Diddl-Maus: Eine Ära geht zuende

… und darüber ist vielleicht nicht wirklich jeder traurig, oder? ;)

Dr. Kerstin Hoffmann

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Ein wiedergefundener Zeitungsartikel aus meiner journalistischen Zeit

Heute habe ich im ZEIT-Magazin gelesen, dass die Diddl-Maus abdankt. Ich, nun ja, war nie ein Fan dieses großfüßigen Plüschwesens, aber ich erinnere mich an Zeiten in den 1990-ern, in denen das Umfeld meiner Kinder an allen Ecken und Enden im pinkfarbenen Diddl-Rausch schwelgte. Eine kurze Suche im Keller erbrachte sogar ein noch vorhandenes Exemplar (siehe mein Foto). — Immerhin fiel mir zu diesem Anlass ein, dass ich vor vielen Jahren, als ich noch ein Journalistenbüro hatte, selbst einen Artikel über die Diddl-Maus geschrieben habe. Er ist 1999 unter anderem in der “Rheinischen Post” in der Reihe “Die Helden unserer Kinder” erschienen. Hier ist er:

„Immer wenn ich Diddl zeichne, wird’s mir mollig warm ums Herz”

von Kerstin Hoffmann

(Erstveröffentlichung: September 1999)

„Hi Diddl!“ schreibt die 13jährige Alexandra im „Käseblatt“: „Ich finde Dich echt sooo süß. — Marie bekennt: „Ich bin ein totaler Fan und habe schon total viele Sachen von Dir.“ Und Eva ist in Not: „SOS! Suche dringend folgende Blockblätter: König der Schreibfaulen, Fischflitzer, Gute-Laune-Angler, Knatterpärchen, Glücksbringer.“

Kein Comic, kein Film und keine Zeichentrick-Serie ist dem beispiellosen Erfolg dieser Maus vorausgegangen. Und dennoch bewegt sie derzeit die Herzen vor allem der 6- bis 14-jährigen Mädchen, wie es kaum ein Popstar schafft.

„Diddl-Maus“ heißt das Phänomen, das vor genau neun Jahren bei der Firma Depesche im norddeutschen Geesthacht begann. Da erhielt Firmengründer Kjeld Schiotz per Post einige Zeichnungen des damals 24-jährigen Thomas Goletz: Sie zeigten eine extrem großfüßige Springmaus mit Latzhose. Schiotz war sofort vom knuddeligen Charme des Nagetiers begeistert und produzierte zunächst eine Serie mit Postkarten. „Brandheiße Pooost“ verkündet auf einer der ersten Karten eine rennende Maus mit brennendem Schwanz. Und von einem Käse-Planeten winkt Diddl: „Viele Grüße aus der Ferne“.

Zunächst waren die „blubberbunten“ Bildchen nur in einem Lübecker Kaufhaus erhältlich. Doch von dort breitete sich das Diddl-Fieber bald stetig über die Republik aus.

„Haifischflossenfabulöser Super-Schinken“

Den ersten Karten folgten Diddl-Bleistifte, Diddl als Plüsch-Maus, auf Schultüten, Bettwäsche etcetera etcetera etcetera: Der Merchandising-Artikel Diddl-Maus vermarktet sich selbst. Über tausend verschiedene Produkte sind auf 450 Seiten in „Diddls Knuddel-Sammlung“, dem Gesamtverzeichnis aller bisher lieferbaren Artikel abgebildet, einem „haifischflossenfabulösen Super-Schinken“.

Im wischfest eingebundenen Erinnerungsbuch „Meine dicksten Freunde“ — einer modernen Abwandlung des Posie-Albums — hat sich Diddl sogar als allererster eingetragen, handschriftlich natürlich: „Geburtsort: Käsekuchenland“. „Mein liebstes Schulfach: Diddln, Blödln“. „Was ich werden möchte: Bundeskäsekanzler“.

Ein Mädchen im Grundschul-Alter, das keine Diddl-Sammelmappe mit Diddl-Postkarten und Diddl-Block-Blättern zum Tauschen besitzt, ist rettungslos zur Außenseiter-Rolle verurteilt. Dabei unterscheiden die Kleinen sehr genau zwischen seltenen und weniger seltenen Motiven. Entsprechend ist der Wert auf dem Tauschmarkt. Falsch sind allerdings Gerüchte, dass man bei Einsendung bestimmter, besonders rarer Motive eine Belohnung von Depesche erhalte. Unwahr wie viele andere Ondits, die sich inzwischen um die Maus ranken.

Kommerzieller Durchbruch ohne Werbung

Geschafft hat Depesche den riesigen kommerziellen Durchbruch ohne Werbung. Unter Journalisten heißt es sogar, dass es einfacher sei, Fort Knox zu betreten als einen Besuchs-Termin in der „Diddl-Werkstatt“ zu bekommen. Unternehmens-Sprecher Jens Niemeyer gibt ausschließlich am Telefon Auskunft: „Wir versuchen alles zu vermeiden, was nicht von Substanz ist und nicht der eigenen Profession dient. Auch Presse-Arbeit machen wir so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig.“

Von schnelllebigen Trends will Niemeier die Maus klar abgrenzen. Der nun schon jahrelang andauernde und sich ständig steigernde Erfolg gibt ihm bisher recht. Über 700 Fan-Briefe beantwortet die eigens dafür eingerichtete Abteilung bei Depesche täglich. Ansonsten gibt es Informationen und Produkt-Neuigkeiten nur im vierteljährlich erscheinenden „Käseblatt“, dessen Auflage die halbe Million längst überschritten hat; Tendenz rasant weiter steigend.

In dieser „knallbunten“ Zeitschrift hat auch Diddl-Erfinder Goletz sein bisher erstes und einziges Interview gegeben — einem Comic-Hasen-Reporter. Dem erzählt er, warum Diddl so erfolgreich ist: „Durch Diddl spreche ich wohl die Herzen vieler Menschen in ganz besonderer Weise an.“ Viele Fanclubs, zahlreiche Diddl-Seiten im Internet und jede Menge Zuschriften an das „Käseblatt“ bestätigen das.

Verknappung sorgt für Nachfrage

Dass trotz der Flut von Diddl-Artikeln die Maus unverändert begehrt ist, ja der Kurs sogar weiter steigt, mag vor allem an zwei Dingen liegen. Zum einen werden die Postkarten-Motive und auch andere Artikel nur eine bestimmte Zeit hergestellt und danach nie wieder aufgelegt. Eifrige Sammler können sie dann nur noch durch Tausch erlangen. Das bedeutet: rechtzeitig genügend Tausch-Werte ansammeln.

Zum anderen beliefert Depesche lediglich einen begrenzten Kreis von Einzelhändlern. Und selbst bei denen werden bestimmte Artikel von Zeit zu Zeit knapp. So kann es passieren, dass im Umkreis einer Großstadt wochenlang kein einziger Diddl-Block aufzutreiben ist.

Sprecher Niemeier bestreitet die oft geäußerte Vermutung, dass dahinter eine gezielte Politik stehe: „Wir haben einen über Jahre gewachsenen Kundenstamm. Den können wir gar nicht erweitern, weil die Nachfrage schon jetzt so groß ist, dass wir gelegentlich mit Rückständen arbeiten.“ Man verknappe also nicht absichtlich, sondern „wir haben einen gewissen Qualitätsstandard, den wir halten. Wir arbeiten beispielsweise für die Blöcke nicht mit irgendeiner Druckerei zusammen, sondern immer mit der selben, auf die wir uns verlassen können. Das setzt der Produktion natürliche Grenzen.“

Konsequent harmlos und fröhlich

Derweil erfindet Diddl-Zeichner Goletz, mit Ehefrau Jutta zurückgezogen auf einem süddeutschen Bauernhof lebend, laufend neue der konsequent harmlosen und fröhlichen Diddl-Motive. Und bekennt: „Immer wenn ich Diddl zeichne, wird’s mir mollig warm ums Herz. Diddl ist eben wirklich lebendig und hat zudem eine gute Seele.“

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Dr. Kerstin Hoffmann

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