Softwar als reale Betrohung in einer Bitcoin-Welt

Softwar als reale Bedrohung in einer Bitcoin-Welt

E.L. Tankred
7 min readAug 30, 2023

oder: Ein konkretes Softwar Szenario: Abseits von Bitcoin und Lowerys These

(Click here for english version.)

In diesem Artikel werfe ich einen Blick auf eine interessante Diskussion zwischen dem @Blocktrainer, auch bekannt als @RomanReher, und @SunnyDecree:

https://www.youtube.com/watch?v=bUWr8hyMeOc

Mein Ziel besteht darin, drei Annahmen von Roman zu beleuchten, die sich bei genauer Betrachtung als empirisch nicht haltbar erweisen. Des Weiteren möchte ich die These, die Lowery in seinem Buch skizziert hat, anhand eines belegbaren Beispiels konkretisieren. Das alles tue ich in der Absicht, sowohl meinen Bitcoin-Bildungshelden als auch allen Interessierten auf diesem Gebiet eine alternative Perspektive zu bieten.

Softwar von Major Jason P. Lowery: Ein Blick zurück

Das Buch Softwar von Major Jason P. Lowery sorgte dieses Jahr (2023) für Aufsehen. Besondere Aufmerksamkeit erlangte das Werk jedoch am 27. Juli 2023, als Lowery verkündete:

„Für diejenigen, die sich fragen, was mit mir los ist: Mir wurde befohlen, SOFTWAR zu löschen und ich wurde gebeten, nicht mehr öffentlich über das Thema zu sprechen. Es erscheint auch nicht in der Bibliothek des MIT.

Ich kann nicht über Details sprechen, aber die Dinge laufen gut und ich arbeite hart hinter den Kulissen. Vielen Dank für die freundlichen Worte.” [1]

Seit diesem Zeitpunkt werden bereits verkaufte Exemplare des Buches zu beachtlichen Preisen auf eBay gehandelt. Wenn Du Dir die Investition einiger Tausend Euro für ein Exemplar sparen und dennoch einen Überblick über Lowerys Softwar-These* erhalten möchtest, empfehle ich Dir die Zusammenfassung des Buches durch SunnyDecree.

https://www.youtube.com/watch?v=rnFVOxpHvRI

*Kurzform: Lowery argumentiert in seinem Buch, dass in der Natur der Beute eines Angriffs die Kosten des Angriffs gegenüberstehen. So fürchten Honigräuber die Stachel der Bienen, Feldherrn fürchten Burgmauern, hinter denen die Schätze liegen, Piraten fürchten die Kriegsschiffe, welche Handelsschiffe sichern usw. Diese Machtprojektion setzt sich bis heute fort und äußert sich militärisch in
Landstreitkräften, Matrosen auf Kriegsschiffen oder Piloten in ihren Kampfflugzeugen.

Kooperation versus Feindseligkeit: Effizienzabwägung neu betrachtet

Im Gespräch mit SunnyDecree, das ab Minute 30:28 stattfindet, legt Roman dar, dass Kriege historisch gesehen niemals effizient waren. „Jeder Krieg der Menschheitsgeschichte hat mehr gekostet, als er eingebracht hat“ [2, 3].

Diese Beobachtung mag auf Kriege zutreffen. Doch der Fokus sollte nicht allein auf dem extremen Fall des Wettbewerbs, also dem Krieg, liegen. Wenn wir vom Krieg zu einer weniger drastischen Situation wechseln, etwa einer Auseinandersetzung auf persönlicher Ebene, kann feindseliges Verhalten durchaus verlockend erscheinen. Zum Beispiel könnte der Nutzen eines gewaltsamen Übergriffs — die erbeuteten Werte im Verhältnis zu den Kosten des Angriffs — unverhältnismäßig hoch sein. So kann der private Schlüssel zu den Bitcoin einer anderen Person für den Großteil ihres Vermögens stehen, der zudem noch einfacher zu transportieren ist als jeder Goldbaren.

In diesem Zusammenhang unterstreicht Roman ab Minute 35:54, dass Kooperation immer effizienter als feindseliges Verhalten ist. So könnten sich die Menschen zusammentun, um Aggressoren zu begegnen. Das entspricht Lowerys These, dass kostenintensive Angriffe die Beute unattraktiver machen kann.

Was sowohl Roman als auch Lowery meiner Ansicht nach nicht ausreichend berücksichtigen, sind die Opportunitätskosten, die mit den Verteidigungs- oder Rechtsmaßnahmen einhergehen. Hierunter fallen beispielsweise die verpasste Arbeitszeit während der Selbstverteidigung oder die Ausgaben für Schutzmaßnahmen. Diese Opportunitätskosten bedeuten, dass nicht jede Form feindseligen Verhaltens von der Gemeinschaft unterbunden werden kann, da der Aufwand dies möglicherweise nicht rechtfertigt. Einzig die hohen Sicherheitsstandards von Bitcoin bieten einen natürlichen Schutzwall vor solchen Übergriffen, ohne zusätzliche Kosten zu verursachen.

Doch sobald die Beute lukrativer erscheint als der Aufwand, an die Bitcoin Wallet zu gelangen, werden Menschen zu Gewalt greifen. Es ist kein Zufall, dass geringfügige finanzielle Schäden heutzutage oft nicht vor Gericht verhandelt werden. Die Kosten eines Gerichtsverfahrens übersteigen oft den Schaden. Solange das Problem der Opportunitätskosten nicht gelöst wird, stellen sich folgende Fragen: Wie viel feindseliges Verhalten muss eine kooperative Gesellschaft ohne zentrale Autorität in Zukunft tolerieren? Und ist das akzeptabel?

Wohlhabende Menschen helfen anderen nicht mehr als Arme

Ab Minute 39:25 legt Roman dar, dass Personen, die über finanzielle Rücklagen verfügen, eher dazu bereit sind, anderen Menschen zu helfen [4]. Dieses Argument lässt sich jedoch nicht anhand von Fakten aufrechterhalten, wie ich bereits mehrfach erläutert habe. Sollten Dich die Fakten interessieren, lies einfach meine Artikel 3 Argumente für Bitcoin, 1 Problem und Bitcoins blinder Fleck.

Das bedeutet nicht, dass wohlhabende Menschen anderen niemals helfen würden. Es verdeutlicht lediglich, dass sie oft näher an ihrem eigenen Wohlstand hängen als an dem Wohl anderer. Ihr Vermögen sichern sie häufig derart ab, dass es sogar noch 600 Jahre später für ihre Nachkommen erhalten bleibt. Einen Beleg dafür liefern Mocetti und Barone durch ihre Analyse von historischen Steuerdokumenten [5].

Nicht alle Menschen sind harmoniebedürftig

Nicht alle Menschen streben nach Harmonie. Dies wird oft angenommen. Auch Roman erklärt in dem Video ab Minute 39:25, dass Menschen von Natur aus ein Bedürfnis nach Harmonie hätten. Diese Ansicht steht jedoch im Kontrast zu vielen Erkenntnissen aus der Motivationsforschung*. Um diesen Widerspruch zu verdeutlichen, möchte ich das Zürcher Modell der sozialen Motivation von Norbert Bischof heranziehen. Andere Motivationsforschern kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

*Laut Kurt Lewin ist menschliches Verhalten eine Funktion aus Motiv und Situation. Nur wenn der Anreiz einer Situation zum aktuell vorherschenden Motiv passt, kann der Menschen eine entsprechende Motivation zeigen. Ein Beispiel dafür wäre, dass mich mein Hunger von meinem eigentlichen Ziel ablenkt: zum Beispiel Sats zu stacken. Anstatt Sats zukaufen, rückt der Hunger den Kühlschrank in meine Aufmerksamkeit. Dieser Orientierungswechsel muss mir selbst nicht einmal bewusst sein.

Das Modell von Bischof teilt die menschliche Motivation in drei Systeme auf: Sicherheit, Erregung und Autonomie. Mit seiner Forschung belegt er, dass in jedem Menschen nur eines dieser drei Systeme dominiert [6].

Das Zürcher Modell sozialer Motivation

Die Sehnsucht nach Harmonie ist im Sicherheitssystem verankert, das als Beziehungsmotiv betrachtet wird. Hingegen gehört das Bedürfnis nach Macht zum Autonomie-System. Dies zeigt bereits, dass bei einigen Menschen das Machtmotiv die Beziehungsorientierung dominiert. Romans Argumentation, die nur die Perspektive einer Gruppe von Menschen, nämlich derjenigen, die beziehungsorientiert handeln, berücksichtigt, ist daher in ihrer Aussagekraft begrenzt. Es lohnt sich das Handeln der Menschen auch aus Sicht der Erregungsorientierung und Autonomieorientierung zu betrachten. Es ist sogar zwingend notwendig, um sich die Zukunft treffender auszumalen.

Mein Softwar Szenario

In seinem Buch “Softwar” betrachtet Lowery Bitcoin als eine Art Waffensystem. Ich frage mich jedoch, ob diese Metapher wirklich zutreffend ist. Sie hat zur Folge, dass die Kernthese von Softwar oft durch die technischen Eigenschaften von Bitcoin betrachtet wird, was zu vielen kritischen Stimmen führt.

Meine Bedenken sind jedoch anders gelagert. Ich gehe davon aus, dass unter einem Bitcoin-Standard künftige Konflikte eher Wirtschaftskriege sein werden. Hierbei steht das von Lowery beschriebene “Waffensystem” symbolisch für die Menge an Bitcoins, die jeder Staat besitzt, sowie für die deflationäre wirtschaftliche Dynamik, die Bitcoin mit sich bringt [7]. Nach militärischem Verständnis ist Vermögen in Form von Bitcoin besser geschützt als Gold in Fort Knox.

Stellen wir uns vor, bitcoinreiche Staaten gewähren Kredite an bedürftige Nationen, jedoch unter bestimmten Bedingungen. Selbst in einer Situation wirtschaftlicher Deflation würden diese Kreditgeber auf die vollständige Rückzahlung bestehen. Diese Kredite könnten von bitcoinreichen Ländern genutzt werden, um neue Märkte bei den Kreditnehmern zu erschließen. In diesem Szenario könnten die Märkte der Kreditnehmer sowohl als kostengünstige Lieferanten als auch als Absatzmärkte für hochwertige Produkte dienen. Ein ähnliches Prinzip wird übrigens auch von Alex Gladstein im Zusammenhang mit Fiatgeld beschrieben und moniert [8].

Aber es gibt eine wichtige Unterscheidung: Unter einem Bitcoin-Standard gibt es keine Möglichkeit, die Geldmenge einfach auszudehnen, um das Land des Kreditnehmers zu destabilisieren [8]. Stattdessen müsste dieser Sicherheiten hinterlegen, die jederzeit eingefordert werden könnten. Ähnlich wie im feudalen System würde hierbei der Besitz, möglicherweise Land, als Sicherheit dienen, die im Bedarfsfall beschlagnahmt werden könnte. Selbstverständlich wird dies alles konform mit dem internationalen Vertragsrecht sein.

Diese Strategie wird bereits heute von China vorgeführt. Das Land investiert in die Infrastruktur anderer Nationen und erwirbt Anteile an Unternehmen in verschiedenen Sektoren wie Energie, Finanzen und Technologie, um Einfluss ausüben zu können [9]. Ersetze nun den Erwerb durch Sicherheiten für die Kreditgeber und schon siehst Du, wie diese Einfluss in einer Bitcoin-dominierten Welt gewinnen können.

Lasst uns Szenarien finden

Ich behaupte nicht zwangsläufig, dass das von mir skizzierte Softwarszenario unabwendbar Realität wird. Stattdessen sehe ich es als eine potenzielle Entwicklungsmöglichkeit für künftige Bedrohungen alias Softwars. Mein dargelegtes Szenario soll lediglich dazu dienen, eine potenzielle Falle für weniger entwickelte Länder zu verdeutlichen. Mein Wunsch ist es, dass diese Länder in der Lage sind, dieser Gefahr auszuweichen. Gleichzeitig erhoffe ich mir von der Bitcoin-Community die Erarbeitung weiterer Szenarien, in die niemand unbedacht hineintappen sollte.

Denn unsere größten Herausforderungen auf dem Weg zu einer besseren Welt liegen oft in den noch unbekannten Raffinessen, die uns begegnen können.

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Bezug zu eigenen Artikeln

https://medium.com/@ELTankred/bitcoins-blinder-fleck-3a4a35fe288

Quellen

@Blocktrainer, @RomanReher, @SunnyDecree.

[1] https://twitter.com/JasonPLowery/status/1684637080029196288 Stand: 28.08.2023

[2] https://youtu.be/bUWr8hyMeOc?feature=shared&t=1825 Stand: 29.08.2023

[3] https://www.blocktrainer.de/wie-bitcoin-kriege-verhindern-kann-teil-1/ Stand: 29.08.2023

[4] https://youtu.be/bUWr8hyMeOc?feature=shared&t=2365 Stand: 29.08.2023

[5] https://cepr.org/voxeu/columns/whats-your-surname-intergenerational-mobility-over-six-centuries Stand: 29.08.2023

[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Z%C3%BCrcher_Modell_der_sozialen_Motivation Stand: 29.08.2023

[7] Jeff Booth (2020). The price of tomorrow. ISBN-10: 1999257408

[8] https://aprycot.media/blog/strukturanpassung-wie-der-iwf-und-die-weltbank-arme-laender-unterdruecken-und-ihre-ressourcen-in-reiche-laender-leiten/ Stand: 29.08.2023

[9] https://www.bbc.com/news/business-29835057 Stand: 30.08.2023

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E.L. Tankred

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