Titelbild inspiriert durch diese Grafik.

Hilfe, ich bin ein Perfektionist!

Gedanken und Beispiele aus dem Leben eines Perfektionisten

Patrick Schumacher

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Als Perfektionist hat man es einfach nicht leicht. Viele Dinge werden durch den Gedanken, alles besser machen zu können, erschwert bis beinahe unmöglich. Schreiben, gestalten, entwickeln. Keine leichten Tätigkeiten als Perfektionist. Und doch kann und will ich es tun.

Kurze Anmerkung: Nein, ich brauche keine akute Hilfe. Nur Aufmerksamkeit. Ich komme mit meinem Perfektionismus eigentlich ganz gut klar. Bei diesem Beitrag handelt es sich ledeglich um freie Gedanken von mir.

Woran erkennt man Perfektionisten?

Würde man mich auf der Straße treffen, wird man mir wohl nicht unbedingt anmerken, dass ich ein Perfektionist bin:

Wuschelige Haare, verblasst, ungleichmäßig gefärbt. Zerfetzte Chucks, komische Band-Shirts. Äußerlich ein Pseudo-Punker. Überhaupt nicht perfekt. Auch Zuhause regiert gerade eher das kreative Chaos. Dokumente im ganzen Raum verteilt, das Geschirr nicht gespült, das Bett nicht gemacht.

Aber wer hat denn auch behauptet, dass sich Perfektionisten die Haare gelen und frisch gebügelte Hemden tragen, stets das Chaos im Griff haben und die Zimmerfliesen blitzeblank putzen? Die wenigstens Perfektionisten sind so. Glaube ich zumindest.

Perfektion ist keine Sache der Äußerlichkeit. Und auch nicht mit Ordnung und Sauberkeit gleichzusetzen. Nicht immer. Perfektion hat viele Facetten. Im Grunde genommen wollen wir einfach alles gut und richtig machen. Oder eher: besser und richtiger.

The Perfectionist Scale – © Bev Webb 2012

Perfektionisten werden daher oft als Besserwisser oder boshafte Kritiker abgestempelt und machen sich dadurch nicht immer sehr beliebt bei den Mitmenschen. Ich selbst kritisiere auch oft und gerne. Leider?! In der Oberstufe wurde mir dafür die Auszeichnung als fachlicher Kümmelspalter verliehen.

„Wiewohl die kümmelspalterische Pedanterie bisweilen grimmigen Argwohn und giftiges Missbehagen geschürt und manche Mitstreiter auf das ärgste in Harnisch gebracht hat, so darf darüber nicht ihre belebende Wirkung vergessen werden, die dem Kurs den Geist des Widerspruchs eingehaucht und gerade dadurch seine Dynamik stets aufs Neue entfacht hat.“ – Albert Steinmetz

Doch sind meine Einwände ((fast)) immer konstruktiv und als Vorschläge zu verstehen. Nie ein persönlicher Angriff! Der größte Kritiker von uns Perfektionisten ist sowieso der Perfektionist selbst. Ich kritisiere meine eigene Arbeit und fordere mich selbst heraus. Ich kann’s ja besser als ich selbst. Perfektionismus eben.

In welchen Bereichen die perfektionistische Ader ausgeprägt ist, ist wohl oft unterschiedlich. Ich bin beispielsweise kein Ordnungsfreak mehr. Diese Perfektion habe ich vor Eintritt in die gymnasiale Oberstufe abgelegt. Bei mir zeigt sich das Streben nach Vollkommenheit eher in Hobby und Beruf. Dinge, die mir Spaß bereiten, möchte ich gut machen. Perfekt machen.

Perfektion beim Schreiben

Ein einfacher Blog-Beitrag, wie dieser hier, dauert seine Zeit, denn ich muss vorher erstmal Gedanken sammeln. Sortieren. Einordnen. Schreiben. Überarbeiten. Finalisieren. Nochmal überabeiten. Veröffentlichen.

Jeder einzelne Satz wird mit Bedacht formuliert. Umformuliert. Neu formuliert. Einfach, weil es immer besser geht. Eigentlich steht dahinter fast immer die gleiche Message, doch ist sie stets anders ausgedrückt. Warum „Message“ und nicht „Nachricht“? Warum „Nachricht“ und nicht „Aussage“? Das sind Fragen, die ich mir beim Schreiben eines Artikels tatsächlich sehr oft stelle. Und ich habe keine wirkliche Antwort darauf. Es ist ein Gefühl, welches mich leitet, Worte zu wählen und Sätze zu strukturieren. Frei Schnauze. Und doch perfektionistisch. Irgendwer wird sich damit schon identifizieren können. Mit meiner Formulierung und mit meiner Aussage. Doch vor allem ich, muss mich damit identifizieren können.

Als ausgebildeter Mediengestalter habe ich oft auch die Gestaltung im Hinterkopf. Ein Blog-Beitrag muss gut aussehen. So will es mein Perfektionismus. Content First? Ja. Design, who cares? Nein. Man braucht doch Motivation den mit viel Mühe verfassten Text zu lesen. Ansprechende Gestaltung steigert Motivation. Selbst wenn sich Design nur auf typografischer Ebene erstreckt. So denke ich als Designer. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob andere genauso darüber denken. Aber solange mein perfektionistisches Ich zufrieden damit ist, ist alles gut.

Das ist übrigens mitunter auch ein Grund, warum ich derzeit hier auf Medium blogge, obwohl mein Herz für WordPress schlägt. Hier auf Medium sieht jeder Blog gut aus. Die Gestaltung ist vorgegeben. Templates immer gleich. Möglichkeiten zum Formatieren eingeschränkt. Erleichterung.

Erleichterung? Eigentlich hasse ich Einschränkungen. In diesem Fall helfen sie mir aber, mich auf eine Sache zu konzentrieren. Das Schreiben seht im Vordergrund. Ich bin dadurch weniger abgelenkt, gestalterische Maßnahmen im Kopf zu spinnen, weil sie sowieso nicht realisierbar sind. Und trotzdem kann sich das Ganze sehen lassen.

Wo mir Einschränkungen auch helfen können, ist im Beruf.

Perfektion im Beruf

Als Mediengestalter darf ich viele Pixel über den Bildschirm schieben. Die lassen sich recht einfach schubsen. Verschiedene Farben, Formen und Fantasien. Theoretisch keine Grenzen. Wäre da nicht der Kunde der einem im Nacken sitzt und um Ergebnisse bittet. Klar kann ich nach 2 Stunden erste Entwürfe zeigen. Doch will ich das? Unfertig. Ausbaufähig. Nicht perfekt. Autsch!

Auch in der Webentwicklung habe ich das Problem. Es gibt beispielsweise keine Musterlösung für die Front-End-Umsetzung einer Webseite. Dutzende Wege führen zum Ziel, keiner ist perfekt. Doch ich will den perfekten Weg einschlagen, erfolglos.

Perfektion kostet Zeit. Diese hat man im Beruf einfach nicht, denn Zeit ist Geld. Mir werden also Grenzen aufgezeigt, die meinen Perfektionismus dämmen. Zeit und Budget sind die beiden Größen, die mich einschränken und trotzdem komme ich, auch ohne das perfekte Ziel erreicht zu haben, zu einem sehr guten Ergebnis.

Oft ist es auch einfach so, dass der Kunde mit einer Arbeit von 100 % zufrieden ist. Der Unterschied von 100 % zu 110 % ist dem Auftraggeber nicht immer bewusst, noch seltener dem Webseiten-Besucher.

Anders ist es bei eigenen Projekten. Bestes Beispiel dafür ist meine eigene Webseite. Sie soll mal Aushängeschild meiner Arbeit sein. Soll. Denn ich habe es immer noch nicht geschafft ein perfektes Ergebnis zu erzielen. Immer wieder verwerfe ich Konzepte und gehe die Sache neu an. Ich habe keine Grenzen, da es mein eigenes Projekt ist. Das macht es schwierig, irgendwann mal zu einem für mich zufriedenstellendem Ergebnis zu kommen. Doch ist es möglich: Umdenken, Grenzen setzen, 100 % akzeptieren.

„Perfektion ist Lähmung.“ — Winston Churchill

Zusamenfassung:

  • Es geht oft um das Ich. Ich muss zufrieden sein.
  • Perfektion hat viele Facetten.
  • Perfektion kostet unnötig Zeit. Perfektion ist Lähmung.
  • Gegner der Perfektion: Grenzen wie Zeitlimit, Budget…
  • Das Ergebnis von Perfektion ist oft sehr gut.
  • Perfektion gibt es eigentlich nicht. Perfektion ist unereichbar.

Schluss damit

Ich bin dabei umzudenken. Meine Perfektion zurückzuschrauben. Das hilft nicht nur mir sondern auch meinen Mitmenschen ;-).

Perfektion aufgeben heißt aber nicht, meine Leidenschaft fürs Schreiben, Gestalten und Entwickeln aufzugeben. Diese Dinge machen mir Spaß, ich muss, pardon: will, nur lernen mit 102 % zufrieden zu sein.

Na, bist du auch so ein Perfektionist? Wie gehst du damit um, was denkst du darüber?

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Patrick Schumacher

U X. D E S I G N. C O D E. — UX Designer mit Leidenschaft für ansprechendes Interface Design, semantischen Code und clevere Usability. www.pschumacher.design