Das ganze Schwein per Mausklick

Auf dem Biohof der Familie Freiler in der Buckligen Welt leben Mensch, Kuh und Schwein im Gleichklang. Das heißt: Geschlachtet wird erst, sobald alle Teile eines Tieres online verkauft sind. So wird der Wert des Nutztiers ebenso erhalten wie der Fortbestand einer langen Bauernhoftradition.

110% Magazin
5 min readOct 29, 2018

Text: Julia Pollak

Foto: Marko Mestrovic

Es ist ein Muhen, das ins Herz geht. Wenn Christoph Freiler am Nachmittag die Tore zum Kuhstall öffnet, eilen die Rufe seinen Rinder weithin hörbar voraus. Richtung Wiesen und Weiden, auf denen sie sich gleich den Bauch vollschlagen werden. Den Weg dorthin finden sie völlig alleine, freilaufendes Geflügel oder das laute Grunzen der Schweine bringen sie keineswegs aus der Spur. Ob die großen Vierbeiner nicht davonlaufen? „Weit würden sie nicht kommen“, schmunzelt der Bauer. In der Regel kehren sie noch vor Einbruch der Dunkelheit zurück zum schützenden Hof. Die Muttertiere säugen dann ihre Jungen. Alle wirken zufrieden. Und irgendwie hat man das Gefühl, dass es gut ist, genau so, wie es ist.

Es waren die Großeltern von Christoph Freiler, die als kleine Selbstversorger den „Peinthor“-Hof mit fünf Kühen in den 50er- Jahren übernommen haben. Damals gab es noch kein fließendes Wasser. Alles musste per Hand erledigt werden. Die 20 bis 30 Liter Milch pro Tag bescherten ein ausreichendes Einkommen. Doch heute, zwei Generationen später, wäre diese Form der Landwirtschaft undenkbar. „Wir produzieren jetzt rund 500 Liter Milch pro Tag“, erklärt der 35-Jährige. Das sei zwar gut, aber für den Vollerwerb als Bauer alles andere als ausreichend.

NEUE WEGE. NEUES BEWUSSTSEIN.

Den Kopf in den Sand zu stecken, war für den engagierten Landwirt aber keine Option. Den Generationenvertrag fortführen und seinen Betrieb zukunftsfit zu machen, so lautete sein erklärtes Ziel. Ein ambitioniertes Unterfangen, wie die Statistik zeigt: Seit 1995 ist die Zahl der Bauern österreichweit um ein Drittel gesunken. Das bedeutet, dass aktuell nur noch rund 160.000 Landwirtschaften im ganzen Land funktionieren. Was also tun? Freiler begab sich auf Recherche, und eines Tages stieß er auf die Onlineplattform „Nahgenuss“ (www.nahgenuss.at), ein von zwei Grazern ins Leben gerufenes Internetportal, das den landwirtschaftlichen Qualitätsbetrieben neue Verkaufsmöglichkeiten bietet. Darauf werden Produkte unterschiedlicher Produzenten aus ganz Österreich einer breiten Zielgruppe angeboten. Das Prinzip ist einfach und für den Peinthor-Hof eine optimale Ergänzung. Vor allem, was die Schweinehaltung und -verarbeitung betrifft, öffnete es dem findigen Farmer neue Möglichkeiten: Wer bei ihm heute Schweinefleisch kauft, kann dies bequem per Mausklick tun. Doch geschlachtet wird erst, sobald jeder Teil des Tieres online bestellt wurde. Das System funktioniert. Alle zwei Wochen wird bei Freilers geschlachtet. Im Wissen, dass wirklich alles vom Tier verwertet wird. Und selbst dieser letzte Akt erfolgt so stressbefreit wie irgend möglich: Christoph Freiler begleitet seine Tiere persönlich zum Fleischhauer in die nächste Ortschaft, Lastwagen-Massentransporte sind für ihn ein No-Go. Eine Selbstverständlichkeit, sagt er, das würde weder mit seiner Einstufung als Bio-Betrieb konform gehen noch mit der Lebenseinstellung seiner Familie. Diese ist übrigens von stattlicher Größe: Vier Generationen leben unter einem Dach, das gelebte Credo lautet: „Mit Herz und Hirn.“

Foto: Marko Mestrovic

Falls trotz dieses nachhaltigen Vorgehens manche Stücke übrig bleiben, werden sie natürlich nicht entsorgt, sondern einfach selbst verwendet. Oder von einem Gasthaus aus der Ortschaft abgenommen. „Aber das passiert selten, denn selbst die Innereien gehen eigentlich immer weg“, so Christoph. Ein Modell, das abseits des Geschäftlichen auch das Bewusstsein der KonsumentInnen fördern soll. Schließlich bekommen KäuferInnen in Supermärkten die „exotischeren“ Teile des Tieres gar nicht mehr zu Gesicht. Jene Fleischstücke, die in Europa nicht in Massen verwendet werden, enden üblicherweise im Export. Eine Entwicklung, die Freiler erschüttert. Umso mehr will er als junger Landwirt seiner Verantwortung als Nahversorger nach- kommen: „Es ist wichtig, dass den Menschen wieder bewusst wird, dass ein Tier nicht nur aus Schnitzel und Kotelett besteht“, mahnt er. „Der Schopf zum Beispiel ist marmoriert und saftig“, schwärmt der Bauer. Auch die Zunge, fein aufgeschnitten, sei „urgut“. Inzwischen gibt es viele KundInnen, die sich ihre Bestellung nicht mehr schicken lassen, sondern im Zuge der Selbstabholung ansehen, wie und wo die Tiere leben. Das sei nicht nur interessant, sondern auch die beste Qualitätskontrolle, die man als Fleischfan haben kann. Außerdem ist allein schon die Lage des Peinthor-Hofs für den Gast die reinste Augenweide: Eine Stunde von Wien entfernt liegt das Gehöft auf einem der zahlreichen Hügel der Buckligen Welt. Die Aussicht — gewaltig. Auf der einen Seite die Ausläufer der Alpen mit Schneeberg und Wechsel, auf der anderen reicht der Blick bis zu den sanften Erhebungen hinter der nahen Ortschaft Krumbach.

Foto: Marko Mestrovic

GUTES LEBEN. GUTES STERBEN.

Damit auf unseren Tellern überhaupt derart hochwertiges Fleisch landen kann, müssen die Tiere also einfach ein schönes Leben haben. Das ist Christoph Freiler wichtiger als alles andere. In den rund sieben bis acht Monaten ihres Lebens will er einfach gut zu seinen Schweinen sein. Jedes Tier sieht täglich das Tageslicht, hat Auslauf und kann sich frei bewegen. Und seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen: sich ausgiebig im Schlamm suhlen. Gefüttert wird ausschließlich hofeigenes Getreide wie Gerste, Weizen, Roggen, Hafer, Gras- und Mais-Silage. Kleiner Vergleich: Ein konventionell gehaltenes Schwein lebt maximal fünf Monate und muss diese Zeit meist in engen Boxen und bei künstlichem Licht zubringen. Als Bio-Bauer kann Christoph Freiler mit solchen Methoden naturgemäß nichts anfangen. Eines ist jedoch auch klar: Durch die artgerechte Haltung und Ernährung der Tiere verdoppelt sich der Preis für das Fleisch beinahe. Die Entscheidung liegt also am Ende bei den VerbraucherInnen. Doch wer einmal von derart fairem Fleisch gekostet hat, wird feststellen: Der Unterschied zwischen Bio- und konventioneller Landwirtschaft ist wie Tag und Nacht.

MIT RHYTHMUS. MIT FAMILIE.

Tag und Nacht prägen übrigens trotz Internet und Online-Bestellung auf dem Bauernhof bis heute das Leben: Der Tag beginnt, noch bevor die Sonne aufgeht. Die Tiere wollen gefüttert, die Kühe gemolken werden. Danach gibt es Frühstück für die Familie. Neben den Kühen und Schweinen leben noch Hühner, Hunde, Puten, Katzen, Schafe, Enten, seit Neuestem auch Fische mit der Familie. Und sobald die Kinder in der Schule sind, beginnen die anstehenden Arbeiten auf dem Hof. Bis zum Mittagessen, das meist die „Urlioma“ zubereitet, ist dann noch genug Zeit, um alle Tätigkeiten auf dem Hof zu erledigen. Und am Nachmittag steht dann Christoph wieder vor den Toren des Stalls und lässt seine Kühe dorthin, wo es ihnen gut geht: in die Freiheit.

Foto: Marko Mestrovic

Familie Freiler
Vollerwerbsbauern

Christoph Freiler mit seiner Frau Cornelia und den Kindern. Produkte können bequem von zu Hause aus über eine Vermarktungsplattform bestellt werden: www.nahgenuss.at

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