Eine Analyse von Gendernormen im Design von Haushaltsprodukte

Eine Analyse vom Thesenpapier, “Visualising Gender Norms in Design: Meet the Mega Hurricane Mixer and the Drill Dolphia”
für den Kurs Design Wissenschaft Theorie mit Prof. Dr. Michael Hohl an der Hochschule Anhalt, Frühling 2015.

Annah Amici
8 min readApr 30, 2019

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In der Welt wird man heutzutage tagtäglich mit hunderten von Produkten konfrontiert. So oft, tatsächlich von Geburt an, sieht man immer wieder die gleichen gesellschaftlichen Themen. Diese Themen werden langsam internalisiert, bis man sie einfach akzeptiert ohne weiteren Gedanken darüber zu machen.

Unter solche Normen fallen Themen wie: politische und geographische Einstellung, die Beziehung zwischen Mensch und Natur, und Unterschiede zwischen Menschen. In diesem Paper hat Sarah Hjelm Ilstedt insbesondere Gendernorms in der (hauptsächlich) Nordeuropäischen Gesellschaft untersucht. Die Resultate beweisen frühere Behauptungen über solche genderdifferenzierte Produkte, und erzeugten neue Möglichkeiten für Produktdesign in der Zukunft.

Die Semiotik

Als Basis von viel im Bereich Design ist die Semiotik — die Zeichenlehre. Im grossen und ganzen betrifft die Semiotik viele Bereiche im täglichen Leben. Vor allem in der Linguistik wird die Semiotik angewendet. Sie besteht aus drei verschiedene Teile.

  • Semantik: die Beziehung zwischen Zeichen und die Dinge, auf denen sie sich referenzieren
  • Syntaktik: Beziehungen zwischen verschiedenen Zeichen selber
  • Pragmatik: Beziehung zwischen Zeichen und die Mittel, mit denen sie kommuniziert wird

Diese Begriffserklärung der Semiotik ist sehr breitgefächert. Wenn man über Zeichen in Design spricht, bildet man ein etwas konkreteres Dreieck.

  • Symbol: verzeichnet das Objekt durch eine Interpretation von gesellschaftlichen Konventionen
  • Ikon: verzeichnet das Objekt durch gemeinsame Eigenschaften
  • Index: reale Abbildung des dargestellten Objekts

Mit diesen drei Begriffe kann man schon anfangen, Ilstedts Arbeit zu verstehen. Sie arbeitet hauptsächlich mit Symbole (männliches oder weibliches Product Languge) und Indizes (Reaktionen auf Produkt-Fotos).

Wie man Gendernorm-Untersuchungen mit Fokus auf Semiotik macht, das ist bestimmt die Frage, die Ilstedt versucht zu erklären. Zurzeit gibt es richtig wenige Forschung in diesem Gebiet, obwohl es an viele Universitäten schon lange den Studiengang Gender Studies gibt. Diese Kurse beziehen sich leider auch wenig auf Design zurück. In Design Studiengänge selber kommt dieses Thema auch selten vor. Das muss sich in der Zukunft ändern.

Figure 1. Conceptual model of the Offenbach theory of product language (Gros, 1976).

Um die Product Language eines Produktes zu beurteilen, hilft das Offenbach Theory of Product Language. Wie es hier oben zu sehen ist, ist die Product Language in praktische und sinnliche Funktionen geteilt. Ilstedt behauptet, dass auf dieser Linie wird männliche und weibliche Attributen auch geteilt, d.h. dass praktische Funktionen eines Produktes werden eher an Männer vermarktet, während alle sinnliche Funktionen eines Produktes werden eher für Frauen ausgedrückt. Unter den sinnlichen Funktionen stehen zuerst formale ästhetische Funktionen: wie ein Produkt und seine Verpackung eigentlich aussieht und sich anfassen lässt. Dann kommt die semantischen Funktionen dazu: indizierende und symbolische Funktionen. Konkrete Beispiele von den beiden sind folgendermassen: Indizierende Funktionen zeigen wie ein Produkt genutzt wird, also von einem Mann oder von einer Frau und in welchem Zusammenhang. Eine symbolische Funktion wäre die Farbe ein Produkt. In der westlichen Gesellschaft repräsentiert die Farbe Pink Mädchen, während die Farbe Blau Jungen repräsentiert. Die Anwendung dieser Farben beeinflusst die Produkt Language sehr, sogar für erwachsene Kunden, da diese Kulturnormen so früh und so oft in ihrem Leben vorgekommen sind.

Das Ziel Ilstedts Product Language-Umtausch war, «Das Unsichtbare sichtbar zu machen». Da so viele dieser Normen so tief in der menschlichen Psyche eingebettet sind, und so oft als selbstverständlich wahrgenommen werden, hat sie versucht, diese Funktionen nicht mehr übersehbar zu machen.

Feminismus und Design

Über dieses Thema zu sprechen, ohne Feminismus zu erwähnen, ist einfach nicht möglich. Da Feminismus eine weltweite politische Bewegung, deren Ziel die Gleichberechtigung, Menschenwürde, und Selbstbestimmung von Frauen ist, spielt sie natürlich eine grosse Rolle. Designer und Feministen merkten seit schon lange, dass es in Design und Marketing eine klare Dichotomie zwischen Männer und Frauen gibt. Durch diverse Mittel werden Frauen als verschieden beschrieben. Wie in der allgemeinen Geschichte gehören noch heutzutage in der Werbeindustrie bestimmte Bereiche Männer oder Frauen. Oft werden männlich und weiblich sogar als Gegensätze dargestellt.

Das beliebte Designer-Sprichwort lautet, «form follows function». Da Ilstedt vom Offenbach Theory of Product Language behauptet, dass praktische Bereich Männer gehören, während sinnliche Bereiche Frauen gehören, folgt es, dass die Männlichkeit eines Produktes im ersten Rang steht. Dies ergibt den falschen Eindruck, dass Männer sich für das Produkt selber interessieren, während Frauen sich nur um das Design kümmern. Wie anderswo beschrieben, ist es wahrscheinlich Zeit, neue Variante dieses Sprichwort zu erstellen, wie, «function follows form», «form follows fun», oder sogar, «form follows nothing».

Eine weitere Dichotomie ist das öffentliche Leben gegen das private Leben. In der Vergangenheit blieb die Frau zu Hause während der Mann an der Arbeit ging. Das stimmt überhaupt nicht mehr, erscheint aber immer noch in Product Language, in dem Haushaltsprodukte gezielt eher an Frauen vermarktet werden, während Arbeitsprodukte an Männer vermarktet wird.

Um das alles im Einsatz zu sehen, muss man nur in einen Laden gehen, um die Produktbeschriebe anzuschauen. Typische Frauenprodukte wie Schönheitsmittel und Kinderversorgungsprodukte werden jeweils als «cosmetics» und «child care products» genannt, während ähnliche Produkte für Männer anders heissen, nämlich, «grooming products» und «dad gear». Typische Männerprodukte, die an Frauen vermarktet werden passiert handkehrum nicht das gleiche. Sondern tragen sie oft ihre ‘normale’ Beschrieb plus einfach, «for women». Dieser Trend zeigt, dass das Männerprodukt als ‘normal’ gesehen wird, während das Frauenprodukt ein Teilsatz davon ist.

Dies führt nicht nur zu einer Dichotomie, sondern sogar zu einer Hierarchie. Das Männerprodukt gilt als normal; das Frauenprodukt als Nachkömmling. Diese Hierarchisierung begründet warum die normale «männliche» Produkte oft exklusiver und teurer vermarktet wird. Das Produkt, nachdem man streben sollte, trägt Adjektiven wie, «professional», «exclusive», und «intelligent» während billiger Modelle solche Wörter tragen: «helpful», «accessible», «simple». Sogar Produkte hauptsächlich für Frauen leiden unter diesem Muster.

Eine mögliche Antwort zu dieser schwierigen Situation ist die Verbreitung von Unisex-Produkte. Aber da viele Unisexprodukte genderspezifische Farben und Formen vermeiden, kann das Resultat manchmal charakterlos wirken. Manche Firmen, so wie Swatch, haben es aber tatsächlich geschafft, so eine Produktlinie respektvoll genderbewusst zu gestalten.

Wieso Haushaltsprodukte?

Warum hat Ilstedt sich dafür geschlossen, nur Haushaltsprodukte anzuschauen? Logischerweise ist der Haushalt wo Kinder erzogen werden und wo am meisten Gendernorms kreiert und gepflegt wird. Deswegen finde ich es klar, dass Designers eine enorme Verantwortlichkeit tragen, hier achtungsvoll zu designen. Was hier gelernt wird, hat weitverbreitete Auswirkung.

Zu Hause gab es klare historische Rolle für Mann und Frau, die immer öfter nicht mit dem aktuellen Gesellschaftszustand stimmen. Diese Rolle werden aber immer noch durch Design und Marketing verbreite, da sie so fest eingewurzelt sind.

Das Experiment

Das Experiment selber hat Ilstedt mit ihrem Team 2006–2007 vorbereitet, dann zwischen 2007 und 2011 vorgestellt. Nachdem und währenddessen haben sie alle mögliche Daten gesammelt, sowohl wissenschaftliche Resultate, als auch einfache Bemerkungen des Publikums. In dem Experiment haben sie zwei Produkte ausgewählt, die klar mit typischen Genderrollen eingepresst sind: eine Bohrmaschine und ein Stabmixer, also ein Werkzeug und ein Küchengerät. Diese zwei Produkte erhalten ein Genderumwandlung, dann werden sie ans Publikum präsentiert, um die Reaktionen zu analysieren.

Ilstedts Experiment ist ein Musterbeispiel von Research through Design (RtD). Research through Design erzeugt Wissen durch das Gestalten und evaluieren von innovativen Artefakten, Modellen, Prototypen, und Produkten. Eigenschaften in Gegenteil zueinander zu stellen verändert die Perspektive; dadurch wird es klar, wie die Eigenschaften vom Publikum bewertet und wahrgenommen werden.

Die Eigenschaften der Bohrmaschine entsprechen traditionell ein Werkzeug im Männerbereich. Die Product Language entspricht der Leistung der Maschine (manchmal übertreibend), während die olivgrüne und rotorange Farben deuten sogar auf eine Waffe hin.

Hingegen ist der Stabmixer ein Küchengerät im Bereich Frauen. Die Product Language entspricht der Form der Maschine (Technologie wird versteckt), während die kurvenreiche Figur und helle Farben deuten auf weiche Arbeit und eine friedliche Beziehung hin.

Die neuen Prototypen crossdressen hier

Die neue «Mega Hurricane Mixer» trägt nicht nur einen neuen Name, sondern auch neue Kleider, nämlich die von der alten Bohrmaschine. Wie bei der Bohrmaschine ist die neue Grösse eigentlich überflüssig; die ergibt das Gefühl von Kraft und Beständigkeit.

Durch einem LCD wird dem User mehr Kontrolle angeboten. Zuletzt wird geworben, dass es jetzt möglich ist, die Schneiden auszutauschen, welches die Praktikabilität erhöht.

Die neue, «Drill Dolphia» sieht jetzt leichter und kurviger aus, tatsächliche wurde ihn von der Form und Gefühl eines Delfins hergeleitet. Die neue Product Language insinuieret, dass man dieses Werkzeug mit Sorgfalt annähern sollte. Das Gehäuse ist einteilig und die Technologie wird versteckt; nur leicht verständlich Symbole werden auf der Oberfläche gelassen.

Diese zwei neue Prototypen wurden hauptsächlich in Schweden und Skandinavien ausgestellt, aber auch einmal in Berlin und Schanghai. Die Prototypen wurden nebeneinander gezeigt, zusammen mit Fotos von ihrer Verwendung. Die zwei waren nur zum Anschauen verfügbar, keiner durfte die anfassen, benutzen, oder mitnehmen.

Sie waren nicht nur an Design Konferenzen ausgestellt, sondern auch in Museen, Universitäten, usw. präsentiert. Gesehen wurden sie von insgesamt ca. 100'000 Leute.

Also, was haben die Leute denn über die neuen Prototypen gedacht? Bei dem «Mega Hurricane Mixer» waren die Reaktionen hauptsächlich positiv. Sowohl Männer als auch Frauen haben ihn als «tough» und «cool» beschrieben. Die neue Form scheint mehr Interesse an die Funktionen zu konzentrieren. Jetzt wurde Interesse für die Schärfe und Nachhaltigkeit erweckt. Auch wurde mehrere Diskussionen um Kochen selber ausgelöst. Ist Kochen eine harte oder weiche Aktivität?

Die «Drill Dolphia» hingegen bekam deutlich weniger positive Reaktionen. Diesem Produkt wurde oft ausgelacht (genau bei meinem Referat) und vor allem von Männer beleidigt. Selbst gab es manchmal Probleme bei Erkennung als Bohrmaschine. Wenn sie als solches erkannt wurde, dann als «woman’s drill». Natürlich entstanden auch manche positive Kommentare, wie: «simple», «flexible», und «nice».

Eine wichtige Ausnahme zu erwähnen ist die Reaktionen in Schanghai. Im Gegenteil zu den vielen Ausstellungen in Westeuropa, gab es hier sehr wenige Aufregung über die Formänderung. Dies zeigt kulturräumliche Unterschiede zwischen Ost und West und vielleicht sogar, dass Gendernormen viel flexibler als vorher gedacht sind. Allerdings braucht es mehr Forschung in diesem Zusammenhang.

Nach fünf Jahren von Ausstellungen konnte Ilstedt und ihr Team das Feedback zu den zwei Prototypen zuordnen und analysieren. Dazu haben sie vier Arten von Reaktionen, die in der folgenden Tabelle dargestellt wird, identifiziert.

Das Fazit

Als Fazit des Experiments findet Ilstedt, dass die Reaktionen sich immer auf der Semantik zurückbeziehen. Die innewohnende Verbindungen und Werte der Zuschauer beeinflussen klar wie sie die Product Language der zwei neuen Prototypen interpretieren. Die weibliche Ästhetik der «Drill Dolphia» wirkt auf so ein traditionell männliches Produkt negative aus, während die männliche Ästhetik des «Mega Hurricane Mixers» scheint neue Möglichkeiten für ein traditionell weibliches Produkt zu öffnen.

Das überspannende Thema dieses Experiment scheint mir wirklich zu sein, dass Leute Produkte benutzen wollen, die denen einfach passen. Laut Ilstedt hat dieses Experiment wie Crossdressing funktioniert — es ermöglicht eine sonst nicht verfügbare Freiheit für diese zwei Produkte. Dann genau wie Leute mit ihrem Aussehen experimentieren, um ihr inneres Gender zu finden sollte Produkt-Designers auch experimentieren, um ein breites Spektrum anzubieten. Die ganz viele verschiedene Reaktionen deuten darauf hin, dass die Gender-Dichotomie durch Design gespaltet werden kann. Man sollte überhaupt nicht fürchten, dass andersartige Designs nicht vom Zielpublikum akzeptiert wird. Veraltete Gendernormen in beizubehalten hält nur die Identifizierung von wichtige moderne Themen zurück.

Quellen

  • Ehrnberger, K., Räsänen, M., & Ilstedt, S. 2012 Dec 20. Visualising Gender Norms in Design: Meet the Mega Hurricane Mixer and the Drill Dolphia. International Journal of Design [Online] 6:3.
    http://www.ijdesign.org/index.php/IJDesign/article/view/1070
  • Gros, Jochen. Offenbach theory of product language. 1976.
  • Product photos are printed with permissions by Futuro, Braun, Bosch, Babyliss, Swatch.

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Annah Amici

Design encompasses all. Thoughts and ideas on health, social interaction, programming, UX, and more. Formerly at Grayscale in HK, now at Lab Zero in SF.