Roger Koplenig
6 min readDec 21, 2017

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Was wir von der Philosophie der Stoa für’s (Berufs-)Leben lernen können

Wir leben in einer Zeit der ständigen Optimierung. Alles soll immer besser, schneller, schöner werden. Vor allem wir selbst.

Es werden jedoch schon Gegner dieser Selbstoptimierung laut. Kassandra-Rufe aus der Ecke der Entschleunigungs-Propheten und Achtsamkeits-Experten mahnen uns, mit unserer Energie sparsam umzugehen, weniger zu arbeiten, uns Auszeiten zu nehmen und am besten ganze Organisationen in Wohlfühloasen zu verwandeln. Glaubt man diesen Rufen, werden wir unglücklich werden, in Depressionen verfallen bis uns letztlich das Burnout endgültig hinweg rafft, wenn wir dies nicht tun. Oder ist es nur eine Frage, wie wir mental mit der kontinuierlichen Verbesserung, Optimierung und Beschleunigung umgehen? Ich finde ja, und werde nachfolgend “Methoden” vorstellen, welche ich mittlerweile selbst anwende.

Vor nicht allzu langer Zeit, bin ich auf ein kleines Buch gestoßen, das “Handbüchlein der stoischen Moral” von Epiktet. Während der Lektüre wurde mein Interesse am Thema Stoizismus erhöht und ich begann zu recherchieren. Bisher war die Stoa, wie sie auch genannt wird, für mich eine Philosophie der Antike, ohne jeglicher praktischer Relevanz. Dies hat sich schnell geändert.

Epiktet schrieb gleich zu Beginn seines Handbüchleins:

“Einige Dinge sind in unserer Gewalt, andere nicht. In unserer Gewalt sind: Meinung, Trieb, Begierde, Widerwille, kurz: Alles, was unser eigenes Werk ist. — Nicht in unserer Gewalt sind: Leib, Vermögen, Ansehen, Aemter, kurz: Alles was nicht unser eigenes Werk ist.”

Gemeint ist damit, dass alle Dinge, welche in unserer Gewalt sind, von der Natur her frei sind. Sie können nicht verhindert oder in Fesseln geschlagen werden. Andersrum sind Dinge, die nicht in unserer Macht stehen schwach, können verhindert oder entfremdet werden. Dies ist eine der Hauptthesen der stoischen Philosophie.

“Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Vorstellungen und Meinungen von den Dingen.”

Ekpiktet

Stoizismus als Mentaltraining

Vermutlich werden sowohl Philosophen als auch Mentaltrainer aus der Haut fahren, wenn sie lesen, dass ich die beiden Dinge hier in einen Zusammenhang bringe. Dennoch habe ich gerade bei der Stoa Möglichkeiten gefunden, mich mental positiv zu beeinflussen. Die Anwendung dieser Methoden hatten und haben mein Wohlbefinden verbessert UND meine Leistungsfähigkeit erhöht. Sowohl bei der Arbeit als auch beim Sport (Laufen).

Wir leben in einer Zeit, die durch Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit gekennzeichnet ist. Dies erfordert von uns auch “neue” mentale Modelle, wie wir damit wirksam umgehen können. Selbstgesprächsinstruktionen können uns dabei helfen. Wie oft driften wir gedanklich ab und verabschieden uns aus der Gegenwart. Viele von diesen Gedanken sind unangenehm, bis hin zu reinen Hirngespinsten, die jeder vernünftigen Beurteilung nicht standhalten würden. Auch hier hilft uns die Stoa mit einer einfachen aber effektiven Selbstgesprächsinstruktion:

“Du bist nichts das, was du zu sein scheinst, sondern bloß ein Gedankending.”

Ekpiktet

Ekpiktet meint dann weiter: “Alsdann prüfe nach den von dir angenommenen Grundregeln, besonders nach der ersten, ob es den zu den in unserer Macht stehenden Dingen gehöre oder nicht. Gehört es zu den nicht in unserer Macht stehenden, so halte dieses Wort bereit:

“Es berührt mich nicht.”

Ich habe bemerkt, dass sich meine Resilienz sehr verbessert hat, seit ich mich mit der Philosophie der Stoa beschäftige. Der Philosoph Ralf Konersmann verortet etwa eine “Reduktion von Komplexität” (nach Niklas Luhmann) durch die Anwendung dieser Philosophie. “Aber nicht willkürlich, nach Maßgabe irgendwelcher Zwecke und Zielvorstellungen, sondern mit dem Versprechen, dass dies sachlich gebotene, verlässliche Reduktionen sind, dass sie seriös und tragfähig sind auf Grund ihrer Situationsangemessenheit.” Dies ist darüber passiert, dass ich mich gedanklich mehrheitlich nur um die Dinge kümmere, die im Innen liegen, also in meinem Einflussbereich. Wenn wir uns mehr unserer Logik bedienen — also der Vernunft (Logos — aus der Dialektik, der Erkenntnistheorie der Stoa), kümmern wir uns weniger um unsere Annahmen, Meinungen und Vorstellungen, wie etwas zu sein oder nicht zu sein hat. Wahre und falsche Vorstellungen und solche, die nichts von beidem sind, werden damit erkannt und somit die Komplexität reduziert. Ebenso verlieren Unbeständigkeit, Unsicherheit und Mehrdeutigkeit ihre Bedrohlichkeit, da wir mit der Vernunft Lösungen für den Umgang damit finden.

“Verlange nicht, dass das was geschieht, so geschieht, wie du es wünscht, sondern wünsche, dass es so geschieht, wie es geschieht, und dein Leben wird heiter dahinströmen.”

Ekpiktet

Alleine dadurch, dass die Erwartungshaltung sich verändert, ändert sich die Herangehensweise an Probleme. Wir sind mental vorbereitet auf alle Unwegbarkeiten, die auf uns zukommen und damit in der Lage adäquat mit der jeweiligen Situation umzugehen. Ein Methode, welche sich Stoiker hier bedienen, ist die “negative Vorwegnahme” von Ereignissen. Man stellt sich vor, was im schlimmsten Fall passieren könnte und wie man in dieser Situation reagiert.

Dazu bietet sich folgendes Morgenritual an, welches vom römischen Kaiser Marcus Aurelius, einer der berühmtesten Stoiker, stammt. Frage dich jeden Morgen:

  • Was habe ich heute vor?
  • Was mache ich heute besser?
  • Was kann mich daran hindern?

Die letzte Frage stellt die “negative Vorwegnahme” dar. Damit ist man auf einen Großteil der möglichen Störungen vorbereitet. Und, selbst wenn man noch keine Maßnahme dagegen gefunden hat, weiß man wie man mit der Situation umgehen wird. Ich habe festgestellt, dass ich mit diesem Vorgehen mehr Klarheit in den Tag bringe. Der Automodus wird damit ausgeschaltet. Anstatt jeden morgen sofort mit der ersten Aufgabe der ToDo-Liste zu beginnen, ist dies der Moment, der den Fokus für den Tag klärt.

Ist der Fokus geklärt, beginnt das disziplinierte Arbeiten. Eine weitere Tugend der Stoa.

“Tue nichts mit Unwillen, nichts ohne Rücksicht aufs Gemeinwohl, nichts übereilt, nichts in Zerstreuung.”

Marcus Aurelius

Disziplin, Produktivität und Zufriedenheit

Die Stoiker haben erkannt, dass diszipliniertes Handeln zu Freiheit des Menschen führt. Disziplin ist eine bewusste, freie Entscheidung, also nichts was uns von außen auferlegt wird. Wir selbst entscheiden uns dafür, etwas zu tun und gleichzeitig gegen den (momentanen) Widerstand oder Unwillen es zu tun. Dieser Widerstand gegen eine Aufgabe kann sich auch in “… ich habe noch so viel andere Dinge zu tun, deshalb…” äußern. Wichtig ist, hier zu erkennen, dass man sich damit erstens von seinem Ziel entfernt und zweitens sich seiner eigenen Produktivität beraubt. Das Denken an andere Aufgaben, während man mit einer Aufgabe beschäftigt ist, führt zu Zerstreuung und ist nichts anderes als ein Widerstand gegen momentane Aufgabe. Sie senkt die Arbeitsgenauigkeit und Arbeitsgeschwindigkeit und führt obendrein noch dazu, dass wir uns schlecht fühlen, weil a) nicht der Aufgabe weiterkommen und b) vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen. Überforderung tritt ein und, wenn man dies zu lange tut, kann tatsächlich ein Burnout entstehen.

Alles was es braucht, ist unsere bewusste Entscheidung, genau dies nicht zu tun. Es liegt allein in unserem Einflussbereich, welche Entscheidungen wir treffen.

Selbstdisziplin ist eine Eigenschaft, die gerade auch in den Organisationen der Zukunft immer wichtiger werden wird. Wenn wir davon ausgehen, dass Organisationen künftig durch mehr Selbstorganisation, also weniger Steuerung und Regelung von außen (oben) erfolgen wird, kann diese nur dann gelingen, wenn Teams in disziplinierter Gemeinschaft miteinander arbeiten. Manche haben diese bereits gelernt, manche werden es lernen müssen.

Es ist also nicht nur unsere eigene Produktivität, sondern auch die der Teammitglieder von unserer Disziplin abhängig. Je mehr man sich mit der Philosophie der Stoa beschäftigt, desto leistungsfähiger und produktiver wird man. Zumindest habe ich das bei mir festgestellt. Aktuell lese ich übrigens “Selbstbetrachtungen” von Marc Aurel. Auch ein sehr interessantes Buch.

Die Steigerung von Pflichtbewusstsein (manche Dinge müssen einfach getan werden) und der Selbstdisziplin führen außerdem zu höherer Zufriedenheit mit uns selbst, konnte ich feststellen. Egal, ob dies Ziele bei der Arbeit, dem Sport oder einem anderen Lebensbereich betrifft. Dinge, die wir getan haben, gerade weil diese unbequem und unangenehm waren, führen zu höherer Zufriedenheit.

Ihr habt Fragen zum Thema oder eine andere Meinung als ich und die Stoiker, dann postet diese bitte in den Kommentaren.

Meine Profile in den sozialen Netzwerken: http://about.me/roger.koplenig

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