Mehr Bürgernähe mit Design!

Die strategische Stärkung der Bürgerorientierung einer Stadtverwaltung

Juliane Fuchs
Öffentliches Gestalten
7 min readOct 1, 2019

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Das Rathaus im Stühlinger, Freiburg (Bild: ingenhoven architects / HGEsch)

Deutsche Verwaltung — innovativer als ihr Ruf?!

In der deutschen Verwaltung herrscht Aufbruchstimmung: es findet mehr Bürgerorientierung statt, die Services werden nutzerzentrierter, es werden neue Einheiten geschaffen und neue Arbeitsmethoden eingeführt. Das zeigt auch ein Blick in die Stadtverwaltung Freiburg: Das Amt für Digitalisierung und IT („DIGIT“) ist hier ein innovatives Vorzeigebeispiel, wie deren diesjährige Auszeichnung mit dem Preis für gute Verwaltung zeigt.

Während meines 3-monatigen Praktikums als Service Designerin im DIGIT stand die Erarbeitung von bürgerorientierten Maßnahmen und die Entwicklung von Strategien zur Verbesserung der Kundenzufriedenheit im Fokus.

In diesem Bericht gebe ich einen Einblick in die Arbeit der Stadtverwaltung und einen Ausblick mit Empfehlungen für die Zukunft.

Citizen Journey: In den Schuhen der Bürger*innen

Meine Aufgabe war es, die „Citizen Journey“ zu untersuchen und Potenziale für eine Verbesserung der Kundenzufriedenheit im Bürgerservice-Center aufzuzeigen.

Als “User Journey”, oder im Verwaltungskontext “Citizen Journey”, bezeichnet man alle Phasen, welche die Nutzer*innen einer Dienstleistung durchlaufen. Die Berührungspunkte zwischen Kund*innen und Dienstleister werden “Touchpoints” genannt.

Zunächst machte ich mich im Zuge einer breit angelegten Recherche mit den Arbeitsabläufen im Bürgerservice-Center vertraut, um auftretende Probleme in der “Citizen Journey” identifizieren zu können.

Neben einer klassischen Schreibtischrecherche unternahm ich auch sogenannte “Service Safaris”. Ich begab mich selbst in die Situation des Bürgers und testete verschiedene Dienstleistungen der Stadt: Einen Behördengang mit und einen ohne Terminvereinbarung, einen Termin im Rentenbüro und einen Anruf beim Telefon-Service-Center. So verbrachte ich beispielsweise auch mehr als eine Stunde wartend auf dem Amt — selten war der Service-Design-Begriff “Painpoint” so treffend wie hier!

Weiterhin beobachtete ich den täglichen Ablauf im Bürgerservice-Center: Finden die Kund*innen ihren Weg vom Eingang zum Schalter? Verstehen sie das Aufrufsystem im Wartebereich? Hier konnte ich beispielsweise beobachten, dass die sogenannten “Ordner” von entscheidender Bedeutung sind: Städtische Mitarbeiter, welche die Kund*innen am Eingang in Empfang nehmen, nach dem Anliegen fragen, und sie an die entsprechenden Stellen verweisen. Sobald die Ordner sich in der Pause befanden oder Feierabend hatten, brach ein ziemliches Chaos aus: Die Kund*innen konnten sich aufgrund der mangelnden Gebäudebeschilderung nicht orientieren, sie wussten nicht, wo sie sich anstellen sollten, oder drängelten sich vor und störten laufende Gespräche zwischen Verwaltungsmitarbeiter*innen und Bürger*innen.

All diese Beobachtungen und Erkenntnisse gaben mir einen guten Überblick über die Kontaktpunkte zwischen den Bürger*innen und der Stadtverwaltung.

Hier befinde ich mich im Gespräch mit einem Bürger, wir testen gerade einen Chatbot-Prototypen.

Zentraler Bestandteil der Recherche waren die zahlreichen Interviews mit Mitarbeiter*innen und Kund*innen, unter anderem sprach ich mit einer Studentin, die eine besonders schmerzvolle und komplizierte Customer Journey hinter sich hatte:

Clara, eine Studentin Mitte 20, musste im alten Freiburger Rathaus oft ewig warten, deswegen möchte sie nun einen Termin vorab online vereinbaren. Die Website sieht aber veraltet aus und ist schwer zu bedienen, bei dem langwierigen Buchungsprozess wird sie leicht aggressiv.

Vor Ort ist der Eingang des Rathauses nicht gut zu finden und schlecht beschildert. Etwas genervt betritt sie das Gebäude, wo sie sehr freundlich von einem Ordner empfangen wird, der sie auf den Wartebereich verweist. Clara ist froh, dass es den Ordner gibt — würde sich aber auch eine bessere Beschilderung wünschen, falls sie mal nicht mit einem Menschen reden möchte oder der Ordner gerade beschäftigt wäre.

Im Wartebereich sucht Clara nach der Mail mit der Wartenummer. Mit Schrecken stellt sie fest, dass ihr Termin verfallen ist, weil sie nicht innerhalb von zwölf Stunden auf den Bestätigungslink in der E-Mail geklickt hat. Wütend geht sie zur Information und bekommt eine neue Wartemarke. Das Warten selbst empfindet Clara als anstrengend, da sie das Gefühl hat, ständig aufpassen zu müssen und sich auf nichts anderes konzentrieren zu können. Da sie die Reihenfolge missversteht, verfällt auch Claras zweiter Termin. Bis sie schließlich an der Reihe ist, vergeht eine ganze Stunde.

Eine Übersicht der Customer Journey — Claras positiven (grün) und negativen (rot) Erfahrungen sind farblich gekennzeichnet.

Handlungsempfehlungen

Aus der umfangreichen Recherche und User Journey, ergeben sich drei wesentliche Handlungsempfehlungen für die Bürgerorientierung in der Freiburger Stadtverwaltung:

Bürger*innen mehr einbeziehen!

Es ist an vielen Stellen erkennbar, dass die meisten Services nicht aus Bürger- sondern aus Verwaltungssicht konzipiert sind. Ein Beispiel hierfür ist das Warte- und Aufrufsystem im Bürgerservice: die komplexe Kompetenzverteilung erfordert unterschiedliche Wartekreise, es gilt nicht “first come first serve”. Für die Verwaltung funktioniert das System bestens, doch für die Bürger*innen ist es sehr intransparent und nervig: viele Bürger*innen verstehen nicht, wieso sie deutlich länger warten müssen als andere, obwohl sie früher vor Ort waren. Das Wartesystem wird auch nicht ausreichend erklärt, für viele Wartenden bleibt es ein Mysterium.

Teams abteilungsübergreifend zusammensetzen!

Momentan sind Teams und Arbeitsgruppen innerhalb der Stadtverwaltung meist nach Ämtern und nicht so sehr nach Themenbereichen unterteilt. Daraus resultiert, dass sich viele Brüche in der Customer Journey ergeben, da die einzelnen “Touchpoints” in der Verantwortung unterschiedlicher Ämter und Arbeitsgruppen liegen. Hier bestünde die Möglichkeit, ein “Touchpoint-Team” einzusetzen, welches die jeweiligen Services der einzelnen Ämter koordiniert und den Bürger*innen anschließend in einheitlicher und stimmiger Form präsentiert.

Feedback weitergeben und nutzen!

Der Feedback-Loop

Die meisten städtischen Mitarbeiter*innen arbeiten “hinter den Kulissen” und haben keinen direkten Kundenkontakt. Daher werden lediglich die Mitarbeiter*innen des Bürgerservices mit Kundenfeedback konfrontiert. Teilweise wird dieses Feedback weitergeleitet, oft genug ist dies jedoch nicht der Fall. Hier sollte ein Feedback-Loop etabliert werden: Das Nutzerfeedback wird gefiltert, kategorisiert und anschließend an die entsprechenden Stellen weitergeleitet. Dies bietet nicht nur Potenzial für Service-Verbesserungen bei konstruktiver Kritik, sondern kann auch die Motivation der Mitarbeiter*innen durch positive Rückmeldungen erhöhen.

“Ordner*innen” beibehalten!

Die sog. “Ordner*innen” sind ein sehr eindrucksvolles Beispiel dafür, dass trivial erscheinende Dinge immens wichtig sein können. Die Ordner*innen stellen eine allseits anerkannte und geschätzte Bereicherung des Services dar, während im Falle ihrer Abwesenheit ziemliches Chaos im Wartebereich des Rathauses herrscht. Es handelt sich hier um städtische Mitarbeiter*innen kurz vor dem Renteneintritt, die anderweitig nicht mehr eingesetzt werden können. Ihnen kommt nun eine sehr entscheidende Rolle zu, deswegen ist es wichtig, dass diese Stellen auch in Zukunft Bestand haben.

Digitale Servicestandards anwenden!

Der britische GDS (Government Digital Services) hat bereits im Jahre 2014 Standards für digitale Services formuliert. Auch der deutsche Normenkontrollrat hat mittlerweile einen “digitalen Servicestandard für Deutschland” entwickelt. In Anlehnung an diese beiden Vorbilder und auf Anregung des Amtsleiters entwickelte ich nun gemeinsam mit einer Kollegin aus der IT-Abteilung die “Checkliste für Online-Services”, die den städtischen Mitarbeitern*innen als Werkzeug dienen soll, um die Gewährleistung der Nutzerzentrierung in jeder Entwicklungsphase sicherstellen zu können. Vorab müssen auch stets gewisse Rahmenbedingungen beachtet werden: Beispielsweise die Einhaltung der Rechtssicherheit sowie die Themen Transparenz, Datenschutz und Standardisierung.

Ausblick und Lessons learned

Designer sollten als Inhouse Consultants (interne Berater) arbeiten

Viele der identifizierten Probleme waren bereits bekannt und hatten in der Vergangenheit schon für diverse Grabenkämpfe gesorgt. Bedingt durch die Tatsache, dass ich als Designerin extern und somit objektiv(er) war, ließen sich die beteiligten Parteien jedoch eher auf meine Erkenntnisse ein. Gleichzeitig war es ein großer Vorteil, permanent persönlich anwesend zu sein und damit am Arbeitsalltag der Kolleg*innen teilhaben zu können — dadurch bekam ich wertvolle Einblicke in die Arbeitsweisen und Routinen vor Ort.

Best Practices lassen Veränderungen greifbar erscheinen

Positive Beispiele aus anderen Städten machen Veränderungsvorschläge sehr greifbar und realistisch. Die Freiburger Online-Redaktion hatte beispielsweise beim Thema Website etwas resigniert, da es unmöglich erscheint, den extrem komplexen Webauftritt einer Großstadt mit über 6.000 Unterseiten ansprechend und übersichtlich zu gestalten. Es gibt aber durchaus positive Beispiele anderer Städte in einzelnen Teilbereichen (Struktur, Grafik, Feedback, Navigation), welche nun so teilweise von der Online-Redaktion umgesetzt werden.

Nutzerzentrierung, klar — doch wer ist eigentlich der Nutzer?

“Nutzerzentrierung” ist an sich nichts Neues, wichtig ist jedoch zu definieren, wer diese “Nutzer” eigentlich sind — und das sind nicht nur die Bürger*innen, sondern auch die Mitarbeiter*innen. Reine “Bürgerzentrierung” ist daher nicht genug: wenn die Mitarbeiter*innen nicht mit einbezogen werden und dadurch unzufrieden sind, kann die Lösung nicht optimal sein, da unzufriedene Mitarbeiter*innen auch für unzufriedene Kund*innen sorgen werden.

Ein gutes Beispiel hierfür ist das neue Freiburger Rathaus: nahezu alle Bürger*innen sind sehr zufrieden mit dem Neubau, das Gebäude wirkt offen und modern. Die Mitarbeiter*innen, welche nicht nur ein paar Minuten, sondern 40 Wochenstunden in dem Bau verbringen, sehen dies allerdings anders: Es zieht im Winter, es ist oft zu laut und die Beleuchtung ist teilweise unvorteilhaft. Hierauf wurde bei der Planung keine Rücksicht genommen, die Mitarbeiter*innen wurden nur unzureichend in den Planungsprozess involviert — dies führt nun zu einer merklichen Unzufriedenheit und Demotivation der Mitarbeiter*innen.

Juliane Fuchs studiert Produktdesign an der HfG Karlsruhe und der Aalto Universität Helsinki mit dem Fokus auf Service- und Strategiedesign. Sie war als Praktikantin im Bereich Service Design bei der Stadtverwaltung Freiburg tätig. Aktuell kooperiert Juliane Fuchs für ihre Diplomarbeit mit der Stadtverwaltung Karlsruhe.

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Juliane Fuchs
Öffentliches Gestalten

public service design, governance innovation, little bit of everything.