Liebe auf den zweiten Blick

Wie ich den Commi lieben und schätzen lernte

JensV
8 min readAug 15, 2016

15. August 2016 | Das Büro in der Jackentasche wurde für mich 2004 zur Realität. Lange bevor das I-Phone den Smartphone-Boom auslöste, gab mir der Nokia Communicator — liebevoll auch Commi genannt — die Freiheit, die heute viele nicht mehr missen wollen. Noch immer ist er mein Begleiter. Und kein aktuelles Smartphone kann ihn ablösen. Das bleibt dem Communicator 2020 vorbehalten.

Heute vor 20 Jahren startet Nokia den Verkauf des ersten Communicators — der 9000er kam für unglaubliche 2.700 DM in die Läden. Das erste Smartphone war klobig, teuer und das Schlimmste: Man konnte ihn wohl kaum selbst einrichten.

Nokia Communicator 9210i

Ich bekam meinen ersten Commi Anfang 2004 in die Hände und legte ihn schnell wieder beiseite. Denn in Sachen Akku-Laufzeit konnte der Communicator 9210i bei weitem nicht mit dem Allround-Business-Handy Nokia 6310i mithalten. Und unhandlicher war er auch noch. Den Nutzen eines Smartphones erkannte ich noch nicht. Das lag an drei Dingen:

  • Erstens war es schwierig den Commi so einzurichten, dass man mit ihm E-Mails oder Fax-Nachrichten senden und empfangen oder im Internet surfen oder Kalender und Adresse mit dem Firmen-Outlook synchronisieren konnte.
  • Zweitens hatte ich mit dem Duo Palm m505 und Nokia 6310i zwei treue Begleiter, die schnell und zuverlässig genau das machten, was sie sollten.
  • Drittens war es teuer, über GSM oder HSCSD ins Internet zu gehen — man bezahlte damals nicht die Datenmenge, sondern pro Zeiteinheit. Und WLAN war in Agenturen und Haushalten noch unbekannt.

Plötzlich wird alles anders

Meine Liebe zum Commi wuchs schlagartig im Sommer 2004. Eine Bandscheiben-OP zog mich plötzlich aus dem Verkehr — und der Commi wurde zu meinem Büro im Krankenhaus-Bett. Zwangsläufig hatte ich Zeit um mich mit dem Commi zu beschäftigen. Er lag auch beim Liegen auf dem Rücken gut in der Hand. Und er war die einzige Möglichkeit, um per E-Mail auf dem Laufenden zu bleiben.

Schnell zeigte sich, dass der Commi eigentlich alles konnte. Er kam zwar fast nackt daher — doch bei Nokia im Software-Store und bei Drittanbietern konnte man für fast jede Aufgabe ein Programm finden. Dreh- und Angelpunkt der Commi-Community waren Hartmut und Colin, die mit der Website aikon.ch (Nokia rückwärts) Tipps und Tricks übersichtlich aufbereiteten und vorallem ein Forum betrieben, in dem man zu jedem Problem schnell und verständlich die Lösung erhielt. Wie das aussah, kann man auch heute noch auf 9210(i) News-Seite nachempfinden. Für die Technik-Fans: Die schnellste Datenrate betrug damals 43,2 kBit/s und dank MMC-Karten ließ sich der Speicher auf ein GB aufblasen. Das Bearbeiten von Word-Dokumenten war möglich — jedoch gab es nur sehr eingeschränkte Formatierungsmöglichkeiten. Besser war der Workflow unformatiert im Commi zu schreiben und dann den Text am PC in eine Word-Vorlage einzukopieren. Üblich war es damals, mit acht Fingern und zwei Händen auf der QWERTZ-Tastatur zu tippen. Der Commi lag dafür meist flach vor einem auf dem Tisch. Einen Vorteil hatte bereits dieser Commi gegenüber vielen später auf den Markt kommenden internetfähigen Handys: Er stellte Internet-Seiten mit der ganzen Breite dar; wie beim PC scrollte man lediglich nach unten. Somit sahen und sehen auch die Desktop-Websites auf dem Commi immer gut aus.

Am Anfang sorgte das Doppelpack 6310i und Commi für Verbindung — dank kostenloser Weiterleitung vom einen aufs andere Gerät ging auch kein Anruf verloren. Ob ich später dann den Dual-SIM-Adapter in diesem Commi oder erst in seinem Nachfolger nutzte, weiß ich heute nicht mehr genau.

Ein Riesenschritt in die Zukunft

Nokia Communicator 9500

Ende 2004 kam der von vielen schon heiß ersehnte Nokia Communicator 9500 auf den Markt. Für mich war klar, dass ich so bald wie möglich umsteigen würde. Denn er brachte zwei große Vorteile mit: Mit GPRS und EDGE war man nicht nur für damalig Verhältnisse rasend schnell im Internet unterwegs, sondern die Abrechnung erfolgte auf Basis der Datenmenge. Das nervige An- und Abmelden während man E-Mails oder Websites las entfiel dadurch. Und der 9500er hatte WLAN an Bord — AVM hatte auf der CeBIT 2004 die erste FRITZ!Box vorgestellt und 2005 funkte die eine in der Agentur und auch im privaten Heim los. Und selbst auf vielen französischen Campingplätzen konnte ich dank WLAN kostengünstig mit dem Commi meine E-Mals abrufen oder die nächsten Reiseziele planen. Etwas teuer blieb mir dagegen eine Internet-Recherche in den Pyrenäen im Gedächtnis. Daten-Roaming-Tarife waren damals noch völlig unbekannt und so kostete die Suche nach der Tour-de-France-Route ziemlich viele Euro. Doch das Erlebnis mit dem Wohnmobil direkt an dem Pass zu stehen und den Atem der (gedopten) Radprofis Lance Armstrong und Jan Ullrich zu spüren, war es Wert.

Auch auf dem Nokia Communicator 9500 ließ sich noch gut mit 8 Fingern tippen

Gelobt wurde beim 9500er übrigens die Qualität der Kamera (na ja) und es wurde darüber geschimpft, dass Nokia die Fax-Funktion gestrichen hatte. Dafür war mittlerweile das Online-Banking mit dem Commi ebeso selbstverständlich wie die Navigation per Tomtom-Software und Bluetooth-gekoppelter GPS-Maus. Zwar war die Tastatur nicht mehr ganz so hervorragend und das Gehäuse machte einen weniger stabilen Eindruck als beim 9210i — doch technisch bot der Commi 9500 alles was ich brauchte. Er war wirklich das Büro in der Jacket-Tasche. Das 6310i lag nur noch unbenutzt im Keller.

Neue Firma — neuer Commi

Nokia Communicator E90 nach 8,5 Jahren hartem Arbeitseinsatz

Im April 2008 ging Eins A Kommunikation an den Start. Und die beiden Geschäftsführer begannen ihren Job mit brandneuen Commis. Aus welchen Gründen Nokia nach dem Communicator 9500 den Communicator E90 auf den Markt brachte, habe ich nie verstanden. Und so recht zufrieden war ich mit dem Umstieg vom Symbian-OS Series80 auf den modernen Nachfolger Series60 auch nicht. Denn besonders die beim Commi wichtigen Möglichkeiten zum Speichern von Nachrichten unterschiedlicher Formate in Ordnern verschlechterte sich dadurch beträchtlich. Auf der anderen Seite, vergrößerte sich die Vielfalt der Programme — nein, sie hießen bei Nokia immer noch nicht Apps — deutlich. Auch die Tastatur war nochmals ein Rückschritt: Zwar wurde der Commi insgesamt wertiger durch mehr Metall im und am Gehäuse sowie sehr stabile Scharniere (die brachen beim 9500 schnell), doch die Tastatur schrumpfte. Somit war der Umstieg vom zweihändigen 8-Finger-Tippen auf ein einhändiges 4-Finger-Tippen die zwangsläufige Folge.

Dank eingebautem GPS-Sensor und Nokia-Kartensoftware ist der Weg immer schnell bestimmt. Facebook und Twitter erlebte der Commi E90 bei mir ebenso zum ersten Mal wie ungewohnte Funknetze in den USA. QR-Codes scannte er — als diese neu waren — schneller als das I-Phone. Und dank zweitem Akku in der Jacken-Tasche, verlor auch langes Surfen im Internet über das extrem stromsaugende UMTS (3G) seinen Schrecken. Der Stromverbrauch von Whatsapp ist dagegen so hoch, dass ich diese App nach einer Woche wieder vom Commi herunterlöschte. Und Snapchat? Ach, das will der Commi gar nicht ;-) Nie Freund geworden ist der Commi übrigens mit der Fahrplanauskunft der Deutschen Bahn und des hannöverschen Nahverkehrsunternehmens Üstra — immer wieder ärgerlich. Aber zum Glück gibt es ja nette Kolleginnen und Kollgen, die man mal schnell per Telefon um Auskunft bitten kann, wenn man den geplanten Zug verpasst hat. Ach ja: Dank der neuen Sicherheits-Philosophie der Sparkassen gehört das Online-Banking seit einiger Zeit nicht mehr zum Repertoire des Commis. Hier geht es ihm aber nicht besser oder schlechter als Smartphones mit dem angebissenen Apfel oder den Androiden. Dank JoikuSpot-”App” stellt der Commi für den Laptop einen WLAN-Hotspot zur Verfügung (dem Android-Tablets leider die Zusammenarbeit verweigern). Dadurch rettete der Commi schon die eine oder andere Präsentation oder Online-Schulung, bei der Kunden die zugesagte Internet-Verbindung nicht bereitstellen konnten.

Sehr bedauerlich war, dass mir 2011 kurz vor einer USA-Reise der Auslöse-Knopf der Kamera brach. Zwar liegt mittlerweile der Commi von Kollege Thorsten Windus-Dörr als Ersatzteilspender bereit; doch es finden sich keine Handy-Schrauber mehr, die bereit sind, den Commi zerstörungsfrei zu öffnen und den Schalter auszutauschen. So wird das Fotografieren stets zu einem Erlebnis mit ungewissem Ausgang.

Lange Zeit war aikon.ch eine wichtige Anlaufstelle bei Fragen und Problemen. Auch wenn sich Colin mittlerweile ins Apple-Lager verabschiedet hatte, ließ er das Wissen der Commi-Gemeinde online stehen. Die Posts und vorallem die Antworten im Forum wurden allerdings mit dem Aufkommen der Android-Smartphones deutlich weniger. Und da der Commi läuft, ist der Bedarf zum Austausch bei mir auch kaum noch vorhanden.

Nach achteinhalb Jahren hartem Agenturgeschäfts ist der Commi weiterhin mein ständiger Begleiter. Zwar habe ich mittlerweile auch ein Android-Smartphone, dass ich jedoch im wesentlichen für Instagram und Snapchat nutze. E-Mails und längere Texte schreibe ich auf der Commi-Tastatur fast so schnell wie am Laptop — und dazu noch wesentlich komfortabler als auf den ganzen mistigen Touch-Tastaturen der heute modernen Smartphones. Dennoch ist das Ende des Commis absehbar. Denn die neuen Web-Programmierungen machen ihm immer mehr Probleme. Und das Zuckerberg-Imperium hält es nicht mehr für nötig, in Zukunft für S60-Geräte Apps bereitzustellen. Den Nokia-Browser habe ich schon lange in Rente geschickt und bin auf Opera umgestiegen.

Nokia Communicator E90 — der letzte einer legendären Handy-Familie

Wie geht’s weiter?

Wie so viele Fans des Commis wünsche auch ich mir einen Nachfolger. Kurzfristig sah es so aus, als könne der Blackberry Priv in die Fußstapfen des Commis treten: QWERTZ-Tastatur, Touchscreen und Android — das hörte sich bei der Vorstellung gut an. Aber das Gerät fällt durch ein wenig stabiles Gehäuse und der Hersteller durch ein wenig stabiles Geschäftsergebnis auf. Beides machte mir dann wenig Lust, so viel Geld in ein neues Handy zu investieren.

Heute, 20 Jahre nachdem der Ur-Ahn meines Commis in die deutschen Länden kam, las ich in vielen Posts “Ach gäbe es doch einen Nachfolger für den Commi”. Und so hoffe auch ich, dass jemand zum 25-jährigen Jubiläum eine Kickstarter-Aktion für den Communicator 2020 auflegt: Ein Smartphone, das in klassischer Barren-Form daher kommt und eine vollwertige QWERTZ-Tastatur mit richtigen Tasten für komfortables Schreiben bietet. Als OS kann ich mir heute nur Android vorstellen. Und natürlich sollte der innere Bildschirm ein Touchscreen sein. Dazu dann noch ein leicht auswechselbare Akku sowie einen SD-Karten-Slot zur Speichererweiterung. Und das Ganze als Dual-SIM-Handy, damit man privat und dienstlich in einem Smartphone voneinander trennen kann oder im Ausland sich einfach eine nationale Prepaid-Karte holen kann. Natürlich müsste dieser Commi dann auch mit LTE funken und mit einer zeitgemäßen Qualität Fotos und Filme aufnehmen. Eigentlich ist das doch gar nicht so schwer.

Mal sehen, ob mein Commi so lange noch durchhält.

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