COVID-19, der Anfang vom Neuanfang?

Open State
3 min readMar 13, 2020

--

Hamsterkäufe, Sterilium-Diebstähle, Sterbequoten per Altersgruppe, Mutationsspekulationen. Ein Virus legt die Welt lahm, Fluggesellschaften lassen ihre Flotten am Boden, Länder schließen Kigas und Schulen, Großveranstaltungen werden abgesagt und der Handschlag zur Begrüßung ist auch nicht mehr. “Social Distancing”, die Welt kommt zum Stillstand.

Bild veröffentlicht unter Creative Commons Zero — CC0 Lizenz.

Als hoffnungsloser Optimist frage ich mich gerade in solchen Momenten umso mehr: hat das Ganze vielleicht auch etwas Gutes? Angesichts von fast 5000 Toten weltweit klingt diese Frage vielleicht erst einmal etwas zynisch, aber ich will sie trotzdem stellen, denn die Situation ist nun einmal da und fragt nicht, ob sie bleiben darf. Wir werden für die nächsten Monate Umgang und Haltung dazu finden müssen, als Gesellschaft und gerade auch individuell. Also, birgt die gefährliche Epidemie perspektivisch vielleicht auch Chancen für uns, für mich, für alle? Oder könnten wir sie zumindest zum Anlass nehmen, über Bestehendes neu nachzudenken und evtl. Alternativen vorzuschlagen?

Auch wir sind verletzlich

Kein Krieg, kein Hunger, kaum Klimawandel. Die letzten Jahrzehnte gab es das alles immer nur bei den anderen weit weg. Diese historische Ausnahmesituation wurde für viele in der westlichen Welt zur vermeintlich garantierten Normalität, Leid und Elend im größeren Maßstab waren “outgesourced”.

COVID-19 bringt es zumindest als Idee, und in Teilen der Bevölkerung auch als tatsächliches Erleben, wieder zurück in die Mitte der Gesellschaft: Wir sind verletzlich. Unser Leben und das all unserer Lieben ist endlich und unser “Normal” ist unendlich fragil. Gerade fühlt sich um uns herum nichts mehr sicher an, immer mehr für unverrückbar Gehaltenes wackelt, der Glaube an unsere bisherigen Realität wankt. Vieles geht kaputt und aus dieser Krise werden wir uns anders als in 2008 auch nicht einfach wieder heraus kaufen können: es ist die erste, wirklich umfassende globale Krise, die alle Industrien und alle Menschen gleichzeitig betrifft.

Krisen und ihre Chance auf Heilung

Wir werden zum ersten Mal einen mehr oder weniger kompletten ökonomischen Stillstand erleben und nicht alles wird wieder anspringen, wenn wir durch das Gröbste durch sind.

Aber was, wenn das genau gut so ist? Was, wenn aus der Asche des Alten das Neue entsteht? Klar könnte jetzt auch alles nach rechts und vorgestern abrutschen. Aber vielleicht stolpern wir auch gerade die ersten Schritte in Richtung ökologisch-demokratische Gesellschaft, die es schafft, Wertschöpfung und Gerechtigkeit innerhalb der planetaren Grenzen endlich zusammenzuführen. Warum?

Es wird plötzlich viel weniger geflogen, Airlines lassen ganze Flotten am Boden, stattdessen Video Conferencing. Auch der Tourismus bricht ein, was für die Zukunft vllt doch zumindest die Frage aufwirft: wieviele Fernreisen müssen es denn wirklich noch sein pro Jahr, im neuen Normal? Die Fragilität der globalisierten Lieferketten wird ganz direkt spürbar beim Blick auf leere Regale, während ich auf dem Land im Bauernladen bisher keinen Unterschied feststellen kann. Der Wert lokaler Resilienz wird im Kontrast umso sichtbarer. Der Konsum insgesamt sinkt dramatisch, wir kaufen und verbrauchen weniger und merken dabei vielleicht gerade, dass es so auch immer noch sehr ok ist? Wir sind im Home Office, vielleicht wieder mehr bei Freunden und Familie und etwas weniger beim Kunden. Ich will hier nichts schön reden, ich spüre den Impact im eigenen Unternehmen und schlafe deswegen schlecht, aber vielleicht war hier in den letzten Jahren doch auch etwas in Schieflage geraten?

Vielleicht rücken wir auch sozial wieder mehr zusammen, gerade jetzt, wo wir räumlich auf Abstand gehen müssen. Vielleicht älteren Nachbarn Hilfe anbieten, für sie den Einkauf miterledigen oder mal im Krankenhaus nachfragen, ob man von außen etwas für das Pflegepersonal tun kann?

Aus Angst vor einem neuartigen Virus, der uns ganz unmittelbar jetzt und hier bedroht, haben Menschen weltweit innerhalb weniger Tage ihr Verhalten grundlegend verändert und viele dieser Verhaltensänderungen sind genau der Art, wie wir sie “at scale” auch zur Begrenzung der Klimaerwärmung akut brauchen. Der Planet hat Fieber und wir jetzt (endlich?) auch.

Vielleicht fragen wir uns also, wenn wir die nächsten Wochen zwangsentschleunigt im Home Office sitzen und aus dem Hamsterrad “ausgestiegen wurden”: macht das wirklich Sinn, da jemals nochmal einzusteigen? Sowohl für uns individuell, als auch für den Planeten.

Die vielen “Vielleichts” im Text haben ihren Grund, denn ich weiß es eben selbst nicht. Was ich versuche zu beschreiben ist noch nicht mehr als eine vage Hoffnung, aber vielleicht ist die Zeit jetzt reif. Ich freue mich deshalb umso mehr über Kommentare und weitere vage oder konkrete Ideen!

--

--