Go global: Juergen Boos im Gespräch mit Medea Metreveli, Georgian National Book Center

Frankfurter Buchmesse
7 min readApr 6, 2017

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Leipzig, Paris und Bologna: Im März und April besuchte Juergen Boos, der Direktor der Frankfurter Buchmesse die verschiedenen Frühjahrsmessen der Publikationsbranche. Unter anderem tauschte er sich mit Medea Metreveli, der Verantwortlichen des georgischen Ehrengast-Auftritts auf der Frankfurter Buchmesse 2018, aus. Sie unterhielten sich über die Chancen der Gastland-Präsentation für die georgische Literatur und den aktuellen Stand der Planungen. Lesen Sie das Interview.

Juergen Boos und Medea Metreveli, Foto: © Rico Thumser / Rico Thumser Fotografie

Juergen Boos: Die Frankfurter Buchmesse hatte seit 1976 eine Vielzahl länderspezifischer Schwerpunkte; seit den 1980er-Jahren stellt die Buchmesse in jedem Jahr ein anderes Land als Ehrengast ins Rampenlicht. Die Präsentation des Gastlandes verleiht der Frankfurter Buchmesse immer einen ganz besonderen Charakter und im Oktober 2018 steht Georgien im Mittelpunkt des Geschehens. Ich kann mich noch an den Beginn der Verhandlungen 2010 erinnern. Davor hatte Georgien noch kein Übersetzungsförderungsprogramm — das wiederum ist aber ein wichtiges Kriterium für die Teilnahme eines Landes als Ehrengast. Wir konnten unsere Vereinbarungen schließlich 2014 besiegeln. Nach der Unterzeichnung des Vertrags durch das georgische Kultusministerium konnte das Georgian National Book Center, das Zentrum zur Förderung georgischer Literatur, das Sie als Direktorin leiten, die Arbeit aufnehmen. Seitdem wurden bereits viele Maßnahmen zur Förderung und Sichtbarmachung von georgischer Literatur umgesetzt.

Medea Metreveli: Als wir das Übersetzungsförderungsprogramm 2010 initiierten, erhielten wir nur zwei Bewerbungen von ausländischen Verlagen. Wir haben das als Zeichen interpretiert weiterzumachen, unser Programm noch aktiver zu bewerben und unsere Arbeit mit noch mehr Leidenschaft umzusetzen. Mittlerweile erhalten wir um die 100 Bewerbungen von ausländischen Verlagen jedes Jahr und an die 200 georgische Titel wurden bereits weltweit in 25 Sprachen übersetzt. Die Begeisterung und das Engagement der beteiligten Menschen treiben diesen Prozess enorm an.

Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung für die georgische Buchbranche. Die Verlage tragen durch die wachsende Anzahl an Übersetzungen einerseits die Literatur eures Landes in die Welt und profitieren andererseits auch wirtschaftlich von diesen Entwicklungen. Als Gastland der Frankfurter Buchmesse 2018 werden Sie mehr als 275.000 potentielle Leserinnen und Leser erreichen und die Möglichkeit haben, sich mit über 7.100 Austellerinnen und Ausstellern zu vernetzen. Was ist Georgiens Hauptziel als Ehrengast?

Für uns ist die Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse als Gastland eine wunderbare Gelegenheit, die georgische Literatur einem internationalen Publikum vorzustellen. Wir möchten den Besucherinnen und Besuchern eine mitreißende Geschichte erzählen, die ihnen erlaubt, mit Hilfe der 33 einzigartigen Buchstaben des georgischen Alphabets das gesamte Land zu entdecken. Unser Alphabet gehört zu den ältesten Schriften der Welt. Diese Buchstaben sind sowohl Teil unserer literarischen Tradition, die bereits viele Jahrhunderte zurückreicht, als auch ein Labor für zukünftige Entwicklungen. Unsere Sprache und das Alphabet prägen meiner Meinung nach den georgischen Charakter und das georgische Temperament.

Mir gefällt die Idee, das Alphabet zum Herzstück eurer Präsentation zu machen. Viele der Besucherinnen und Besucher und auch Medienvertreterinnen und -vertreter werden zweifelsohne zum ersten Mal mit diesen Buchstaben in Berührung kommen. Wie bereiten sich die georgischen Verlage auf die Teilnahme ihres Landes als Ehrengast vor?

Die georgischen Verlage und die Autorinnen und Autoren haben sich sehr interessiert gezeigt und unterstützen unser Engagement, da sie erkannt haben, dass der bereits sichtbare Anstieg der Übersetzungsrechte ein Resultat unserer Aktivitäten ist. Gleichzeitig sind sich unsere Verlage aber auch der anstehenden Herausforderungen bewusst. Ich bin überzeugt, dass unsere Teilnahme als Gastland der georgischen Literatur und unserer Buchbranche einen kräftigen Schub verleihen wird. Das Netzwerk der Übersetzerinnen und Übersetzer aus dem Georgischen wächst und die lokalen Produktionsbedingungen für georgische Literatur haben sich verbessert. Neue, vielversprechende Stimmen verschaffen sich und ihrer Literatur Gehör mit ihrem authentischen Schreibstil und interessanten Themen. In den letzten Jahren haben sich Literaturpreise etabliert und es wurden neue Kategorien wurden geschaffen, wie beispielsweise die des „besten übersetzten georgischen Buches“. Diese Errungenschaften spielen eine Schlüsselrolle — und sie haben Georgiens Buchbranche bereits spürbar verändert.

Das sind sehr spannende Einblicke in aktuelle Entwicklungen der georgischen Literaturlandschaft. Nach meiner Erfahrung werden diese Effekte im Vorfeld der Buchmesse weiter zunehmen — und auch noch viele Jahre nachwirken. Gibt es eine literarische Tradition, ein kollektives Gefühl oder eine bestimmte Atmosphäre, die man als „typisch georgisch“ bezeichnen könnte?

Jede Epoche unserer 15 Jahrhunderte langen Literaturgeschichte war auf ihre eigene Art innovativ und wagemutig. Das Martyrium der Heiligen Schuschanik ist beispielsweise eine Hagiographie aus dem fünften Jahrhundert, enthält aber bereits alle Elemente eines modernen Romans und beschäftigt sich mit Themen, die immer noch aktuell sind, wie beispielsweise der Emanzipierung der Frau und der Meinungsfreiheit. Bereits im zwölften Jahrhundert zeigten die Texte des berühmten georgischen Dichters Shota Rustaveli Züge des Humanitätsideals der Renaissance; ein Vorgriff auf die Europäische Renaissance des 13. bis 15. Jahrhunderts. Die aktuelle georgische Literatur ist aus diesem reichen literarischen Erbe hervorgegangen. Sie umfasst eine große Spannbreite von Genres und ist sehr lebendig, dynamisch und entwickelt sich ständig weiter. Zeitgenössische Autorinnen und Autoren widmen sich vielen unterschiedlichen Themen, wie beispielsweise der Besatzungszeit unseres Landes, sozialen Problemen, Minderheiten, Gender sowie Meinungs- und Redefreiheit. Mit unserer Präsentation in Frankfurt möchten wir insbesondere auch zeigen, auf welche Art und Weise in einem so kleinen Land wie Georgien erzählt wird und wie man dort die eigenen historischen Erfahrungen verarbeitet.

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Wir freuen uns schon sehr auf unsere Gespräche mit georgischen Autorinnen und Autoren sowie Verlegerinnen und Verlegern in Frankfurt. Wie kommst du bei der Zusammenarbeit mit deutschen Verlagen voran?

Die Nachricht, dass Georgien 2018 Ehrengast der Frankfurter Buchmesse sein wird, hat bei deutschen Verlagen ein großes Interesse an unserer Literatur hervorgerufen. Seit 2014 wurden über 40 Werke georgischer Literatur auf Deutsch neu herausgegeben. Bis 2018 rechnen wir mit ca. 60 literarischen Übersetzungen sowie Büchern über die georgische Kultur und Geschichte. Um das zu erreichen und georgische Bücher, Autorinnen und Autoren sichtbar zu machen, zählen wir auf eine gute und aktive Zusammenarbeit mit deutschen Verlagen sowie eine effektive staatliche Förderpolitik, die die jährlich zur Verfügung stehenden Mittel für Übersetzungsförderprogramme erhöht. Im Moment liegt unser Fokus darauf, enge persönliche Beziehungen zwischen Verlegerinnen und Verlegern, Agentinnen und Agenten sowie Autorinnen und Autoren in Deutschland und Georgien zu herzustellen.
Um dies zu unterstützen bieten wir mehrere organisierte Reisen nach Georgien für deutsche Verlegerinnen und Verleger sowie Literaturkritikerinnen und -kritiker an. Unsere Bemühungen tragen bereits erste Früchte: Wir stellen nicht nur ein Wachstum bei den Übersetzungen aus dem Georgischen ins Deutsche fest, sondern wir sehen auch immer mehr Rezensionen und Artikel über unser Land und unsere Literaturszene in den deutschen Medien. Es ist wirklich ein sehr dynamischer Prozess und wir sind stolz auf unsere bisherigen Erfolge.

Der Auftritt jedes Gastlandes zieht eine große mediale Aufmerksamkeit auf sich — und das nicht nur in Deutschland sondern weltweit. Ihr habt mit eurer Öffentlichkeitsarbeit weit früher angefangen als andere Ehrengäste. Ich freue mich sehr, dass eure Aktivitäten bereits zu Berichterstattungen in den wichtigsten Fach- und Publikumsmagazinen sowie Zeitungen geführt haben.

Wir haben bereits 2013 deutsche Literaturkritikerinnen und -kritiker sowie Journalistinnen und Journalisten eingeladen, unser Land zu besuchen und über kulturelle Themen in Georgien zu schreiben. Dieses Programm läuft auch noch weiter; wir erwarten die nächste Gruppe deutscher Journalistinnen und Journalisten im Frühjahr. Meiner Meinung nach macht es einen riesengroßen Unterschied ob man nur über georgische Literatur liest und schreibt oder ob man den kulturellen Kontext dieser Werke selbst entdeckt, in dem man das Land bereist, die Kultur am eigenen Leib erfährt, die Natur erlebt, die Menschen vor Ort trifft und mit den Autorinnen und Autoren ins Gespräch kommt. Ein deutscher Medienvertreter merkte im Anschluss an eine der Reisen beispielsweise an, die georgische Kultur sei zu komplex, als dass sie auf eine Messe passen würde. Wir werden also überlegen, wie wir es schaffen können, alle Facetten des Landes in unserem Messeauftritt zu vereinen.

Ich bin schon sehr gespannt, wie ihr das umsetzt. Das Herzstück der Präsentation unserer Ehrengäste in Frankfurt ist der 2.000m²-große Gastland-Pavillon — obwohl natürlich auch die anderen Hallen mit ihren Schwerpunkten ebenfalls ausgezeichnete Gelegenheiten bieten, die Vielfalt des Gastlandes aufzuzeigen. So war beispielsweise unser Ehrengast 2014, Finnland, in allen Hallen der Messe präsent. Dabei ist uns auch der nachhaltige Effekt einer Ehrengast-Präsentation ein großes Anliegen. Indonesien, unser Gastland 2015 beispielsweise, hat der Messe auch im kulinarischen Bereich noch mehr Würze verliehen. Bis heute sind die indonesischen Kochbuch-Verlage in der Gourmet Gallery sehr gefragt. Was betrachtest du als die größte Chance, die euch die Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse 2018 eröffnet — einmal kurzfristig betrachtet, aber auch langfristig? Einmal wirtschaftlich aber dann auch auf den Kulturaustausch bezogen?

Das ist eine sehr gute Frage. Die Antwort hat viele Seiten. Georgien hat schwere Zeiten mitgemacht und muss sich neuen Herausforderungen stellen. Jede Veränderung bringt auch immer eine Vielzahl von Chancen mit sich, neue Strukturen und Netzwerke aufzubauen. Ich bin davon überzeugt, dass unsere erfolgreiche Teilnahme auf einer der größten internationalen Bühnen, wie sie die Frankfurter Buchmesse nun mal ist, zu einem gesteigerten Interesse an Georgien beitragen wird — insbesondere auch durch unseren Status als Ehrengast. Unser Land, unsere Kultur, unsere Literatur und Geschichte sind die Stärken unserer Identität, die unserem Land wiederum hilft, in der modernen, freien Welt Seite an Seite mit anderen freien Ländern zu leben.

Wie sehen die nächsten Schritte der Gastland-Vorbereitungen aus?

Das Georgian National Book Center und das georgische Kultusministerium kooperieren mit vielen Organisationen und Institutionen in Georgien und Deutschland um ein interessantes und vielseitiges Programm zu realisieren. Wir haben bereits damit angefangen einen Kulturkalender zusammenzustellen und arbeiten zurzeit an der Gestaltung des Pavillons. Viele außergewöhnliche Ausstellungen, Musikveranstaltungen sowie Theater- und Filmretrospektiven sind bereits geplant. Wir werden alle Interessierten im Rahmen der ersten Pressekonferenz Georgiens bei der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2017 über die Einzelheiten unseres Vorhabens informieren.

Wenn du an 2018 denkst, worauf freust du dich persönlich am meisten?

Für mich ist die Frankfurter Buchmesse ein wunderbarer Ort und eine hervorragende Gelegenheit, um neue Freundschaften zu schließen und bestehende zu pflegen. Das ist vermutlich die größte Bereicherung, die ich in den letzten Jahren in Frankfurt erfahren habe: Ich habe auf der ganzen Welt sehr gute und enge Freunde, deren großartige Unterstützung ich jeden Tag spüren kann. Sie können es kaum erwarten, 2018 unsere Präsentation zu sehen. Und ich bin zuversichtlich, dass wir sie begeistern werden.
Vielen Dank, Medea! Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit in den kommenden Monaten und bin überzeugt, dass wir mit vereinten Kräften die Teilnahme Georgiens als Gastland der Frankfurter Buchmesse zu einem unvergesslichen Erfolg machen werden.

Übersetzung: Dr. Sandra van Lente

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