Peer Brockhoefer
3 min readJul 14, 2015

#NetzfragtMerkel: Ein Stück weit eine Absage an das tradierte Mediensystem

Mit dem Sommerinterview 2015 erteilt die Neuland-Kanzlerin dem tradierten Mediensystem „ein Stück weit“ eine Absage.

LeFloid und die Kanzlerin, da blieb für viele nicht übrig von der frechen jungen Netzkultur. Aber das macht nichts. Man kann zwar noch nicht sagen, was das Experiment auslöst, aber ich lehne mich mal ganz weit aus dem Fenster und sage: Das Youtube-Sommerinterview markiert eine Zäsur für das tradierte Mediensystem. Da wurde zwar niemand gegrillt, keiner hat ausgepackt, da ging es nicht hoch her, aber das wäre für „das erste Mal“ vielleicht auch etwas zu viel verlangt.

Ich denke, man verkennt dabei auch den Kern der Sache. Alle, die sich vor einigen Monaten noch zu Merkels #Neuland einen abgefeixt hatten, konnten gestern sehen, wie sich die Kanzlerin ernsthaft bemühte, gegenüber dem tätowierten Milchbubi aus dem Netz den richtigen Ton zu treffen. Wie ernst soll und darf man sein, wieviel Lockerheit ist erlaubt, ohne das Ganze in ein Schülerinterview abdriften zu lassen? Und auch LeFloid war noch dabei, seine Rolle zu finden. Aber „ja, genau, klar“, das war okay. ,„Absolut“.

Haben wir noch vor wenigen Jahren uns gefragt, wo uns das Netz 2.0 mit den Blogs, diesem Social Media und so Sachen wie Bürgerjournalismus noch so hinführt — voilá, bitteschön hier ist ein Ergebnis, auf das wir vor zwölf Monaten so noch nicht gewettet hätten. Ich stelle mir die ARD-Hauptstadtkorrespondenten um Ulrich Deppendorf, Rainald Becker und Sabine Rau vor, wie sie gestern feststellen mussten, wie ihnen ihr Monopol auf das Sommerinterview von einem dahergelaufenen Nicht-Journalisten abgenommen wurde.

Da mag die bundesdeutsche Medienwelt nörglen, das sei nur Kanzler-PR, das komme nunmal dabei heraus, wenn ein Nicht-Journalist eine Regierungschefin befragt — egal! Das war kein Fakteninterview, wir haben kaum etwas Neues zu den aktuellen politischen Themen erfahren. Aber es war deswegen nicht langweilig, denn wir haben den Mensch Angela Merkel gestern etwas besser kennen gelernt als bei der ARD es möglich gewesen wäre, da wurde die Raute fast zu einem Herz.

Kommunikationsstrategisch war das Sommerinterview sowieso ein Volltreffer, genau zu richtigen Zeit in genau dem richtigen Modus, ein in die neue Social Media Strategie der Kanzlerin eingebetteter Höhepunkt. Steffen Seibert wird es sehr gefallen haben.

Und was die die Auswirkungen auf die PR-Branche und die Unternehmenskommunikation betrifft: Nachdem die Kanzlerin, mit der die Cannabis-Legalisierung und die Homo-Ehe auf keine Fall zu machen ist, auf YouTube ihr Sommerinterview gibt, dürfte auch der konservativste Mittelständler geschallt haben, dass da im Netz was los ist, was möglicherweise nicht ganz unwichtig ist.

Und genau hier besteht die Zäsur, denn dem seit 350 Jahren gültigen Mediensystem, bei dem Sender und Verlage mit ihren Journalisten die Hoheit über das Publizieren inne hatten, hat die Neuland-Kanzlerin ersten „ein Stück weit“ eine Absage erteilt.

Hier noch der Link zum Sommerinterview 2015, das nach einem Tag knapp eine Millionen Views verzeichnet. Zum Vergleich, das ARD-Sommerinterview 2014 erreicht knapp über zwei Millionen Zuschauer.

Peer Brockhoefer

PR-Consultant at Hoschke & Consorten | @HochkeCo, Freelancing Journalism | Public Relations | Photography