#Sprachhack — wie ein Bug unsere Beziehungen manipuliert

Pia Pusteblume
5 min readMay 28, 2017

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Es gibt da einen Eindringling unter uns. Einen Virus. Einen Bug. Er ist unsichtbar, denn er hat sich dort eingenistet, wo wir ihn im Eifer des täglichen Lebensgefechts nur schwer bemerken. Dort, wo er uns unbemerkt am meisten schadet: In unserer Sprache.

Von dort aus manipuliert er skrupellos unsere Gespräche, unser Zusammensein und letztlich wie wir gemeinsam mit anderen Leben: Unsere Beziehungen. Und er hat nichts gutes im Sinn.

Er versteckt sich in einem kleinen unscheinbaren Wort. Ein Wort, das wir täglich tausend Mal benutzen, ohne groß darüber nachzudenken: Aber!

“Aber” macht einen Unterschied. “Aber” grenzt eine Seite von der anderen ab. “Aber” lässt diese zwei Seiten erst entstehen. Nicht weiter schlimm, könnte man meinen. “Aber” ist doch so ein nützliches Wort.

Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber das geht nun wirklich nicht.”

“Ich vertraue dir ja, aber das glaube ich dir nicht.”

“Ich würde mich sehr gerne mit dir unterhalten, aber ich habe gerade wirklich keine Zeit.”

Und doch entsteht durch ein “aber” beim Gegenüber unweigerlich ein komisches Gefühl. “Aber” ist ein Gift, das unsere Unterhaltungen vergiftet und unsere Nachrichten verfälscht. Wie ein Tropfen Benzin in einem Glas Wasser färbt “Aber” unsere Aussagen ein, macht sie trübe und dreht sie letztlich einfach herum.

Plötzlich stehen zwei Aussagen im Raum: Die Gesagte und die Gehörte. Plötzlich können nur noch Missverständnisse entstehen.

“Aber” sagt dem Empfänger, dass alles vorher Gesagte relativ ist. Alles was vor “Aber” gesagt wird, ist spätestens beim Hören des “Zauberworts” für den Gesprächspartner völlig irrelevant, wird oft sogar als Unwahr empfunden. Was gerade noch ein klares Glas Wasser war, kommt beim Adressaten der Nachricht als etwas Ungenießbares und Giftiges an.

“Ich mag dein Geschenk wirklich, aber…”

Und nicht nur macht ein kleines Wort den ersten Teil eines Satzes irrelevant, er lässt auch die Lust dem zweiten Teil zuzuhören im Nichts verpuffen. Man schaltet ab.

“Ich könnte dir ewig zuhören, aber…”

Die gut gemeinte erste Nachricht ist kaputt. Ins Gegenteil gedreht, durch ein kleines Wort.

“Ich liebe dich, aber…”

Und damit nicht genug: Die Macht dieser scheinbar so kleinen kommunikativen Unaufmerksamkeit geht noch weiter. Denn trifft ein “Aber” auf ein anderes, vermehren sich die Missverständnisse.

Ein mit “Aber” eingeleiteter Satz überbringt nicht nur das Gegenteil dessen, was er eigentlich transportieren sollte. Zusätzlich straft er jede Aussage des Gegenübers als Lüge ab.

“Ja, aber…” kommt an als “Nein, du hast Unrecht.”

So entstehen die schillerndsten Streitgespräch nur aus dem Gefühl zweier Parteien heraus, sie würden sich widersprechen, während keiner der beiden noch in der Lage ist zu hören, dass sie inhaltlich eigentlich vielleicht sogar gleicher Meinung sind.

Der Virus sitzt tief. Die Perfektion dieses Fehlers zeigt sich darin, dass wir ihn erst bemerken, wenn wir anfangen ihn zu bekämpfen. Seine brutale Wirkung zeigt sich erst, wenn er langsam verschwindet indem wir ihn fein säuberlich aus unserer Sprache herausoperieren.

Und dann verändern sich Welten.

Die gute Nachricht: Es gibt ein Antibiotikum.

Und es ist genau so unscheinbar und klein wie der Bug selbst. Und wirkt genau dort, wo es dem Fehler am meisten weh tut: Ebenfalls in unserer Sprache.

Das Zaubermittel

Wir ersetzen jedes “aber” durch ein “und”.

Klingt komisch. Klingt zu einfach. Ja, aber es ist 100% wirksam.

Und fangen wir doch gleich mal an:

“Klingt komisch. Klingt zu einfach. Ja, UND es ist 100% wirksam.”

Ein “und” sagt nicht “stattdessen”. Es sagt nicht “trotz” und nicht “dennoch”. Es macht keinen Unterschied auf, kein “einerseits, andererseits”.

Ein “und” sagt “ausgehend von dem gerade Gesagten möchte ich noch etwas hinzufügen und beide Aussagen sind gleichermaßen wahr.”

Anders als bei der Error-durchzogenen “Aber”-Konversation gibt es keinen Unterschied mehr zwischen dem Gesagten und dem vom Gegenüber Gehörten.

Gesagt: “Ich vertraue dir, ABER das glaube ich dir nicht.”
Gehört: Eigentlich vertraue ich dir nicht. Oder zumindest jetzt nicht mehr.

Oder:

Gesagt: “Ich vertraue dir UND das glaube ich dir nicht.”
Gehört: Hier muss es ein Missverständnis geben, denn ich vertraue dir ja. Eigentlich müsste ich dir glauben. Gib mir mehr Informationen, damit ich dich besser verstehe.

Gesagt: “Ich könnte dir ewig zuhören, ABER gerade bin ich schon mega spät dran und muss echt weiter.”
Gehört: Dein Gequatsche nervt mich eigentlich immer, wenn ich dich treffe, deshalb erfinde ich etwas, damit ich dich hier stehen lassen kann.

Oder:

Gesagt: “Ich könnte dir ewig zuhören UND gerade bin ich schon mega spät dran und muss echt weiter.”
Gehört: Schade, dass ich weiter muss. Ich freue mich schon darauf, wenn wir uns das nächste Mal über den Weg laufen und wir ein bißchen mehr Zeit haben zu quatschen.

Ein Aufruf

Bekämpfen wir den Beziehungs-Bug in unserer Sprache und holen wir uns die Macht darüber zurück, was bei unserem Gegenüber tatsächlich ankommt, wenn wir unseren Mund öffnen.

Die 3-Phasen-Medizin:

Der Virus sitzt tief. Und leider müssen wir ihn am widerspenstigsten Teil unseres Gehirns bekämpfen: Bei unseren Gewohnheiten.

Schritt 1:

Der wichtigste Schritt: Den Virus finden. Mit ein wenig Aufmerksamkeit wird uns auffallen, wie oft sich der kleine Mistkerl in unseren und den Sätzen unserer Gesprächspartner versteckt und welche Wirkung er dort hat. Damit ist der schwierigste Schritt getan. Denn einmal entdeckt wird er plötzlich überall sichtbar und wir fragen uns, wie wir ihn jemals einmal NICHT sehen konnten.

Schritt 2:

Hier geht es dem Bug an den Kragen: Haben wir mal einen “aber”-infizierten Satz erkannt, wiederholen wir ihn. Und diesmal mit “und”. Anfangs kommen wir uns vielleicht ziemlich bescheuert dabei vor. Deshalb wird es mit einer kleinen Einleitung einfacher, die dem Gegenüber klar macht, dass man nicht verrückt oder senil geworden ist, wenn man Sätze doppelt sagt.

“Ich wollte dich gestern anrufen, ABER mein Akku war alle. …. Ich meine: Nicht aber, sondern und… Also, ich wollte dich gestern anrufen UND mein Akku war alle.”

Schritt 3:

Mit etwas Übung lassen sich die “aber”-Biester irgendwann sogar im Voraus erkennen. Dann hilft eine Vollbremsung: Den Satz vor dem “aber” einfach kurz stoppen. Kurz durchatmen und das “aber” durch ein “und” ersetzen.

“Ich habe mich total über deine Nachricht gefreut….. UND ich bin noch gar nicht dazu gekommen dir zurückzuschreiben.”

Schritt 4:

Durchhalten.
Die Anfänge fühlen sich meist holprig und unnatürlich an. Und die Wirkung wird Berge versetzen. Ersetzen wir konsequent 90% aller “aber” durch “und”, findet die Klarheit in unsere Kommunikation zurück, werden Unterhaltungen zielführender und Beziehungen wohlwollender, harmonischer und offener.

Die Kür: Stellen wir uns einmal ein Streitgespräch vor, indem es “Ja, aber”s nicht mehr gibt. Indem sie ersetzt wurden durch “Ja, und”s.

Denn manchmal kann ein kleines Wort darüber entscheiden, wie unser Leben weiter verläuft.

Gesagt: “Ja, ich liebe dich, ABER gerade habe ich echt wahnsinnig viel mit mir selbst zu tun.”
Gehört: Lass mich in Ruhe. Du verstehst mich sowieso nicht.

Oder:

Gesagt: “Ja, ich liebe dich UND gerade habe ich echt wahnsinnig viel mit mir selbst zu tun.”
Gehört: Ich liebe dich und bei dem, was mich bewegt kannst du mir vielleicht gerade nicht helfen. Bleib bei mir. Geh nicht weg.

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Pia Pusteblume

Pferdemädchen, Sinnsucher, Weltretter, Brandredner, Pusteblume, Achtsamkeits-Coach.