Remote Scrum — Mit diesen Tipps klappt agiles Arbeiten im Homeoffice

Assecor Blog
9 min readApr 1, 2020

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Whiteboard geht auch digital. Ich zeige euch, wie. (Photo by Paul Hanaoka on Unsplash)

In der IT-Branche arbeiten wir längst nicht mehr am gleichen Standort. Auch in den letzten Jahren gibt es vermehrt Teams, die an unterschiedlichen Orten zusammenarbeiten. Und seit ich bei Assecor bin, habe ich bisher ausschließlich mit distributed Teams gearbeitet. Für viele ist das vielleicht noch ungewöhnlich — gerade in Corona-Zeiten. Für mich ist das normal. Aufgrund der Tatsache also, dass überall Arbeit nun „anders“ wird und ich mit „anders“ schon viele Erfahrungen gesammelt habe, bat mich unser Agile Coach bei einem unserer Kunden um einen Impulsvortrag zum Thema „Remote-Scrum“.

Diesen Vortrag möchte ich mit euch teilen, besonders in diesen Zeiten. Daher habe ich hier meine Erfahrungen mit standortunabhängigem Arbeiten und Scrum zusammengefasst, und hoffe, dass ihr von diesem Wissen profitieren könnt. Ich stelle hier 16 Methoden für agiles Arbeiten vor, die einfach digital übertragbar sind und gebe außerdem Tipps, wie man den Zusammenhalt eines virtuellen Teams stärken kann.

Aber noch kurz ein Wort zu den Gefahren, die beim remote arbeiten lauern. Remote arbeiten heißt nicht nur, die richtigen Tools zu installieren. Die physische Distanz bedingt auch eine soziale, kulturelle sowie eine technologische Distanz. In meinem Impulsvortrag habe ich Vorschläge zu Methoden und Handlungsweisen gemacht, wie man die hieraus resultierenden Schwierigkeiten wie Isolationsgefühl, erschwerter Beziehungsaufbau, emotionale Entfremdung oder das Entdecken von versteckten Konflikten vorbeugen kann. Folglich bestand die Agenda aus Praxisbeispielen zu Zeremonien im Scrum Framework und einigen Erfahrungswerten, vor allem worauf ein Scrummaster besonders achten sollte.

Ich weiß, dass viele von euch im Bereich standortunabhängig arbeiten schon erfahren sind, aber vielleicht hilft mein Beitrag Remote-Meetings etwas abwechslungsreicher und effizienter zu gestalten und dient als kreativer Impuls für eure eigenen Werke.

1. Daily

Der Mensch ist ein soziales Wesen und braucht Kontakt zu anderen. Das Daily ist womöglich das erste Meeting, an dem Mitarbeiter*innen aus dem Homeoffice am Tag teilnehmen. Es kann durchaus vorkommen, dass zunächst Nicht-Arbeitsthemen im Vordergrund stehen. Das ist ok. Lasst es zu, lasst die Leute sich miteinander unterhalten. Es besteht natürlich auch Redebedarf aufgrund der ungewöhnlichen Situation, aufgrund der Verunsicherung, die bei jedem von uns gerade herrscht. Ja, die Timebox ist auf lediglich 15 min. eingestellt im Daily, aber dieser Austausch ist wichtig. Ich empfehle, am Anfang einfach ein bisschen mehr Zeit dafür einzuplanen. Schließlich ist hier eure Empathie gefragt. Wenn ihr merkt, dass nach einigen Tagen diese Gespräche immer noch nicht abgeebbt sind, bietet einen anderen virtuellen Raum an. 15 Minuten früher zum gemeinsamen Kaffee im virtuellen Café oder Frühstücksraum bieten eurem Team einen Raum für soziale Kontakte, ohne dass die Timebox strapaziert wird. Für ein wenig Smalltalk sollte jedoch immer Zeit sein.

In dem Remote-Daily selbst, ist der Scrummaster*in der/die Moderator*in. Je nach Reifegrad des Teams braucht es mehr oder weniger Moderation und Regeln. Eine einfache Methode, um ein wenig Struktur hineinzubringen ist der virtuelle Redeball. Man wirft ihn demjenigen zu, der reden soll. Wenn dieser fertig ist, wirft er den Ball dem nächsten zu (Namen nennen reicht auch, wenn ihr keinen virtuellen Ball werfen wollt oder könnt 😊). Regeln wie: aussprechen lassen, nicht dazwischen sprechen, alle Mikrofone muten außer dem des Redenden, etc.

2. Sprintplanning

Vom analogen geht es nun ans digitale Board. In Teams und auch in Skype kann der/die Scrummaster*in den Desktopbildschirm übertragen, so können alle denselben Bildschirm sehen. Je nach Reifegrad des Teams, wählt das Team die Stories aus und schiebt sie selbst ins Board — oder der/die Scrummaster*in übernimmt anfangs noch diese Aufgabe. Das Gleiche gilt für das Erstellen der Tasks. Dies kann der/die Scrummaster*in auf Zuruf aufschreiben, oder einer aus dem Team wird damit beauftragt.

3. Retrospektiven

Ja, auch Retros kann man remote abhalten. Bei Assecor haben wir eine Microsoft-Whiteboard-App, an der interaktiv und zeitgleich gearbeitet werden kann. Das steht sicherlich nicht jedem zur Verfügung. Stattdessen kann man auch das kostenlose Tool Microsoft OneNote nutzen. Das Tolle an OneNote ist, dass man über Bilder schreiben bzw. malen und über Bilder auch Bilder legen kann. Das heißt, ihr braucht lediglich ein Foto oder Bild der jeweiligen Methode in OneNote kopieren und gleich loslegen. Welches Tool ihr aber letztlich benutzt, bleibt natürlich euch überlassen. Hier ist eure Kreativität gefragt. Wichtig ist in jedem Fall, dass ihr die ausgewählten Methoden digital anpassen könnt.

Wir arbeiten mit einigen verschiedenen Methoden im Team, die ich euch hier in ihrer digitalen Version vorstellen möchte. Ich habe dabei jede Methode darauf abgeklopft, wie man die Schwierigkeiten eines virtuellen Treffens in Möglichkeiten einer fruchtbaren Zusammenarbeit umwandeln kann. Fangen wir an mit Warm Ups.

3.1 Warm Ups:

Der „Elefant im Raum“: Hier könnt ihr Bilder wie Kreuze, bunte Punkte, Smileys, Häkchen oder andere auswählen. Vielleicht habt ihr sogar ein Teammaskottchen, das ihr abbilden könnt im Dot-Voting. Oder lasst eure Teams ein Motto zum Voten für das nächste Mal festlegen, etc.

Ein Beispiel, wie so etwas umgesetzt werden kann:

Das ist eine Möglichkeit, das Warm-Up visuell zu unterstützen. Häkchen, Kreise, Herzen und anderes können die Teilnehmer*innen einfach einfügen.

Die „Drei-Wörter-Methode“: Jeder beschreibt die letzte Iteration in drei Worten und tippt diese ins Tool. Danach soll das Teammitglied diese drei Wörter vorlesen und sein Statement erklären.

„Me in this Iteration“: Die Teammitglieder sollen sich selbst anhand eines Charakters (Bilder von Filmcharakteren, Gaming-Chars, auch Persönlichkeiten unserer Weltgeschichte sind möglich) definieren und sich und anderen damit klar machen, wie sie ihre Rolle innerhalb der Iteration verstehen.

3.2 Gather Data

Die „#Tweetmysprint“-Methode: Hier können die Teammitglieder Ereignisse in ihrem Sprint in zeitlicher Reihenfolge anordnen. Danach werden die Tweets kommentiert, welche wiederum mit Tweets kommentiert werden können, wodurch möglichst eine Diskussion angeregt werden soll. Wenn ihr den Ablauf abkürzen wollt, könnt ihr die Ereignisse auch kurz durchsprechen.

Bild: Evelyn Mateja-Möbius

Die „Proud and Sorry“-Methode: Wie der Name schon sagt, benennen die Teammitglieder Punkte, auf die sie stolz sind und andere, die sie schade finden. Das stärkt die eigene Wahrnehmung und Teamfähigkeit jedes einzelnen Teammitglieds und bringt das Team näher zusammen.

Man kann z. B. in OneNote und in der Microsoft Whiteboard App einfach Text über Bilder einfügen. So kann jedes Teammitglied zeitgleich und standortunabhängig seine Aussagen einfügen.

Die „Repeat and avoid“-Methode: Anhand einer Tabelle können Teammitglieder Punkte benennen, die sie auch beim nächsten Mal so machen würden - oder eben eher nicht. Das schafft einen Einblick, welche Schwierigkeiten es gab und was gut gelaufen ist. Durch das Besprechen der Punkte findet ein Bilderabgleich statt. Lasst genug Platz zwischen den einzelnen Punkten, damit das Team sich nicht eingeengt fühlt und es nicht zu unnötigem Chaos während des Meetings kommt.

Bild: Evelyn Mateja-Möbius

„Schiffsfahrt/Schlittenfahrt (Winter)/Fahrradfahrt“-Methode: Welche Aspekte der Zusammenarbeit oder des Projektablaufs waren förderlich? Welche hinderlich? Mit bildlicher Unterstützung reflektiert das Team die Iteration/das Projekt als solches und vertieft das Verständnis des Sprintziels oder der Vision/Mission. Nebenbei stärkt diese Methode das Wir-Gefühl im Projekt.

Bild: Evelyn Mateja-Möbius

3.3 Generate Insides

„Learning Matrix“: Man braucht dafür vier Felder mit folgenden Überschriften:

a) Bitte mehr davon, was gefiel mir in diesem Sprint
b) Bitte nicht mehr/Was missfiel mir in diesem Sprint
c) Wertschätzung/Das schätze ich an meinen Kollegen
d) Ideen: Das können wir machen im nächsten Sprint (aus b erarbeiten)

Während man die Felder ausfüllt, entwickeln sich fast automatisch neue Maßnahmen, die im letzten Feld konkretisiert werden . Am Schluss könnt ihr darüber abstimmen, welche durchgeführt werden sollen.

„Remember the perfect future“: Ihr macht mit eurem Team eine Zeitreise. Stellt euch vor, ihr habt das Sprintziel erreicht und es ist alles super gelaufen. Was habt ihr dafür getan oder was musstet ihr tun, damit das Ergebnis so gut ausfällt und damit der Sprint perfekt ist?

Auch selbst gestaltete Flipcharts lassen sich als Bilder einfach einfügen und weiter bearbeiten. Bild: Evelyn Mateja-Möbius

Präsentiert Zahlen und Fakten des letzten Sprints im Diagramm und startet eine Diskussion. Entweder der Scrummaster hält die Erkenntnisse fest, oder die Teammitglieder schreiben mit virtuellen Post-Its ihre Ideen auf das Board. Das Ergebnis ist hoffentlich eine angeregte Diskussion.

3.4 „Decide what to do“

Dazu kann das Feld “d“ aus der Methode „Learning Matrix“ verwendet werden: „Was können wir als nächstes machen“.

Gut geeignet ist auch ein Maßnahmenkatalog, den ihr von der vorherigen Methode heraus gestalten könnt.

Und noch ein kleiner Tipp: Benutzt zur Auflockerung für das Voting alles, was beim Team ankommt: Smileys, Star-Wars-Charaktere, Katzen, Hunde, Sägen, Bäume, Waffen etc. Da sind euch keine Grenzen gesetzt.

3.5 Beschlossene Maßnahmen überprüfen

Wie haben die letzten Maßnahmen für das Team im letzten Sprint funktioniert? Ich finde diese einfache Variante am Besten: Legt euch für jede Maßnahme ein Feld zurecht. Anschließend können die Teammitglieder die Maßnahmen z. B. mit Smileys bewerten.

In OneNote als auch der Whiteboard App von Microsoft lassen sich diese Smileys beliebig schieben, z. B. wie hier in die Boxen.

3.6 Feedback

Die „Retro Dart“-Methode: Das Feedback wird in drei grundlegenden Kategorien eingeteilt. Jedes Teammitglied kann einen Dart auf die jeweilige Scheibe legen, so erhält man ein balanciertes Stimmungsbild. Und hier nochmal der Tipp: Bei OneNote kann man über Bilder schreiben, oder Bilder über Bilder ziehen, wie hier die Darts über das Bild einer Zeichnung.

Bild: Evelyn Mateja-Möbius

Die Methoden „Feed the dog/cat/etc. back“: Ich habe hier einen Hund verwendet, um Struktur, Methode und Ergebnis des Projektes von den Teammitgliedern bewerten lassen zu können. Ihr könnt euch auch gerne andere Motive einfallen lassen (z. B. Idefix für den Hund nehmen, etc.).

Bilder: CC0-Lizenz, Icons von Freepik

Outcome und investierte Zeit bzw. gleich verteilte Sprechzeit als Methode: Hier hat man die Möglichkeit, zwei Sachverhalte gleichzeitig abzufragen. Ich frage im Grunde die Zufriedenheit mit dem Ergebnis der Retro ab. Gleichzeitig bekomme ich noch Einblick, ob sich jeder zu gleichen Teilen an den Gesprächen beteiligt hat, ob wir genügend Teamcommitment haben oder ob sich manche Teammitglieder wünschen, sich mehr einzubringen. So kann ich mir als Scrummasterin überlegen, welche Methode ich einsetzen kann, um dies bei der nächsten Retro zu verbessern.

Icons von Freepik

4. Reviews

Wie auch die Sprintplannings, können Reviews problemlos über digitale Tools organisiert werden. Wir nutzen im Unternehmen hierfür Teams oder Skype. In diesen Tools kann ich dem Product Owner und dem Kunden das Inkrement über die Funktion Desktop-Sharing zeigen.

Ein paar grundsätzliche Tipps

Ihr solltet definitiv verfügbar sein für euer Team. Es ist natürlich schwierig, wenn man bedenkt, dass beide Elternteile vom Homeoffice arbeiten sollen und die Kinder auch noch beschäftigen müssen, weil die Schulen und Kindergärten geschlossen sind. Das ist ein Spagat, der sehr aufreibend sein kann. Holt euch die Unterstützung eures Teams, macht es transparent in welcher Lage ihr euch befindet. Vielleicht kann euch bei dringenden Fällen, die sofort erledigt werden müssen jemand aus dem Team unterstützen. Andere Aufgaben könnt ihr auch noch in einer halben Stunde oder später erledigen. Priorisierung ist das A und O in diesen Zeiten.

Bietet auch immer wieder Hilfe oder Gespräche an, animiert die Teammitglieder miteinander auch einfach so zu telefonieren, denn die Zwischengespräche à la „Lass uns Mal kurz nen Kaffee trinken.“ entfallen derzeit.

Plant genügend Zeit zwischen den Meetings, denn digitale/virtuelle Meetings sind viel anstrengender als analoge. Macht 10–15 min. Pause. Wenn es längere Meetings sind, plant Biopausen ein.

Wenn ihr längere Meetings vorbereitet, brauchen diese eine gut überlegte Struktur und Methodik. Am Anfang ist auch die Moderation sehr wichtig. Überlegt euch die Fragestellungen und was ihr bei jedem Punkt erreichen wollt und wählt eine passende Methodik dazu. Ja, es ist viel Arbeit und viel Zeit für die Vorbereitung, aber es lohnt sich, diese zu investieren.

Schafft Räume für Austausch wie unter dem Punkt „Daily“ schon erwähnt, seid kreativ und einfallsreich. Seien es Chatrooms oder gemeinsame Kaffeepausen, verabredet euch zum Frühstück oder Mittagessen im virtuellen Raum. Nichts ist in diesen Zeiten verrückt genug 😊.

Gebt den Teammitgliedern Zeit, die Situation zu adaptieren, die Tools zu lernen. Erklärt die Tools, wenn sie unbekannt sind, lasst das Team die Tools ausprobieren und lernen.

Wenn ihr in Meetings seid, dann schaltet bitte eure Kamera an, denn so erzeugt ihr mehr Nähe unter den Kollegen, es entsteht mehr Verbundenheit dadurch. Es ist so auch einfacher die Reaktionen zu deuten und das Gesagte zu interpretieren, als wenn nur eine Stimme zu hören ist.

Und eins noch, Perfektion ist unwichtig. Ins-Tun-kommen zählt, Ausprobieren und Experimentieren nach dem Motto „experiment — inspect — adapt“. Viel Spaß dabei!

Eure Scrummasterin Evelyn

Dieser Artikel ist von Evelyn Mateja-Möbius (Xing/LinkedIn), Scrummaster bei Assecor am Standort Nürnberg.

Sofern nicht weiter anders benannt, haben alle Bilder eine CC0-Lizenz. Die Icons stammen von freepik und freepik

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