Die Immobilie als digitale Geldquelle — wie Digitalisierung die Wohnungswirtschaft verändert

Jens Thaele
4 min readMar 18, 2020

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Digitalisierung als win-win für alle Parteien

Die Wohnungswirtschaft muss sich künftig einer Vielzahl neuer Erwartungen und Anforderungen stellen. Einerseits sind da die Wünsche von Politik und Gesellschaft, neuen, bezahlbaren Wohnraum — und zwar möglichst schnell — zur Verfügung zu stellen. Andererseits ist man mit umständlichen, oft langwierigen Genehmigungsverfahren, immer neuen Vorschriften sowie stark steigenden Baukosten konfrontiert.

Dazu kommt: Die künftige Situation auf der Einnahmeseite ist mehr als ungewiss. Auch wenn die Lage — momentan noch — insgesamt gesehen sehr positiv ist, so könnten ernsthafte Wirtschaftskrisen das Szenario schnell negativ verändern und auch erste politische Eingriffe in Form von Mietpreisdeckeln zeigen, wo die Reise hingehen könnte.

Überlagert werden diese Entwicklungen von gesellschaftlichen Megatrends, die direkten Einfluss auf die Wohnungswirtschaft haben: Alterung der Gesellschaft und somit ein Zusammenwachsen von Wohn- und Pflegewirtschaft, steigende Ansprüche der Menschen an Wohnkomfort, Ausstattung und digitalen Diensten — verbunden mit der Möglichkeit von Medienkonsum immer und überall — bei gleichzeitiger Forderung von mehr Energieeffizienz und Nachhaltigkeit.

Digitalisierung lässt Kosten schmelzen und Chancen entstehen

Vor diesem Hintergrund gilt es, sämtliche Kosteneinsparungspotentiale auszuschöpfen und gleichzeitig neue, gewinnträchtige Geschäftsfelder als wertvolle Einnahmequellen zu entwickeln — und genau hier bietet der strukturelle und technologische Wandel der digitalen Transformation enormes Potential!

Das Heben aller Einsparpotentiale durch Automatisierung, Verschlankung und Verbesserung von Prozessen ist dabei eine Pflichtaufgabe, um künftig im Mittelfeld des Marktes mitzuspielen. Die Kür besteht darin, die vielfältigen gewinnbringenden Wertschöpfungsketten, die die digitale Transformation hervorbringt, intelligent zu nutzen und damit gegenüber dem Wettbewerb einen Vorteil herauszuarbeiten.

Es ist ein wenig wie der Wettbewerb im Eiskunstlauf: Wer das Pflichtprogramm nicht beherrscht scheidet aus, und die beste Kür entscheidet über den Sieger.

Die Pflichtübung

Das „digitale“ Pflichtprogramm besteht in der konsequenten Nutzung aller Automatisierungsmöglichkeiten, die sich aus den Themen Smart Home und Smart Building ergeben und die unter dem Oberbegriff „Wohnungswirtschaft 4.0“ heute bereits vermarktet werden. Besonders erfolgversprechend sind dabei Maßnahmen in folgenden Bereichen:

Energie-Management

Alle Anwendungen zum Erfassen, Auswerten und Steuern von Ressourcen- und Energienutzung, beispielsweise zur Heizungssteuerung oder dem Ablesen von Verbrauchsdaten

• Sicherheit und Gebäudemanagement

Anwendungen zur Steuerung von Anlagen und das Monitoring der Gebäude- und Anlagennutzung, Überwachung von sicherheitsrelevanten Sensoren wie Rauchmeldern etc.

• Wartung

„Predictive Maintenance“, die vorausschauende Wartung von Anlagen und das Aufspüren von Abweichungen mit dem Ziel einzugreifen, bevor größere Schäden eintreten könnten

Einige Anbieter haben speziell zu diesen Themen bereits eine IoT (Internet of Things) Plattform-Strategie aufgesetzt, die eine Integration in Prozesse und Systeme der Wohnungswirtschaft ermöglicht und die aufbereiteten und analysierten Daten auf einem zentralen Dashboard darstellen kann. Die konsequente Umsetzung ist daher lediglich ein Fleißprogramm.

Branchen, Industrien und Dienstleistungen wachsen zusammen

Aufgrund des digitalen Wandels wachsen viele Branchen zusammen. Dadurch ergeben sich völlig neue Ansatzpunkte und Allianzen. Das verbindende Element ist die Informations- und Telekommunikationsinfrastruktur, über die alle Informationen — der Rohstoff des digitalen Zeitalters — ausgetauscht werden.

Und genau hier gilt es herauszufinden, an welchen Stellen die Immobilienwirtschaft davon profitieren kann.

Dazu ist ein genauerer Blick in andere Branchen der Wirtschaft sehr aufschlussreich; denn vieles wird bereits von der Digitalisierung und gesellschaftlichen Umbrüchen rasend schnell umgekrempelt, verändert Geschäftsmodelle und führt zu Kooperationen zwischen unterschiedlichen Wirtschaftszweigen, die zuvor noch getrennt agierten.

Beispiele dafür sind die Automobilindustrie, die Energiebranche und die Telekommunikationsdienstleister. Jeder ist auf den anderen angewiesen, denn ohne eine leistungsfähige Energieinfrastruktur keine Elektroautos und ohne eine intelligente, zuverlässige Informationsverteilung kein autonomes Fahren, sowie — und damit schließt sich der Kreis — keine bedarfsgerecht gesteuerte Energieverteilung im Netz.

Die Kür: Entwicklung und Sicherung neuer Geschäftsfelder

Auch die Geschäftsmodelle in der Wohnungswirtschaft werden und müssen darauf abzielen, an den Dienstleistungen, die aus den Gesellschaftstrends entstehen, teilzuhaben bzw. ein fester Bestandteil des Gesamtprozesses zu werden — möchte man sich ein lukratives Stück vom neuen, digitalen Kuchen abschneiden. Gleichzeitig macht Diversifizierung unabhängiger von branchenspezifischen, wirtschaftlichen Verwerfungen und politischen Eingriffen.

Konkret ergeben sich gemeinsame Geschäftsansätze mit der Gesundheits- bzw. Pflegewirtschaft, der Energie- und Automobilbranche und der Telekommunikationsindustrie. So wird die Wohnung des Patienten in der digitalen Wertschöpfungskette der Gesundheitsindustrie — schon aus Kostengründen — einen zunehmend wichtigen Stellenwert besitzen. Der Einsatz an regenerativen Energieträgern sowie Ladesäulen für Elektroautos in und an Immobilien sind dankbare Ansätze, um Kooperationen mit der Energie- und Autobranche zu schmieden und mit den Telekommunikationsanbietern hat jeder Immobilienbesitzer heute bereits Geschäftsbeziehungen in Form von TV und/oder Breitbandlieferverträgen.

Die Wohnimmobilie als Telekommunikationsinfrastruktur

Wir sehen bisher nur in wenigen Bereichen exemplarisch, beispielsweise der Fernseh- und Multimediaversorgung von Gebäuden, wie ein gesellschaftlicher Trend — die Anforderung nach Breitbandverbindungen sowie Medienkonsum immer und überall — zu neuen Geschäftsmodellen genutzt werden kann:

Stand früher die Grundversorgung mit Telefon und oftmals auch mit Kabel-TV im Fokus, so verdient der Telekommunikationsdienstleister heute mit hochwertigen Breitbanddiensten und Multimediaanwendungen einen Großteil seiner Marge. Das Entgelt für das TV-Signal oder den Telefonanschluss spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Das bietet für die Wohnungswirtschaft eine sehr gute Ausgangslage, um neue Verträge auszuhandeln.

Ein weiterer Vorteil: Das notwendige Glasfaser-Breitbandnetz wird zukünftig auch für alle digitalen Dienste, wie z.B. E-Health, Gesundheits-Apps, Smart Home und Smart Building Anwendungen, benötigt.

Die Attraktivität und der Wert der Immobilie steigt für Mieter und Vermieter, wobei sich laufend neue Möglichkeiten ergeben, die Wohnimmobilie als Telekommunikationsinfrastruktur einzusetzen und daraus Einnahmen zu generieren.

Um ein optimales Verhandlungsergebnis zu erreichen, ist es erforderlich, detaillierte Kenntnisse über technische Wertschöpfungsketten und kaufmännische Möglichkeiten von potentiellen Anbietern zu besitzen; Letzteres ist wichtig, denn wer übertreibt wird unseriös und kann sein Pulver leicht nutzlos verschießen.

Resümee

Der disruptive Charakter der digitalen Transformation trifft die Wohnungswirtschaft zwar nicht so schnell, brutal und quasi über Nacht, wie es bereits andere Branchen getroffen hat. Doch es besteht Handlungsbedarf, denn für die Wohnungswirtschaft ist Digitalisierung eine Riesenchance!

Einerseits können kurzfristig enorme Kosteneinsparungen realisiert, andererseits mittel- und langfristig mit der richtigen Strategie zusätzliche Einnahmequellen entwickelt werden.

Der Text wurde vom Autor erstmalig unter Xing.com veröffentlicht.

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Jens Thaele

Consultant und Autor: Beratung, Blogs, Fachartikel, Tipps: Gestalten Sie die Welt, wie es Ihnen gefällt http://www.jensthaele.com/