Öffentliches Gestalten

Politics for Tomorrow
Öffentliches Gestalten
7 min readMay 2, 2019

Rahmenbedingungen für die innovative Gestaltung öffentlicher Dienstleistungen

Verfasst von Caroline Paulick-Thiel für die Publikation
Reine Formsache — Innovation im Öffentlichen Sektor” (Januar 2019)

Der Sommer in Europa war trocken. 2018 war zugleich das Jahr mit den bisher höchsten CO2 Emissionen seit Beginn der Messungen (Global Carbon Budget). Das Thema stand im Mittelpunkt der COP24 in Katowice während in Frankreich Bürger:innen wütend ihren Unmut über Benzinpreiserhöhungen gegenüber ihrer Regierung kundtun.

Gleichzeitig mit Beginn der Streikaktionen eröffnete in Paris die Woche der „Öffentlichen Innovation“. Ausgewählte Innovationsagent:innen fanden sich zur jährlichen Konferenz des Observatory for Public Sector Innovation der OECD ein. Unter dem Titel „Innovation in Government — Steps, Leaps and Bounds“ wurden Best-Practices gezeigt, ein Toolkit Navigator eingeführt und ein Innovationsfacetten-Modell beworben. Als aber der Entwurf für eine Deklaration „Innovationen im Öffentlichen Sektor“ präsentiert und im Panel diskutiert wurde, war der Saal leider nur noch halbvoll und für die Debatte mit dem Publikum keine Zeit.

Abb.: OPSI, OECD 2018

Wenige Wochen vorher lud das Legal Design Lab an der d.school in Stanford zum ersten Prototyping Policy Summit ein. Die Eröffnungsworte waren erwartungsvoll und mutig. Man wolle „how government works“ verändern, in dem das Experimentieren, Ausprobieren und Validieren von Annahmen im Kontext der Gestaltung von Richtlinien oder Gesetzen gefördert wird. Das Publikum war ansprechend bunt, die Stimmung energetisch. Leider war nicht klar, was mit den Workshopergebnissen, an denen internationale Expert:innen mehrere Stunden gearbeitet hatten, nach der Veranstaltung passiert.

Foto: Paulick-Thiel, 2018

Dabei könnten diese gemeinsamen Stunden intrinsisch motivierter Veränderungsagent:innen Gold wert sein! Die meisten Prozessbegleiter:innen haben gute Argumente, warum sich ein Experimentieren, Testen und Ko-kreieren lohnt. Es ist wirtschaftlich, erhöht die Akzeptanz von Produkten oder auch Entscheidungen und bringt Neues. Aber wirklich transparent und konsequent ist es in Politik und Verwaltung — und auch im Design selten. Oft wird versucht einen Prozess anzustoßen, ohne dass es eine Leitfrage, Offenheit oder politischen Willen gibt.

Vieles von dem, was Innovationseinheiten über strategische Prozessgestaltung, Verhaltensökonomien oder gelungene Stakeholder Kommunikation in Jahrzehnten validiert erarbeitet haben, scheint die aktuelle Politikgestaltung der CO2 Besteuerung, Handelsabkommen oder Datenökonomie bisher kaum zu erreichen.

Wurde in den letzten Jahren zu viel bewegt? Laut Jargon der Transformationsforschung (Geels und Schot 2007), hat sich ein Trend etabliert, der verschiedenste Gestaltungsansätze in das sozio-technologische Regime des öffentlichen Sektor trägt. Dazu haben die langjährigen Bestrebungen der Wissenschaft maßgeblich beigetragen. Transdisziplinäre Forschungsansätze fördern eine Öffnung der Wissensgenese, indem gesellschaftliche Fragestellungen auch mit der Gesellschaft konstituiert und beantwortet werden. Unterschiedliche Annahmen und Perspektiven werden in den Erkenntnisprozess einbezogen, um das neu gewonnene Wissen in gesellschaftlichen Transformationsprozessen anwendbar und handhabbar zu machen.

Abb.: Jahn et al, 2012, modified by Bergmann

Für das Wissenschaftssystem hat dies umfangreiche Auswirkungen. Bestehende Anreizstrukturen wie die Definition von Exzellenz durch Fachpublikationen von Einzelpersonen fördern keine Kooperation zwischen unkonventionellen Partner:innen. Ein Systemwandel steht an, der entsprechende Arbeitskulturen und Förderstrukturen benötigt — ohne politische Unterstützung geht es hier kaum voran.

Im Bereich der Politikgestaltung wird seit Langem für ein offeneres Regierungs- und Verwaltungshandeln plädiert. Im Open Government Partnership steht speziell die Zusammenarbeit von Regierung und Zivilgesellschaft im Fokus. Das ist neu, denn bisher wurden die Türen oft nur Richtung Wirtschaft geöffnet. Unterschiedlichste Labor- oder Innovationseinheiten im öffentlichen Sektor binden Expert:innen und Bürger:innen ein, um komplexe Fragestellungen besser zu verstehen, innovative Lösungen zu entwickeln und diese auch zu evaluieren. Designansätze und -methoden spielen dabei eine zentrale Rolle — nicht nur für das explorative Entwerfen, sondern auch für das Übersetzen und zugänglich machen fachspezifischer Wissensbestände.

Abb.: UK Policy Lab, modified by Paulick-Thiel, 2018

Viele Mitarbeitende in öffentlichen Institutionen haben mittlerweile von Design Thinking, Service Design, Legal Design oder Policy Design entweder gehört, sind methodisch weitergebildet oder wenden es in Projekten an. In Deutschland ist unser Politics for Tomorrow Team daran beteiligt, Design Kompetenzen im öffentlichen Sektor zu etablieren. Dabei legen wir Wert auf die Unterscheidung von User und Human Centered Design. Bürger:innen oder Mitarbeitende des öffentlichen Sektors sind nicht nur Nutzer:innen von Dienstleistungen oder Produkten, sondern Menschen mit oder ohne Bürgerstatus die sich basierend auf ihren Rechten an Prozessen beteiligen, bei denen das Gemeinwohl im Fokus steht.

Die Verbindung von Design und Politikgestaltung schien vor wenigen Jahren noch absurd und stößt mittlerweile auf großes Interesse — nicht zuletzt, weil die Komplexität der Veränderungsprozesse und damit die Notwendigkeit mit Unsicherheiten umzugehen, zugenommen hat.

Damit steigt die Verantwortung für Designer:innen, die sich im öffentlichen Sektor engagieren. Ähnlich wie bei der Transformation des Energiesektors geht es hier um systemische Veränderungen, die einer partizipativen Folgenabschätzung[1] bedürfen. Zudem braucht es mehr Bewusstsein, dass öffentliches Gestalten Konsequenzen für das alltägliche Leben vieler Menschen hat.

Das Öffentliche bringt Besonderheiten mit sich. Es ist eine Sphäre, die zwischen Staat und Gesellschaft nicht per se existiert, sondern erarbeitet und kultiviert wurde. Staat und Gesellschaft haben gleichermaßen mit Silos zu kämpfen, die sich stellenweise nur durch große Anstrengungen in einen Austausch begeben. Im Gegensatz zum Privatem ist das Öffentliche ein virtueller oder physischer Raum, der immer wieder aufs Neue konstituiert wird.

Die Relationen zwischen staatlichen Institutionen (polity), gesellschaftlich relevanten Politikinhalten (policy) und verhandelnden Prozessen (politics) sind hierfür von besonderer Bedeutung. Politik basiert auf aktiver Bürgerschaft, auf dem Wert und der Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements und der kollektiven Überlegung (deliberation) aller Angelegenheiten, die die politische Gemeinschaft betreffen (Ahrendt 1958).

Abb.: Paulick-Thiel, 2018
Abb.: Paulick-Thiel, 2019

Designer:innen können in diesem Kontext Brücken bauen und der Deliberation neue Horizonte eröffnen: Kreativ kann Existierendes überdacht, Annahmen hinterfragt und Neues getan werden. Denn an Debatten oder relevantem Lösungswissen fehlt es nicht. Viel Gutes wurde gedacht, gesagt und validiert — aber nicht umgesetzt. Am Geld scheint es nicht zu liegen, eher steht die Art und Weise wie mit Komplexitäten und personellen Kapazitäten umgegangen wird, einem wirkungsvolleren Arbeiten innerhalb der öffentlichen Verwaltung im Weg (siehe Fuck Up Night Creative Bureaucracy Festival).

Innovationen im öffentlichen Sektor sind oft eng mit der Gestaltung gesellschaftlicher Transformationsprozesse verbunden, bei denen nicht nur der Bedarf von Nutzergruppen erhoben, sondern auch politische Interessen erkannt und Stabilisierungs- bzw. Rückbauprozesse (Exnovationen) mitgedacht werden müssen. Deshalb braucht es integrierte Innovationsansätze, die ein Vorsorgeprinzip stärken und nicht aushöhlen.

Für ein zweckmäßiges öffentliches Gestalten ist es ausschlaggebend, dass Designprojekte auf öffentliche Werte einzahlen und keiner einfachen Verwertungslogik folgen. Von der unmittelbaren Übernahme von Konzepten aus der Privatwirtschaft ist deshalb abzuraten. Die Gestaltung von Dienstleistungen zur Umsetzung politischer Beschlüsse muss auf demokratischen und menschenrechtlichen Grundprinzipien basieren und die jeweils nächste Designordnung (Buchanan 2001) bzw. den Zusammenhang zwischen verschiedenen Gestaltungsebenen (Schrift, Produkt, Service, Organisation, System) mitdenken.

Vorausschauende Designarbeit im öffentlichen Sektor ist der Beteiligung verschiedener Interessengruppen auf unterschiedlichen Ebenen verpflichtet, um die zukunftsweisenden Pfadentwicklungen nicht nur dem Austausch von Politik, Wirtschaft und ggf. Wissenschaft zu überlassen.

Abb.: Bruns/Arnstein, modified by Paulick-Thiel, 2018

Öffentliche Gestaltungskompetenzen sind von Politik- und Wirtschaftswissenschaft, Verwaltungslehre, Legistik, Organisationsentwicklung und Psychologie gerahmt. Kooperationen zwischen zukünftigen und tradierten Personalprofilen der politischen Verwaltung wie Designer:innen, Jurist:innen, Ökonom:innen und Programmier:innen, sollten daher Teil der Aus- und Weiterbildung aller öffentlichen Gestalter:innen sein, um den umfangreichen Anforderungen gerecht zu werden (Junginger 2016).

Um den Möglichkeiten und Konsequenzen einer sich stetig erwärmenden Welt mutig, kreativ und verantwortungsvoll zu begegnen, müssen Egos zurückgestellt und das gemeinsame Entdecken für einen zukunftsfähigen Staat gefördert werden. Nur über Silos und Blasen hinweg können einerseits Bewusstsein und andererseits neue Realitäten geschaffen werden, um die Gestaltung von Interaktionen zwischen Bürgerschaft und Staat zu gelebter Demokratie werden zu lassen. Anstatt uns gegenseitig von einer Zukunft, die wir uns wünschen abzuhalten, können wir den Gestaltungsspielraum der nächsten Jahre ko-kreativ und politisch nutzen — wenn wir es wollen.

Literatur:

Arendt, H. (1958). The human condition. Chicago: University of Chicago Press.

Buchanan, R. (2001 ). Design research and the new learning. Design Issues, 17 (4 ), 3 -23.

Geels, F.W. und Schot, J. (2007): Typology of sociotechnical transition pathways. Research Policy, 36: 399–417

Junginger, S. (2016). Transforming Public Services by Design: Reorienting Policies, Organizations and Services around People. 1st Edition, Routledge

[1] Hierbei plädiere ich für eine erweitertete Technikfolgenabschätzung, in der wissenschaftliche und technische Entwicklungen in Bezug auf systemische Zusammenhänge und Technikfolgen erforscht, Wissen und Bewertungen erarbeitet und Handlungs- und Gestaltungsoptionen entworfen werden. „Wesentliche Ziele sind die Beratung der Forschungs- und Technikpolitik, die Bereitstellung von Orientierungswissen zur Gestaltung sozio-technischer Systeme sowie die Durchführung diskursiver Verfahren zu offenen oder kontroversen technologiepolitischen Fragen.“ ITAS

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Politics for Tomorrow is a non-partisan initiative fostering democratic innovation with and for the public sector based on human-centered learning formats.