Mythos Filterblase, Erfolgsmodell WashPost und Disruptor der Disruptoren

Medienlinks Nummer 23

Stefan Binder
6 min readDec 2, 2016
Hat seit dieser Woche etwas mehr auf seinem Konto: Casey Neistat. Foto: TechCrunch/Flickr (CC BY 2.0)

War for (Youtube)-Talent

Knalleffekt gleich zu Wochenbeginn: Casey Neistat, erfolgreicher Filmemacher und Youtuber aus New York, verkaufte seine Firma Beme an den Nachrichtensender CNN. Beme ist bzw. war eine von Neistat und Freunden entwickelte mobile Videoapp. Der Grundgedanke war ein soziales Videonetzwerk zu gründen, in dem User die Videos vor Veröffentlichung nicht bearbeiten konnten. Das hätte den Inhalten der App ein authentischeres Gefühl geben sollen. Um ein Video aufzunehmen, musste man sein Smartphone nur an den Körper halten und die App nahm automatisch Videos auf, die es an seine Follower schickte.

CNN hat aber bereits angekündigt kein Interesse an der App zu haben — vermutlich auch, weil sie mit anfänglich 1,2 Millionen Downloads nur mäßig erfolgreich war.

Der Nachrichtensender schlägt offenbar den Weg von Tech-Giganten wie Google, Apple und Facebook ein, die regelmäßig Firmen aufkaufen, um das Talent, das darin steckt, für sich zu gewinnen. Das scheint wohl auch bei Beme und seinem zwölfköpfigen Team der Fall zu sein. Dafür spricht, dass Neistat in einem ersten Video nach dem Verkauf von Beme eingesteht, dass er und CNN eigentlich noch gar keine konkreten Pläne für eine Zusammenarbeit haben. Wie die “New York Times” berichtet, soll eine neue Tochterfirma von CNN gegründet werden und Neistat die volle kreative Kontrolle über das Projekt haben. Als Kaufpreis wurde die Summe von 25 Millionen Dollar kolportiert, die allerdings nicht Neistat zur Gänze bekommen wird, sondern eher viele seiner Investoren bei Beme. Dass mit Matt Hackett ein ehemaliger Vizepräsident für technische Planung bei Tumblr, im Kaufpreis inkludiert ist, hat bei den Verhandlungen wohl auch nicht geschadet.

Was Neistat für CNN interessant macht? Nicht nur hat er sich mit seinem Youtube-Kanal, den Millionen Menschen abonniert haben, eine große Zahl an loyalen Fans im für Werbekunden interessanten Millenial-Alter aufgebaut. Neistat gilt auch als einer der begnadetsten Storyteller im digitalen Zeitalter.

Mit der Investitionsstrategie ist CNN nicht alleine: NBC Universal investierte erst kürzlich 200 Millionen Dollar in Buzzfeed und weitere Millionen in Vox Media, zu dem neben “The Verge” auch das Nachrichtenportal Vox.com gehört.

Youtube-Aufreger II

Ebenfalls für Aufregung sorgte diese Woche noch ein ganz anderes Phänomen auf Youtube: Abonnenten sollen spurlos verschwinden. Dabei, so behaupten zahlreiche bekannte Youtuber, beenden Zuseher nicht freiwillig ihr Abonnement, sondern ein technisches Gebrechen soll verantwortlich sein, dass die Abonnentenzahl einiger Youtuber sinkt. Die Videoplattform dementiert.

Mythos Filterblase

Seit dem Sieg Donald Trumps ist sie in aller Munde: die Filterblase. Aufgrund von Algorithmen würden Menschen nur mehr mit ihnen übereinstimmenden Meinungen in sozialen Medien in Kontakt kommen und so nicht mehr mit politische Andersdenkenden in Kontakt kommen. Aber ein Bericht von Christoph Behrens in der Süddeutschen Zeitung kratzt an dieser These: “Vorhandene empirische Studien lassen kaum auf eine extreme politische Polarisierung schließen, wie sie weithin angenommen wird. Wer zusätzlich auf sozialen Netzwerken aktiv ist, hat laut Flaxman sogar eine höhere Chance, mit Meinungen von der anderen Seite des politischen Spektrums in Berührung zu kommen.”

Der ganze, lesenswerte Bericht ist auf süddetusche.de zu finden:

Bilanz von Fellner-TV

Nur zwei Monate nachdem oe24.tv, der neue Nachrichtensender aus dem Hause Fellner, in Österreich gestartet sind, gaben Niki und Vater Wolfgang bereits dem Branchenmagazin “Horizont” ein Bilanzinterview.

Schenkt man den Angaben der beiden Fellners im Interview Glauben, so scheint der neue Sender — wenn schon nicht inhaltlich — so zumindest wirtschaftlich erfolgreich zu sein:

- Im Schnitt schalten demnach rund 50.000 Seher am Tag ein. Am 4. Dezember, also dem Tag der österreichischen Präsidentschaftswahlen, will man sogar über 100.000 Seher erreichen
- Digital habe man pro Tag bereits mehr als 400.000 Zugriffe und damit über 400.000 abgespielte Pre-Rolls (Zur Erinnerung: oe24.tv wird automatisch beim Besuch der Seite oe24.at abgespielt.) Ziel sei es, den Inventar auf 500.000 Pre-Rolls pro Tag zu steigern
- Das Jahresbudget des Sender liege bei 4,5 Millionen Euro. In den ersten Monaten hab man damit laut eigenen Angaben bereits die schwarze Null erreicht
- Im Monat nimmt man in etwa 400.000 Euro ein. Nächstes Jahr will man im Jahr rund fünf Millionen Euro einnehmen.
- Die Anzahl der täglich produzierten Videos habe sich verdreifacht, täglich seien es 100 Videos pro Tag
- 2018 will man 70 Prozent technische Reichweite und 1 Prozent Marktanteil erreichen

Alle genannten Zahlen beruhen auf den Angaben der beiden Fellners und können nicht überprüft werden. Das dennoch sehr lesenswerte Interview von Marlene Auer in voller Länge:

Erfolgsmodell “WashPost”

Vor drei Jahren kaufte Amazon-Gründer Jeff Bezos die damals angeschlagene aber renommierte Zeitung“Washington Post” um 250 Millionen Dollar. Seither verdoppelten sich die Zugriffe und sogar der Erzrivale “New York Times” konnte überholt werden.

Bezos hat bereits mit Amazon einen digitalen Markt erobert, der zuvor von im Analogzeitalter verhafteten Branchenspielern dominiert war. Gleiches scheint sich nun im Medienbereich mit dem Kauf der “WashPost” abzuspielen.

Der Erfolg beschränkt sich aber nicht nur auf den Traffic:

- Mittlerweile werden Lizenzen für das hauseigene Redaktionssystem verkauft und so weitere Einnahmen lukriert
- Gemeinsam mit Google versucht die “WashPost” die Ladezeiten der mobilen Seiten drastisch zu verkürzen
- In der Redaktion wurde ein eigenes Tool entwickelt, das Redakteure automatische darauf hinweist, wenn sie ihre Abgabezeiten nicht einhalten

Eine besondere Rolle bei den jüngsten Erfolgen der WashPost spielen dabei Joey Marburger, Direktor für Produkte und Shailesh Prakash, Chief Information Officer des Unternehmen. CRJ hat diese Woche ein Interview mit den beiden veröffentlicht:

Meilenstein für “Financial Times”

Schon länger erfolgreich im Digitalbereich ist die “Financial Times” in London.

Einen neuen Meilenstein konnte man diese Woche verkünden: Das Medienunternehmen hat erstmals mehr Einnahmen aus dem Digitalbereich als aus dem Printbereich, berichtet der “Guardian”. Bemerkenswert ist auch, dass die Finanzzeitung mehr Einnahmen von Lesern als aus Werbeeinnahmen generiert. Insgesamt hat die Zeitung 843.000 Abonnenten im Print und Digital bzw. wie es richtig heißen müsste: Digital und Print, denn drei Viertel aller Abonnenten beziehen reine Digitalabos.

Snapchat: Der Disrupter der Disruptoren

Snapchat, die populäre mobile Videoapp, plant offenbar einen Börsengang. Aus diesem Grund hat die “New York Times” einen genaueren und interessanten Blick auf Snapchat gewagt. Das — so konstatiert der Autor — ist auch bitter nötig: Denn Snapchat sei eine wichtige Informationsquelle für junge Menschen geworden, werde aber von Medien selten im Zusammenhang mit sozialen Medien genannt. Ein Grund dafür sei, dass die App hauptsächlich von Teenagern und 20–30-Jährigen verwendet werde.

Dabei habe sich Snapchat zu einem der Innovationstreiber der Branche entwickelt:
- Das Werbe-Modell unterscheide sich von datengetriebenen Werbeverkäufern wie Google oder Facebook und habe viel mehr Ähnlichkeiten mit klassischer TV-Werbung
- Vor Snapchat galt es quasi als selbstverständlich, dass gepostete Inhalte auch automatisch im Netz bleiben — sofern man diese nicht bewusst lösche. Snapchat hat dieses Denkmuster auf den Kopf gestellt: Snaps sind nur für eine beschränkte Zeit sichtbar bevor sie sich selbst zerstören.
- Einer der Effekte: Authentizität. Snapchat-User würden weniger nach Likes und Followers dürsten als auf anderen Plattformen und daher würden die Inhalte authentischer wirken
- Ebenfalls auf den Kopf gestellt hat Snapchat die im Netz bisher meistens angewandte Chronologie — vom neuesten Inhalt zum ältesten Inhalt. Bestes Beispiel dafür sei Stories — also jenes Feature, mit dem man für einen begrenzten Zeitraum, Videos und Fotos mit der App aufnehmen und seinen Follower zum Ansehen zur Verfügung stellen kann. Diese Video-Snippets werden in chronologischer Reihenfolge (vom ältesten zum neuesten Inhalt) abgespielt.

Viele mehr Einblicke in die App, in der der New York Times“-Geschichte:

Vertikale Videos

Genau wie Snapchat Videos in Hochformat ausliefert, will das künftig auch die BBC machen — wenig verwunderlich, denn 60 Prozent der digitalen Zugriffe des britische öffentlich-rechtlichen Rundfunks stammen von mobilen Endgeräten.

Veröffentlicht am 3.12.2016

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Stefan Binder

blogger & journalist (editor/reporter at the Foreign Desk/Care Bear in Chief @derStandardat) http://BinDerStefan.at | http://instagram.com/moreStefan