Let´s talk — Abtreibung

Brigitta Buzinszki
5 min readOct 5, 2016

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Ein Baby ist ein süßes, kleines Ding. Ein unheimliches Wunder aus zwei Zellen, das unser Körper in neun Monaten, von den Haarspitzen bis zu den Füßen, komplett zu backen weiß. Und ja, dein Kind wird auch einmal zehn Finger und zehn Zehen haben. Es wird schreien, dich lieben, Unruhe stiften, Schränke ausräumen, “Mama” und “Papa” sagen; es wird dich in der Nacht wecken, dich umarmen, quengeln und dann auch mal krank sein. Es wird wachsen und wachsen und lernen zu gehen, eigenständig zu denken. Und irgendwann wird es dich fragen: Mama, was habe ich falsch gemacht?

Das erste mal konfrontiert mit der Idee, dass man ein Kind nicht austrägt, wurde ich im Biologieunterricht der siebten Klasse. Wir sprachen über Sex, Verhütung und die Konsequenzen des Nichtverhütens. Neben Genitalwarzen, Herpes, Syphilis und HIV erschien mir eine ungewollte Schwangerschaft definitiv als das kleinere Übel. Schließlich, so lernten wir, gab es dafür ebenfalls Lösungsansätze.

verworfen ist nicht vergessen

Die Pille Danach oder die operative Abtreibung; wem das nicht lag, konnte sich auch für eine Adoption entscheiden.
Schwarz auf weiß versprechen diese Vorschläge eine Erholung von der ungewollten Infektion; eine Therapie für eine Krankheit, die man sich zufällig eingefangen hat. Und viele Abtreibungsgegner sind der Meinung, dass Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, ebenso denken.
Nun darf ich jedoch die Bombe platzen lassen: dem ist ganz und gar nicht so.
Niemand ist sich der Konsequenzen einer Abtreibung besser bewusst als die Frau, die sich dafür entscheidet. Niemand sonst fühlt die Depression danach, muss sich der Trauer über den Verlust stellen — allein die Mutter, welche keine Mutter mehr ist.
Wer meint, ohne Einschränkungen und Strafen würden Frauen ein werdendes Kind leichtsinnig verwerfen, dem muss ich sagen, dass Deutschland, im Gegensatz zu anderen, restriktiven Ländern, niedrige Abtreibungszahlen aufweist — 7,1/1000, während in Rumänien, dank dem Dekret 770 (absolutes Abtreibungsverbot) 33/1000 Abtreibungen vorgenommen werden.

Ist die werdende Mutter informiert und hat sich mit den Folgen für sich sowie ihr werdendes Kind auseinandergesetzt, wird sie sich nicht leichtsinnig entscheiden. Eine Schwangere jedoch, die unaufgeklärt mit dem Ergebnis einer verhütungslosen Nacht, kopf-und orientierungslos das Licht am Ende des Tunnels sucht, wird sich von Gesetzen und Strafen nicht zurückhalten lassen.
Das führt weltweit zu über 6 millionen Verletzungen sowie dauerhaften Behinderungen und zu geschätzten 44.000 Todesfällen während den so genannten “Unsafe Abortions”.

https://www.guttmacher.org/infographic/2016/restrictive-abortion-laws-endanger-womens-health

dein Körper, deine Entscheidung

Inzwischen bin ich nun nicht mehr in der siebten Klasse; ich bin älter und vielleicht ein wenig weiser. Dank einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema kam ich zu dem Entschluss, mich nie für eine Abtreibung entscheiden zu können. Zu meinem Glück steht im Falle des Falles allerdings bereits ein komplettes Arsenal an Hilfskräften hinter mir, deren einzelne Mitglieder — Mutter, Vater, Schwester, Tante und Gott weiß wer — alle scharf auf das erste Baby der Familie sind.
Vielen Frauen und Mädchen wurde allerdings nicht der Luxus zu eigen, sich in solcher Sicherheit wiegen zu dürfen. Sie müssen alleine durch das Leben, haben keine Arbeit, kein Geld oder sind Opfer von einer Vergewaltigung geworden. Sie bringen sich selbst kaum in den nächsten Tag, sollen dann jedoch für ein kleines Bündel voll Bedürfnissen sorgen. Diese Aussicht kann eine Schwangere dazu bringen sich gegen das Kind zu entscheiden.
Und trotz meiner eigenen Einstellung will ich sagen: das ist in Ordnung so.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. — Artikel 2, Deutsches Grundgesetzbuch

Die Freiheit der Person übertragen viele Abtreibungsgegner auf das Embryo im Mutterleib. Es sei ein Leben, das die Frau dort nimmt. Sie mordet ein Baby und das sei verwerflich. All die, die zu diesem Argument stehen, mögen sich Folgendes bitte vorstellen:
Die meisten Abtreibungen geschehen zwischen der siebten wie der achten Woche. In dieser Phase ist das Embryo ein Zellkluster und ca. 15 Millimeter groß. Es würde also gut in eine Petrischale passen.
Nun wiegt eine Dame neben mir ein Neugeborenes in den Armen und ich halte die Petrischale in der Hand. Wir lassen beides, sie das Kind, ich die Schale, fallen.
Wenn das Embryo und das Neugeborene das gleiche Recht zum Leben haben, weil beide eine vollkommene Person nach Grundgesetz darstellen, dann dürfte es unmöglich sein, eine Entscheidung zu treffen bzw. die Wahrscheinlichkeit die Petrischale zu retten, müsste genau so hoch sein wie das neugeborene Kind aufzufangen.
Ich hätte mich dennoch für das Neugeborene entschieden. Wer noch?
Und wenn wir diesen Unterschied machen — bzw. machen müssen, dann müssen wir auch die Mutter in den Mittelpunkt stellen.

Unser Deutsches Grundgesetz macht das mit dem Paragraph 218a, welcher besagt, dass ein Schwangerschaftsabbruch nicht strafbar ist, wenn die Schwangere selbst den Abbruch verlangt, sie zudem davor in eine Beratung geht und ein Arzt die Abtreibung ausführt; der Abbruch muss außerdem innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate vorgenommen werden.
Dieser Paragraph stützt sich auf Artikel 1 sowie dem angesprochenen Artikel 2 des Grundgesetzes. Er zieht die Folgen einer Schwangerschaft und des Mutterwerdens aus der Sicht der Betroffenen, nämlich der schwangeren Frau, in Betracht. Unser Grundgesetz ist damit mutterzentrisch und das ermöglicht eine Abtreibung laut Gesetz, um ihre Gesundheit, psychisch wie physisch, sowie ihre Lebensumstände zu wahren.

https://www.guttmacher.org/sites/default/files/images/worldwideincidencerestrictive.jpg

Wenn es unser Grundgesetz versteht, dass die Frau über ihren eigenen Körper verfügen darf, weil er ihr und ihr allein gehört, muss das Umfeld ebenfalls mitziehen und akzeptieren, dass Entscheidungen dazugehören, mit denen andere gegebenenfalls nicht einverstanden sind.
Genauso wenig, wie ich dir vorschreibe, was du zu essen hast oder welche Sportart du machen bzw. nicht machen darfst, ob es dir nun erlaubt ist eine Zahnspange zu tragen oder dir ein Nasenpiercing, ein Tattoo in Form von MJs Kopf stechen zu lassen, genau so wenig steht es dir zu, mir vorzuschreiben, ein Kind auf die Welt zu bringen, welches ich nicht haben kann oder möchte.

Denn am Ende stehe ich, steht die Mutter vor dem Kind und muss auf die Frage antworten: Mama, was habe ich falsch gemacht?

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Brigitta Buzinszki

Lehrerin und Mutter // meine Meinung meist mit Humor verfeinert // Writes occasionally in English about Germany, Hungary and Brazil