besser vortragen können […] Es gibt aber einen Befund, den die stellen die Verfasser recht prominent raus […] das ist auch ein Befund, den man schwer mit rein sachlichen Erwägungen zu begründen, das ist schwer das nur auf Talent zurückzuführen. […] Wenn jemand knapp zwischen zwei Noten liegt, dann neigen die Prüfer in der mündlichen Prüfung auf die nächste Notenstufe zu heben […] aber dieser Effekt ist bei Frauen ganz offensichtlich geringer, um 2,3% und bei der Schwelle zum Vollbefriedigend sogar bei 6% […] Und dieser Effekt fällt weg, sobald eine Frau in der Prüfungskommission ist. Da wird es dann schwierig zu argumentieren, dass es an etwas anderem als einer, ja Diskriminierung hört sich immer so böse an, glaube nicht, dass irgendein männlicher Prüfer auf der Welt denkt “Ich hasse Frauen, die sollen schlechter abschneiden”. […]

Wow! Sprachlosigkeit. Fassungslosigkeit.

Ich weiß gar nicht so recht, wie ich diese Gedankengänge jetzt sortiert aufgreifen soll.

Halten wir erst einmal fest: Auch CVL erkennt, dass eine (jedenfalls unbewusste) Diskriminierung in der mündlichen Prüfung im Hinblick auf die Notensprünge stattfindet. Da ist die Studie ja auch sehr eindeutig. Da kann man ja gar nicht anders. So weit so gut.

Aber ein Journalist, seines Zeichens auch noch Jurist, d.h. durchaus mit dem notwendigen intellektuellen Rüstzeug ausgestattet, redet im Jahr 2018 davon, dass sich die übrigen (marginalen, aber vorhandenen Notenunterschiede) denkbar mit einer “höhere juristische Begabung” von Männern erklären ließen, schließlich habe man das “in Naturwissenschaften tendenziell auch”. Und es denkbar weiter damit erklärt, dass Männer per se stressresilienter seien oder besser bzw. selbstbewusster vortragen könnten.

Ernsthaft!?

Ja. Ernsthaft.

Es gibt zwar überhaupt keine wissenschaftlich-empirischen Belege dafür, dass sich bestimmte intellektuelle Begabungen geschlechterspezifisch zuweisen lassen (wurde oft versucht, klappt aber halt nicht, da es hier per se nun mal keine Unterschiede gibt), dafür um so mehr wissenschaftlich-empirische Belege dass dem eben genau nicht so ist. Hier mal eine Quelle dazu. Belege gibt es hingegen für eine Bias, but so what.(Bias meint an dieser Stelle den Fall, dass Frauen tatsächlich zuweilen schlechter z.B. in naturwissenschaftlichen Fächern abschneiden und weniger selbstbewusst vortragen, weil ihnen persönlich und vom gesamtgesellschaftlichen Umfeld eingeredet wird, sie könnten das eh nicht).

Ich habe mich übrigens auf Twitter mit dem Verfasser der obigen Zeilen auseinandergesetzt. Er behauptete mehrfach, er selbst behaupte gar nicht, dass Männer eine höhere juristischen Begabung hätten, er habe das doch nur in eine Reihe mit “denkbaren” Erklärungsansätzen gestellt.

Ich lass das jetzt einfach mal so stehen.

Und? Warum regst Du Dich so auf, dass ein Journalist so etwas in einem Podcast sagt? Ist doch egal. Versendet sich doch.

Schön wäre es. Es versendet sich eben nicht. Ein Journalist und Kollege hält es für denkbar, dass sich Notenunterschiede durch eine “höhere Begabung” von Männern erklären lassen. Und stellt dies öffentlich als normalen Erklärungsansatz hin. Ich will gar nicht wissen, wie viele Juristen still nickend diesen Podcast (oder davon) gehört haben und sich zutiefst bestätigt fühlten.

Dabei sind eben all die aufgezählten Erklärungen von CVL eben keine ”denkbaren” Erklärungen. Und dies nicht weil es ein Denkverbot dahingehend darf, ob nicht zwischen Männern oder Frauen Unterschiede bestehen könnten. Sondern weil es lange geklärt ist, dass eben hinsichtlich der intellektuellen Leistungsfähigkeit von Männern und Frauen keine (potentiellen) Leistungsunterschiede bestehen. (Oh. Himmel hilf! Das musste ich jetzt nicht 2018 schreiben. Doch. Nein. DOCH!). Auch ist es nicht so, dass Männer per se selbstbewusster vortragen können. Ich verweise auch hier auf den Bias. Und der ist — leider- sehr verbreitet. Das gilt es zu ändern. Das geschieht aber eben genau nicht, in dem man ihn weiter herbeischreibt, äh, podcastet.

Damit passiert nämlich genau nur eins, es normalisiert die weit verbreiteten Gedankengänge, dass Frauen “so was” eben “nicht so gut” könnten. Also, nimmt der Prüfer es an. Und sieht es. Sieht es aber bei dem “gleich schlechten” Mann weniger. Et voilá da sind wir bei dem, was CVL etwas ungelenk damit beschrieb, dass “Kein Prüfer Frauen hasst und Ihnen deswegen schlechte Noten gibt”. Davon abgesehen, dass auch dies sicherlich dann und wann der Fall ist, — ich erinnere mich hier nur an einen Prüfer bei meinem Prüfungsamt, der vor allem durch Sätze in den Prüfungen auffiel wie “Ihre Gedankengänge sind so klein wie Ihre Brüste!” — nennt sich das “unbewusste Diskriminierung”. Woher die kommt? Tja, das hab ich hier im kleinen gerade eben beschrieben.

Ja, es wäre schön, wenn es keine Prüfungsdiskriminierung mehr gäbe, aber die gibt es, zuhauf. Und all die vielen Schritte, die jeden Tag getan werden, um dem entgegen zu wirken, werden durch genau solche Aussagen zu nichte gemacht.

Und genau deswegen hatte ich heute, als ich das las und hörte, einen so unglaublich wütenden Ball im Bauch, wie ich es schon lange nicht mehr hatte (Nunja, frau wird auch älter und ruhiger ;-).

Als ich dieses Unverständnis auf Twitter kund tat, wurde mir übrigens vom Verfasser gesagt, ich würde “hyperventilieren”. Ich lass hierzu auch einfach mal das Nachfolgende stehen, es steckt (leider) sehr viel grundsätzliche Wahrheit drin:

https://twitter.com/Recht_Energisch/status/989839764848291841

Es gibt doch gar keine Diskriminierung mehr.

Wie, es gibt keine Diskriminierung? Stimmt. Dann muss man das “böse Wort” ja auch nicht nutzen. Und ich nehme an, dann wurden sich all diese noch nachfolgenden Geschichten wohl nur ausgedacht oder, naja, sie waren halt nicht so gemeint… wir sind auch etwas empfindlich wir Frauen. Das weiß man ja. Wäre jedenfalls eine denkbare Erklärung.

Aber nun. Viel Spaß mit den Geschichten (die gingen alle binnen weniger Minuten im Rahmen der Twitterdiskussion heute ein, es sind keine “gesammelten Werke”).

https://twitter.com/naraespapa/status/989815369874526208
https://twitter.com/Recht_Energisch/status/989814194471088129
https://twitter.com/RechtBlond/status/989819531408367616
https://twitter.com/nnkmrknz/status/989826994979377152
https://twitter.com/RAinDiercks/status/989806930502782981
https://twitter.com/RechtBlond/status/989828681005780993
https://twitter.com/MalteEngeler/status/989790964813266944
https://twitter.com/MalteEngeler/status/989846396915331073

Und leider (natürlich!) hört es auch nach der Ausbildung nicht auf.

https://twitter.com/Recht_Energisch/status/989816341455626240
https://twitter.com/RAinImRuhrpott/status/989851231794364416

Und nun?!

Und nun? 2018? Es hilft wohl nichts. Wir alle müssen immer noch für mehr Sichtbarkeit auf diesem Thema sorgen. Dafür kämpfen. Und laut werden, wenn jemand sich am liebsten das Wort Diskriminierung von der Zunge abbeißen möchte, auch wenn sie auf der Hand liegt. Und auch dann, wenn das Hyperventilation statt Engangement genannt wird. Sonst ändert sich nichts. Und auch die jungen Kolleginnen müssen sich weiter diesen Sch*** anhören (Himmel?! Wie alt bin ich?! Als ich 23 war, dachte ich, man müsste darüber wirklich nicht mehr reden. Gnarf!)

Claudia (rechtblond auf Twitter) hat den Hashtag #realitätvonJuristinnen angeregt. Ich finde, das ist eine gute Idee. Ich würde mich jedenfalls freuen, wenn das Thema mehr Sichtbarkeit bekäme.

Last but not least, ich kann hier leider keine Tweets mehr von CVL zu der Sache einfügen. Ich wurde geblockt. Tja nun.

In diesem Sinne,

irgendwann hört es auf. Bestimmt. Und dann muss ich gar nicht mehr wütend werden und sitz einfach mit einem guten Riesling im Schaukelstuhl.

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Nina Diercks

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