„Mir war immer klar, dass es Athleten mit besseren Voraussetzungen und mehr Talent gibt. Die Natur ist nicht fair. Das gilt es zu akzeptieren.“

110% Magazin
6 min readApr 17, 2019

Interview: Manfred Behr

Foto: Picturedesk

Profi. Manager. Veranstalter. Vermarkter — oft auch seiner selbst. Gerhard Schönbacher, 65, hat im Radsport so ziemlich jede Position ausgekostet, die der Sport hergibt. Und war dabei seiner Zeit meist voraus. Die rote Laterne aber blieb sein Markenzeichen. Als sichtbares Symbol, dass die Letzten die Ersten sein werden.

Sie gelten als Österreichs erster Profi im modernen Radsport. Kultstatus haben Sie aber durch zwei letzte Plätze bei der Tour de France erlangt.

GERHARD SCHÖNBACHER: Was schwer genug war. Die Idee entstand während meiner ersten Tour de France 1979. Ich startete für ein junges holländisches Team, wir erzielten Achtungserfolge, nicht mehr. Einige Journalisten meinten: „Ihr bräuchtet einen, der Letzter wird und gut Schmäh führen kann.“ Alle haben mich angesehen. Ich wollte das gar nicht. Aber als ich wenige Tage später eine fürchterliche Brezn gerissen hab’, plötzlich Fünftletzter war, dachte ich mir: „Jetzt ist’s auch schon egal.“

Aber wie gelang es, die Aufmerksamkeit derart auf sich zu ziehen?
Am vorletzten Tag hat mir Bernard Hinault während der Etappe die rote Laterne überreicht. Und vor dem letzten Teilstück habe ich den Kameraleuten gesagt: „Schaltet nicht vorzeitig ab, da kommt noch was!“ Dann bin ich 100 Meter vor der Zieldurchfahrt abgestiegen, habe das Rennrad geschoben und den Reportern zugerufen: „Drei Wochen habe ich mich geplagt. Die letzten Meter will ich genießen.“ Dann habe ich die Ziellinie geküsst. Mit den Worten: „Danke, dass ich das erleben darf.“ Bei den Einladungsrennen nach der Tour war ich eine der Attraktionen. Ich habe sicher mehr verdient als der Zehntplatzierte.

1980 gelang Ihnen die „Titelverteidigung“. Gegen den Widerstand der Tourleitung.
Tourdirektor Félix Lévitan hat mich nicht gemocht. Vielleicht, weil ich ihn einmal aus unserem Mannschaftsbus geschmissen habe. Ich wusste ja nicht, wer der Typ war, der da so rumbrüllte. Vielleicht waren ihm auch meine Interviews zu provokant. Einmal sagte ich zu „Paris Match“: „Die Tour ist wie ein Zirkus, Lévitan der Zirkusdirektor, und wir Fahrer sind die Affen, die strampeln müssen und dafür viel zu wenig Geld bekommen.“ 1980 hat er die Regel ausgeheckt, dass an jedem Tag der Letzte aus der Wertung genommen wird. Das war sehr viel Rechenarbeit, ein paarmal wurde es richtig eng. Was ich für mich in Anspruch nehmen kann: Ich war mit 110 Minuten Rückstand der schnellste Letzte aller Zeiten.

Sie verstanden es wie kaum ein anderer Sportler Ihrer Generation, sich selbst zu inszenieren. Woher kam dieser Instinkt?
Ich habe vielleicht besser gespürt, was die Leute hören wollen. Bei den heutigen Sportlern fehlt mir die Individualität. Bei denen glaubt man ja, die haben alle den gleichen Rhetorikkurs belegt.

Warum hat es sportlich nicht zu mehr gereicht?
Ich finde, es hat zu einigem gereicht. Wenn du für die Tour de France nominiert wirst, gehörst du zu den besten 200 Radprofis der Welt. Außerdem wurde ich auf einer Vuelta-Etappe Zweiter. Obwohl ich weite Teile meiner Karriere mit starken Rückenschmerzen bestreiten musste, nachdem es mich beim Skifahren zerrissen, sich das Becken verschoben hatte. Danach saß ich schief auf dem Rad, brachte mit einem Bein 20 Prozent weniger Druck aufs Pedal.

Sie mussten die Karriere deshalb auch vergleichsweise früh beenden.
Mein Abschiedsrennen war für 1985 geplant. Aber dann hat mich in Australien ein Auto überfahren — nach einer Woche Koma und einem Monat Krankenhaus musste ich das Reden und Gehen neu lernen. Der Geschmackssinn war kurzzeitig weg, der Geruchssinn fehlt mir bis heute. Mein Karriereende habe ich dann 1987 zelebriert — bei der Heim-WM in Kärnten. Ich ließ mir fürs Profirennen verbotenerweise meine Sponsoren aufs Trikot und auf die Hose drucken. Am Gesäß, weil ich wusste, dass ich mich eher am Ende des Feldes aufhalten werde. Gesperrt wurde ich trotzdem nicht. Wäre mir auch egal gewesen. Nach 150km bin ich abgestiegen und habe mir geschworen, nie mehr auf ein Rennrad zu steigen. Zwei Jahrzehnte habe ich durchgehalten.

Sie waren aktiv, als die Verfolgung von Dopingsündern noch in den Kinderschuhen steckte. Wie sehr hat man dieses Manko ausgenützt?
Wir haben Substanzen genommen, die erst später verboten wurden, Ephedrin, Koffein. Amphetamine waren tabu. Man wusste, dass man nach einer Woche tot vom Rad fallen konnte. Ich hatte aber grundsätzlich einen anderen Zugang zum Sport. Mir war immer klar, dass es Athleten mit besseren Voraussetzungen und mehr Talent gibt. Und dass man diesen Rückstand durch Training nur bedingt wettmachen kann. Die Natur ist nun mal nicht fair, das gilt es zu akzeptieren. Trotzdem war ich stolz auf meine Radkarriere. Ich kam aus einfachsten Verhältnissen, wir haben zu fünft auf 32 m2 gewohnt. Vielleicht war ich deshalb demütiger, mit weniger zufrieden. Heute glaubt ja ein jeder, gewinnen zu müssen.

Sie hatten nicht nur beim Vermarktungswillen, sondern auch in Sachen Vielseitigkeit die Nase vorn.
Ich nahm an der Speedski-WM teil. Mehr als 186 km/h waren mit meinen nur 72 Kilo aber nicht drin. Jahre später stellte ich im Rahmenprogramm des F1-Grand-Prix von Adelaide mit 220km/h aber doch noch einen Weltrekord auf Ski auf. Festgeschnallt auf einem Autodach, oder besser gesagt auf der Windschutzscheibe, weil es mich sonst bei jeder Bodenwelle abgeworfen hätte. Ich bin auch Autorennen gefahren, etwa in der Ford-Atlantic-Serie in Nordamerika.

Mehr Perfektion haben Sie aber als Radmanager und Organisator von Radrennen an den Tag gelegt.
Nach der Karriere hab’ ich ein Haus in Byron Bay, Australien, gekauft. Aber mir wurde schnell fad, obwohl ich Mitglied in jedem Klub der Umgebung war. Als dann 1988 das Angebot kam, sportlicher Leiter beim Profiteam Varta-Elk Haus zu werden, zögerte ich nicht lange. Ich habe dann viele Jahre Teams zur Österreich-Rundfahrt vermittelt, Fahrer gemanagt, unter anderem Bernhard Kohls ersten Profivertrag verhandelt. Und ich habe die aufstrebende Mountainbikeszene beobachtet …

… und daraus ein Geschäftsmodell entwickelt.

Es gab für die Szene kein Etappenrennen wie die Tour de France. Mein Idee war, eine Rundfahrt in Vietnam zu etablieren. Aber die Behördenvertreter dachten noch zu kommunistisch, zudem waren noch nicht alle Minenfelder geräumt. Schließlich habe ich auf Australien umgeschwenkt. Drei Wochen, 2200 Kilometer durch das Outback — die Crocodile Trophy war geboren. Ich bin sämtliche Strecken selbst abgefahren, habe mit Stammesführern der Aborigines verhandelt und oft im Busch übernachtet, die nächste Behausung 200 Kilometer entfernt. Weil im ersten Jahr das Budget nicht reichte, habe ich das Haus verkauft. Besitz war mir nie wichtig. Heuer im Oktober findet die Crocodile Trophy zum 25. Mal statt. Früher war es oft logistischer Wahnsinn. Wenn einer der Kühltrucks streikte, musste ich die umliegenden Farmer um Essen für den Tross anbetteln. Diesen Stress wollte ich irgendwann nicht mehr. Seit zehn Jahren fahren wir nicht mehr von Darwin oder Alice Spring nach Cairns, nur mehr eine Woche von Cairns über alte Goldgräbertrails nach Port Douglas. Der Effekt: Das Feld setzt sich nicht mehr aus Abenteurern, sondern aus Weltklasse-Mountainbikern zusammen.

Ist Ihre Alpentour das österreichische Pendant zur Crocodile Trophy?Irgendwie schon. Die Alpentour in der Steiermark ist mit bis zu 420 Startern das größte Mountainbike-Etappenrennen für Einzelfahrer in Europa. Die 21. Auflage steigt im Juni mit Start und Ziel in Schladming.

Die Middle East Peace Tour mussten Sie hingegen absagen. Aus politi- schen Gründen?

Als Trump die US-Botschaft nach Jerusalem übersiedelte, kippte die Stimmung total. Die arabischen Staaten wollten „Peace“ nicht mehr im Namen und auch keine israelischen Starter. Da mussten wir die Notbremse ziehen. Wen interessiert’s, wenn 150 Hobbyfahrer ohne tieferen Sinn von Amman nach Jerusalem radeln? Derzeit laufen Verhandlungen an, ein Profirennen in der Region auszurichten — mit einem Prolog vor den Pyramiden von Gizeh. Mal sehen. Die fünf Jahre der Vorbereitung betrachte ich trotzdem nicht als verlorene Zeit. Ich habe dabei unfassbar viel gelernt, tolle Menschen kennengelernt. Und darauf kommt es doch im Leben an. Zu lernen, zu wachsen und daran Spaß zu haben.

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