Wie das Bedingungslose Grundeinkommen die Ökonomisierung der Sozialen Arbeit neutralisieren könnte?

Sowi Sunshine
5 min readNov 12, 2016

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Überlegungen zu Inklusions- und Exklusionspotentialen

Aktuelle Diskussionen um weitere Restriktionen der Mindestsicherung sind Ausdruck einer aktivierenden Sozialpolitik, die exklusionsfördernde Effekte für das Klientel der Sozialen Arbeit noch weiter verstärken. Damit werden Kontrollmechanismen weiter ausgebaut und sozialanwaltliche Formen Sozialer Arbeit zu Gunsten disziplinierend-kontrollierender Formen weiter in den Hintergrund gedrängt.

Auf der Suche nach Alternativen wird unter Sozialarbeitenden das Modell des Bedingungslosen Grundeinkommens diskutiert. Häufig fokussieren Diskurse über das BGE auf die Frage seiner Finanzierbarkeit und seiner Auswirkungen auf das Arbeitsangebot. Weniger thematisiert wird bisher welche Folgen es für die Soziale Arbeit im Allgemeinen und die alltägliche Lebensführung ihrer Klient*innen haben könnte. Spannende Fragen in diesem Zusammenhang wären: Wirkt ein bedingungsloses Grundeinkommen eher autonomiefördernd oder –hemmend bzw. ruft es inklusionsfördernde oder sogar exklusionsbegünstigende Wirkungen hervor?

Bisherige Entwicklungen in der Sozialen Arbeit

Seit Mitte der 90er Jahre zeichnet sich in der österreichischen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ein tiefgreifender Wandel ab. Wie Dimmel bereits am Beispiel der Mindestsicherung ausgeführt hat unterliegen sozialpolitische Ziele und Praktiken seither einem restriktiven Imperativ, der Transfereleistungen verstärkt an die Aufnahme von Arbeit bindet und Leistungsempfänger*innen immer weniger als Träger*innen von Rechten sondern vielmehr als Verursacher*innen von Kosten angesichts immer knapper werdender Sozialbudgets ansieht.

Der “aktivierende Sozialstaat” hat folglich auch in der Sozialen Arbeit zu tiefgreifenden Veränderungen geführt, welche in manchen Handlungsfeldern zu einer Stärkung disziplinierend-kontrollierender Interventionen und Maßnahmen Sozialer Arbeit geführt haben.

Die globale Finanzkrise, die ihren Anfang im Jahr 2008 nahm, hat diese Veränderungstendenzen noch weiter vorangetrieben. Gleichzeitig mit der von Atzmüller beschriebenen Transformation der Finanzkrise in eine Staatsschuldenkrise kam ein gesellschaftlicher Umdeutungsprozess in Gang, innerhalb dessen Deutungen über die unregulierten Finanzmärkte als Verursacher der verschuldeten Staatshaushalte von Deutungen über die angebliche Unfinanzierbarkeit des zu teuren Wohlfahrtsstaates überlagert werden. Vor allem innerhalb neoliberaler Diskurse zeichnen Sozialpolitik, soziale Sicherungssysteme und träge staatliche Verwaltungsstrukturen für die Probleme bei der Sanierung des Staatshaushaltes verantwortlich.

Damit hat sich der Druck auf die sozialen Sicherungssysteme weiter verstärkt, was folglich auch den Rückbau des Sozialstaates weiter vorantreibt. Die Politik der letzten zwei bis drei Jahrzehnte und damit verbundene Einschnitte ins Sozialsystem haben so zu einer Zunahme sozialer Ungleichheit geführt. Es ist anzunehmen, dass Formen armutsverwaltender-paternalistischer Sozialer Arbeit mit zunehmendem Einsparungsdruck noch weiter an Bedeutung gewinnen werden.

Alternative Bedingungsloses Grundeinkommen: Inklusionsfördernde Potentiale?

Auf der Suche nach Alternativen und adäquaten Antworten auf die Auswüchse der Ökonomisierung der Sozialen Arbeit, wird innerhalb Sozialarbeitender das Bedingungslose Grundeinkommen vor allem bezüglich seiner Auswirkungen auf das doppelte Mandat (Hilfe und Kontrolle) diskutiert. Da das bedingungslose Grundeinkommen die Koppelung von Erwerbsarbeit und Existenzsicherung aufhebt und bedingungslos als Solidarleistung gewährt werden soll, verbinden Sozialarbeitende folgende Erwartungen mit der Einführung eines BGE.

Reduktion disziplinierend-kontrollierender Maßnahmen und Interventionen

Sich auf dem Vormarsch befindliche disziplinierend-kontrollierende Praktiken der Sozialen Arbeit könnten durch das BGE eingedämmt werden, da aufgrund der Konzeption des BGE eine Bedürftigkeitsprüfung entfällt und Transferempfänger*innen — so die Hoffnung — wieder verstärkt als Träger*innen von Rechten wahrgenommen werden. Damit kann auch einer weiteren Stigmatisierung der Klient*innen entgegengewirkt werden. Im Zuge der Bedürftigkeitsprüfung über Ansprüche der bedarfsorientierten Mindestsicherung sind Klient*innen derzeit dazu verpflichtet ihre Armut offenzulegen und zu belegen. Diese Prozeduren des systematischen Eindringens in die persönliche Sphäre des Selbst implizieren beschämende Entblößungen und Demütigungen, die zwar nicht intendiert sind, aber dennoch Folgen für den Status und das Selbst der Klient*innen haben. Mit dem Entfall einer Bedürftigkeitsprüfung würden derartige Prozeduren überflüssig und zu einer Entlastung für die Klient*innen führen.

Mit der Entbindung von der Pflicht zur Arbeit würden Klient*innen in einem sehr zentralen Handlungsfeld der Sozialen Arbeit quasi aus der Pflichtklient*innenschaft entlassen und sozialanwaltliche Funktionen der Sozialen Arbeit könnten verstärkt in den Vordergrund treten.

Soziale Arbeit auf Augenhöhe

Da aufgrund der Tatsache, dass finanzielle Notlagen aufgrund der bedingungslosen Gewährung des BGE schon im Vorfeld abgefedert würden, anzunehmen ist, dass Klient*innen Kontakte zur Sozialen Arbeit „relativ“ selbstbestimmt und freiwillig aufnehmen, kann des Weiteren davon ausgegangen werden, dass die verstärkte Etablierung des dialogischen Prinzips innerhalb der Klient*innen-Sozialarbeiter*innen-Beziehung sehr günstige Bedingungen des Unterstützungsprozesses befördern, und damit autonomie- und inklusionsfördernd wirken würde.

Die Etablierung des Bedingungslosen Grundeinkommens würde somit sowohl zu Entlastungseffekten und Autonomiegewinnen auf Klient*Innenseite als auch auf Seiten der Sozialarbeitenden führen. Eine Stärkung von sozialarbeiterischen Ansätzen und Paradigmen, welche die letztendliche Entscheidungskompetenz der Klient*innen anerkennt und die Autonomie der Lebenspraxis der Klient*innen respektiert, könnten wieder belebt werden. Damit — so die Erwartungen — würden schließlich Ökonomisierungstentenzen in der Sozialen Arbeit, die quantifizierend-betriebswirtschaftlichen Logiken unterliegen, gezügelt.

Das Bedingungslose Grundeinkommen weist aus der Sicht der Sozialen Arbeit inklusionsfördernde Potentiale auf, die nicht nur zu mehr Selbstbestimmung auf Klient*innenebene führen könnten, sondern abseits betriebswirtschaftlicher Logiken Sozialer Arbeit auch vielversprechende Freiräume für Innovation und Impulse einer weiteren Professionalisierung der Sozialen Arbeit schafft.

Das Bedingungslose Grundeinkommen im Knotenpunkt unterschiedlicher Logiken

Die neoliberale Logik — Das BGE als Almosen

Derzeit werden zahlreiche Modelle des Bedingungslosen Grundeinkommens diskutiert, die sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht stark unterscheiden. Vor allem neoliberale Modelle, die vorsehen sozialstaatliche Leistungen durch das BGE als bloße Geldleistung zu substituieren und häufig unter dem gesetzlichen Existenzminimum liegen stellen vorwiegend Almosenmodelle dar. Nicht zuletzt deshalb wird das BGE auch als „tronjanisches Pferd des Neoliberalismus“ (Schäfer) bezeichnet, da es neben einer bedingungslosen Gewährung eines zu niedrigen Geldbetrags auch eine Abschaffung der Sozialversicherung impliziert. Je nach Modell und tatsächlicher Umsetzung könnte das einen „Sozialstaat light“ nach sich ziehen. Zudem wäre in dieser Logik soziale Teilhabe allein an Geldleistungen gebunden. Für das Klientel der Sozialen Arbeit würde das zwar einerseits eine Absicherung der Existenz bedeuten, soziale Teilhabe wäre damit jedoch nur in der Rolle der/des Konsument*in garantiert. Solange jedoch Erwerbarbeit ein wesentliches Partizipationsmerkmal in unserer Gesellschaft darstellt, bedarf es arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen um die Ausgrenzung von Gesellschaftsgruppen vom Arbeitsmarkt und die Entstehung eines neuen Prekariats zu verhindern.

Die emanzipatorische Logik — BGE als Mittel zur Autonomiegewinnung

Ganz anders präsentiert sich das Konzept des Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt Austria. Diese fordern das bedingungslose Grundeinkommen als Teil eines sozialstaatlichen Gesamtkonzepts und Mittel zur Autonomiegewinnung, in dem der Sozialstaat nicht abgeschafft werden, sondern als soziales Grundrecht integriert werden soll.

Derartige Modelle sind aus Sicht der Sozialen Arbeit zu befürworten, da sie inklusionsfördernde Potentiale aufweisen. Die Frage was Menschen zu einem guten, gelingenden Leben neben einer existenzsichernden Geldleistung benötigen, sollte dabei im Mittelpunkt stehen. Aus Sicht der Sozialen Arbeit bedarf es dazu eines Rechtsanspruchs auf, und unentgeltlichen Zugang zu basalen sozialen Gütern und Dienstleistungen, die gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen und damit inklusions- und autonomiefördernd wirken. Dazu zählt etwa Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und -vorsorge, leistbares Wohnen und eine verbesserte Arbeitsmarktpolitik sowie der Zugang zu Erwerbsbeteiligung.

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