Dem Himmel so nah

Unendliche Räume. Sphärische Farben. Spürbare Schwerelosigkeit. Der amerikanische Lichtkünstler James Turrell
entführt uns mit seinen effektvollen Werken in andere Welten.

110% Magazin
4 min readMar 4, 2019

Text: Alexander Kern

Foto: Florian Holzherr

Es mag ihm ein ordentlicher Hang zum Größenwahn innewohnen. Aber offenbar besitzt er immerhin noch die Gabe, künstlerisches Genie zu erkennen. Zumal es ausnahmsweise einmal nicht sein eigenes ist,
sondern das eines anderen Künstlers. „Das hat mein Leben verändert“, schilderte der Rap-Superstar Kanye West auf Twitter seine Erfahrung, als er vor Kurzem des Vulkankraters von Lichtkünstler James Turrell
in Arizona ansichtig wurde. In das Innere seines Hauptwerks gräbt Turrell seit 1979 eine Vielzahl von Tunneln und Räumen, durch die hindurch man besonders eindrucksvolle Ansichten und Phänomene des Wüstenhimmels wahrnehmen kann. Das geht ins Geld. Und damit die prophezeite
Eröffnung für 2024 gehalten werden kann, spendete Kunstfreund Kanye jüngst satte zehn Millionen Dollar. Es werde Licht!

Licht wurde es auch in Lech. Dank James Turrell, der nicht nur für Chartstürmer als einer der wichtigsten Künstler der Gegenwart gilt und von Barack Obama 2014 mit der National Medal of Arts geehrt wurde, der bedeutendsten staatlichen Kunstauszeichnungen der USA. Turrell zeigte sich von der hochalpinen Kulisse am Arlberg begeistert. Und schuf am Standort Tanegg in Oberlech einen seiner berühmten Skyspaces, der vergangenen September eröffnet wurde. Zu Fuß wandert man den Weg zu einem kleinen Hügel auf 1789 Meter den Berg hinauf. Dann betritt man das weitgehend unterirdisch angelegte Bauwerk durch einen 15 Meter langen Tunnel. Auf einer ringsum laufenden Granitbank nimmt man Platz. Die bewegliche, ovale Kuppel an der Decke öffnet sich und ermöglicht den Blick in den freien Himmel. Zusammen mit der bunten Lichtinstallation Turrells eröffnet sich dem Betrachter nun besonders bei Sonnenauf- und Sonnenuntergang ein faszienierendes Wechselspiel der Farben. Raum, Licht und Zeit verschwimmen vor den Augen und man fühlt sich, als würde man zu schweben beginnen und selbst Teil des Himmels werden. Wahrnehmung zu verschieben und das Sehen neu zu erlernen, das ist, was Turrell mit seinem Kunstwerk erreichen will. „Wir sind uns nicht bewusst, dass wir selbst dem Himmel seine Farbe geben“, sagt er. „Wir denken, dass alles vorgegeben ist, aber wir haben doch aktiv Teil daran, die Realität in der wir leben, zu erschaffen.“ Ein Schauspiel, das bei schlechtem Wetter in Lech übrigens auch bei geschlossener Kuppel und anderer LED-Farbabfolge genossen werden kann und dann einen von Turrells sogenannten Ganzfeldräumen ergibt.

Solche sind in der Ausstellung „Aural“ noch bis September dieses Jahres auch im Jüdischen Museum in Berlin zu bestaunen. Bei diesen begehbaren Installationen spielt Turrell ebenfalls mit unserer Wahrneh-
mung. In den von ihm erschaffenen Räumen sind die Lichtquellen nicht auszumachen, dadurch übernehmen beim involvierten Betrachter die Sinne. In den geweiteten Räumen breitet sich die Illusion von Unendlichkeit aus, in die man bereitwillig eintaucht. Traumähnliche Eindrücke werden
hergestellt, und das Auge nimmt plötzlich Nebel wahr oder weitläufige Schneefelder. Durchdrungen von Farbe bleibt die echte Welt irgendwo anders zurück, und zur Silhouette geworden treibt man orientierungslos dahin. Kein Wunder, dass BesucherInnen von Turrells sakralen Farbatmosphären
von religiösen Erfahrungen schwärmen. Ein Kunstkritiker berichtete davon, bei Arbeiten des Amerikaners aus den Neunzigerjahren einen „mentalen Orgasmus“ genossen zu haben. Und wiederum andere fühlen sich von den Installationen dermaßen stimuliert, dass sie darin Sex haben – im Skyspace in New Yorker „PS1“ wurde sogar ein Kind gezeugt. Das Paar meldete sich danach bei Turrell und fragte nach ob er Pate werden wollte. Er lehnte dankend ab.

Seit den Sechzigern arbeitet der Kalifornier mit Licht Die Inspiration dafür stammt aus Kindertagen. Als Sohn einer streng religiösen Quäkerfamilie musste er oft stundenlang meditieren, ohne ein Wort sprechen zu dürfen. Das empfand er als quälend und animierte ihn zu Fluchtfantasien: Turrell stellte isch vor, am Plafond würde sich eine Luke im Himmel öffnen. Heute setzt er genau das um. Und wird dafür als „Bildhauer des Lichts“ geadelt. Der Künstler selbst beschreibt die erhellenden Erfahrungen, die er herstellt, so: „Es ist, wie wenn man als Pilot in die Wolken fliegt oder beim Tauchen plötzlich nicht mehr weiß, wo oben und unten ist“, verriet er der „Zeit“. „Mich interessiert die Landschaft ohne Horizont.“

Foto: Florian Holzherr

Der Lichtkünstler James Turrell

Zur Person
Der 75-Jährige wurde in Los Angeles als Sohn einer streng religiösen Quäkerfamilie geboren, die u. a. auf Strom und Auto verzichtete. Er studierte Psychologie und Mathematik und ist begeisterter Pilot. Er verweigerte den Kriegsdienst in Vietnam und musste dafür gut ein Jahr ins Gefängnis.

Roden Crater
Turrells Hauptwerk ist ein erloschener Vulkan in Arizona, den er kaufte. Seit 1979 verwandelt er ihn durch Räume, Schächte und Stollen in ein epochales Licht-Observatorium — das größte je von Menschen geschaffene Kunstwerk. Als Inspiration dienen ägyptische Pyramiden oder die Tempel Yucatans. In der Finanzkrise ging das Geld aus. Nun wird wieder gewerkt.

Skyspace in Wien
Das Prinzip von Turrells meist eigens gebauten Skyspaces ist es, durch eine Öffnung in der Decke den Himmel beobachten zu können. Durch seine Lichtprojektionen werden Räume dadurch neu definiert. 75 von Turrells berühmten Skyspaces existieren auf der Welt, einer davon auch in Wien: „The other Horizon“ steht im Park des Geymüllerschlössels in Pötzleinsdorf.

Schwerelose Lichtinstallationen
Im Museumsgarten des Jüdischen Mu- seums in Berlin ist noch bis September die begehbare Installation Ganzfeld „Aural“ zu sehen. Meisterhaft inszeniert James Turrell dabei Grenzbereiche der Wahrnehmung.

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