Sind Unternehmen dafür verantwortlich ihre Mitarbeitenden glücklich zu machen?

Anja Wittenberger
7 min readJun 6, 2017

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glücklich und leicht

Nach Wissens- und Ökobilanz kommt demnächst bestimmt eine Happiness-Bilanz, mit der man als Organisation mit Anderen, um den Platz des Besten ringen kann.

Es macht mich wütend, wenn ich sehe wie ganz normale Dinge und wirkungsvolle Praktiken hochstilisiert werden, um dann im Wahn der Formalisierung und dem Hype der skalierbaren Programme mit ROI-Garantie ihre Wirksamkeit zu verspielen. Und im schlimmsten Fall erheblichen Schaden zu verursachen.

Beispiel 1: Verordnetes Glück mit der Corporate Happiness

Der Beitrag “Verordnetes Glück: Wie Unternehmen die Produktivität steigern wollen” auf ARD zeigt einen Ausschnitt des sehr wertvollen Ansatzes der positiven Psychologie, der von Beratern nun als Heilsbringer auf einfache Maßnahmen heruntergebrochen wird und so die komplexen Herausforderungen von Organisationen lösen soll.

Corporate Happiness — verordnetes Glück

Eine Maßnahme ist es, Armbänder zu tragen, die mich darin erinnern, dass ich mich nicht beschweren soll. Stattdessen soll ich, wenn mir was nicht gefällt, das Armband von einer auf die andere Seite wechseln und einfach weiterarbeiten. So die Beschreibung des “betroffenen” Mitarbeiters im Film.

Beispiel 2: Der “Feel-Good-Manager” macht das. Toll!

Die emotionale Bindung, die Gesundheit und die Motivation von Mitarbeitern hat einen höheren Stellenwert in Organisationen eingenommen. Das ist gut. Die Weiterbildungsindustrie reagiert auf die typische Verhaltensweise der organisationalen Verankerung mittels extra geschaffener Angebote. Das Berufsbild des “Feel-Good-Managers” ist geboren und alle anderen sind aus dem Schneider, weil Fr. Müller dafür ausgebildet ist und sich ja jetzt um die Mitarbeiter kümmert.

Es gibt sie schon immer — die “Feel-Good-Menschen”.

Ich selbst habe in den letzten Jahren immer wieder erlebt, wie Mitarbeiter, sich einfach so um das Wohl aller kümmern. Es gibt in jedem Team Menschen, die sich für einfache und sehr wichtige Dinge wie “Pfannkuchen für alle”, Geburtstagsgeschenke und Teamevents engagieren. Vielleicht reicht es ja auch aus, ihren Wert für das Team zu erkennen und zu schätzen, anstatt sie zu belächeln und als Low-Performer abzustempeln.

Beispiel 3: Das Achtsamkeitsseminar beginnt nach der Mittagspause.

Gelassenheit liegt im Trend. Nehmen wir das Achtsamkeitsseminar, was Führungskräften als “Angebot” vom betrieblichen Gesundheitsmanagement unterbreitet wird. Wenn man beim Meditieren nach dem Mittag dann nicht erscheint, hat das definitiv Auswirkungen auf das Miteinander in der Organisation. Schließlich bemüht man sich dann ja nicht ausreichend, die neue ausgeglichene Führungskraft zu werden, die gewünscht bzw. gefordert ist.

Warum regt mich das so auf?

  • weil der Hype um Feel-Good und Achtsamkeit die Normalität zum Besonderen erhebt
  • weil glücklich und gelassen sein jetzt zum professionellen Schick gehört
  • weil Persönlichkeitsentwicklung und Gesundheit in erster Linie Privatsache sind
  • weil Fürsorge und Entmündigung nah beieinander liegen.

Das WAS der Beispiele ist gut und ich bin mir sicher, dass die Verantwortlichen dieser Initiativen wohlwollend handeln. Allerdings ist für mich das WIE fragwürdig. Wenn ich ein Armband am Arm habe, was mir als Mitarbeiter signalisiert: “Halt die Klappe und arbeite!”, obwohl es vielleicht dringend notwendig wäre, offen über wahrgenommene Missstände zu sprechen und gemeinsam Lösungen zu finden, dann wird es keine nachhaltige Produktivitätssteigerung und Senkung des Krankenstands geben.

Prinzipien der Ansätze und deren wirksame Integration

Warum werden wir in Organisationen mehr und mehr zu Kümmerern?

  • weil wir uns mehr Bindung versprechen, damit Du Dich bei uns wohlfühlst und wir Dich in deiner Ganzheit brauchen
  • weil wir uns mehr Produktivität versprechen, da wir ja dann besser zusammenarbeiten
  • weil wir Mitarbeitenden zu einem besseren Miteinander verhelfen wollen, was sie beim Kampf um den Aufstieg zum Helden und der Abgrenzung des eigene Arbeitsfeldes verlernt haben
  • weil wir Rahmenbedingungen schaffen möchten, in denen sich Menschen entfalten können, um anhand ihrer Stärken wertschöpfend zusammenzuarbeiten
  • weil wir wissen, dass die Organisationen erfolgreichen sein werden, die in der Lage sind, Voraussetzungen für die Selbstorganisation von mündigen machtvoll wirkenden Menschen für hoch komplexe und dynamische Aufgabenfelder zu schaffen.

Und daran ist auch nichts Falsches. Ganz im Gegenteil.

Natürlich brauchen Organisationen reife, gelassene, reflektierte, engagierte, authentische, gesunde, achtsame und kritische Menschen. Doch die kann man nicht mit Happiness-Programmen züchten.

Achtsamkeitsübung, weil es der Zusammenarbeit konkret dient

Ich bin mit dem “Kreis OE” bei AviloX u.a. verantwortlich für die Ausgestaltung unseres monatliches Teamtages, den wir gemeinsam zur Arbeit an unserer Organisation nutzen. Da wir viel gemeinsam im Flow arbeiten, passiert es uns manchmal, dass wir vergessen Pausen zu machen. Grund genug, um den Vorschlag zu unterbreiten eine gemeinsame Achtsamkeitsübung im Teamtag auszuprobieren. Gesagt — getan.
Mir persönlich tut so etwas sehr gut und ich arbeite danach konzentrierter.
Doch kann man von allen verlangen so etwas mitzumachen? Und gelingt es mir wertfrei zu beobachten, wer sich dem “verschließt”?
Der spannende Effekt dieses Experiments war, dass es Aufmerksamkeit auf diese Praktiken gab. Jeder ist frei, dies jederzeit für sein eigenes Wohlbefinden zu nutzen. Jeder weiß nun, dass es akzeptiert ist, wenn man einen Bedarf für die Gruppe sieht, die Initiative zu ergreifen und die Praktik einfach umzusetzen.

Wohlbefinden und wertschätzendes Miteinander geht alle an

Gesundes für’s Team

Nichts gegen “Feel-Good-Manager”. Doch wollen wir wirklich die Verantwortung an eine Person wegdelegieren oder ist es nicht besser zu ermöglichen, dass jeder selbst wirksam handelt:

  • Wenn ich der Meinung bin, dass eine Schale Obst uns in der nächsten Besprechung gut tun würde, dann kann ich einfach die Entscheidung treffen, die Organisation dafür zu übernehmen. Die Spesen kann ich als Privatauslage abrechnen anstatt zu warten, dass ein “Feel-Good-Manager” sich darum kümmert.
  • Natürlich ist es auch wichtig, dass dies von den teilnehmenden Kollegen geschätzt und nicht als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wird. Ein Danke gehört zum guten Ton. Das kennt jeder aus seiner “Kinderstube”.
  • So wird es Teil der Kultur, füreinander da zu sein und sich umeinander zu sorgen.
  • Ja und es werden nicht alle sein, die so handeln. Und doch ist es mehr als nur einer, der DEN JOB hat.

Ganzheit , weil wir als Menschen miteinander arbeiten

Die Zeit der Masken ist vorbei. Der echte Mensch ist gefragt und die Ganzheit in der Beziehung zu Anderen wird betont. Frédéric Laloux hat dies als ein Kernelement erfolgreich wirtschaftender Organisationen identifiziert, in denen Menschen vertrauensvoll und auf Augenhöhe miteinander Wertschöpfung betreiben.

Aber, wer ist denn der echte Mensch? Wenn nicht der, der gerade vor mir steht. Wenn nicht der, der mich gerade wütend macht, weil er wieder den Termin verpennt hat.

Im Zuge des Vorantreibens unserer eigenen Organisationsentwicklung kam ich an einen Punkt, wo ich gemerkt habe, dass es mich unzufrieden macht wie “langsam wir in meinen Augen” vorankommen.
Und genau darüber habe ich mit dem Team gesprochen. Ich habe meine Ungeduld thematisiert und zugegeben, dass ich mich etwas ohnmächtig fühle und nicht weiß, wie wir konkret weitermachen sollen. Für als “Besserwisser” und überzeugender “ich-weiß-wo-es-lang-geht”-Typ kein ganz einfacher Schritt.
Doch diese Praktik hatte zwei entscheidende Effekte: Aus dem Team heraus haben wir Klarheit und Einigkeit geschaffen, wie wir verdaubare Experimente starten und notwendige Grundlagen schaffen können, die uns als Organisation stärken und die Arbeit erleichtern. Es entstand Nähe und das zutrauen, noch offener mit Spannungen und Unsicherheiten umzugehen.

Antwort: Nein, aber …

Es wird Zeit die Frage: “Sind Unternehmen verantwortlich dafür oder überhaupt in der Lage ihre Mitarbeitenden glücklich zu machen?” zu beantworten.

Nein. So wie jeder Mensch sich nur selbst ändern kann, so ist jeder Mensch selbst dafür verantwortlich nach seinen Maßstäben glücklich zu werden.

Verantwortung und Vertrauen — arbeiten wie und wo ich will

Aber, was wir in Unternehmen tun können und sollten, ist die Aufmerksamkeit auf all diese Themen zu lenken, die uns Menschen dabei unterstützen können, wertschätzend mit einander zusammen zu leben. Und wir können jeder Einzelne dazu einen Beitrag leisten, in dem wir beginnen anders mit uns selbst und unseren Kollegen umzugehen.

Und wir sollten uns bewusst machen, warum WIR eigentlich hier sind:
Wir kommen in Organisationen zusammen, um die gemeinsame SACHE voranzubringen und unsere Stärken der Menschlichkeit für die Wertschöpfung zu nutzen.

Ich bin überzeugt davon, dass im Zuge der weiteren Technisierung mit KI und Co. gerade wir Menschen mit unseren Unzulänglichkeiten, unseren Stärken und Empfindungen es sind, die das Miteinander gestalten und den Unterschied machen.

Es ist ein schmaler Grad zwischen Unterstützung anbieten und Konformität fordern. Und wie schnell Fürsorge zu Bevormundung wird, kennt der ein oder andere aus der eigenen Familie.

Es geht darum die Grenzen zu wahren und den Menschen in seinem Sein anzuerkennen. Bei all den wohlwollenden Kulturmaßnahmen, die zur Stärkung der Organisation und Verbesserung der Produktivität beitragen sollen, ist Wachsamkeit geboten, nicht ins Übergriffige und Anmaßende abzugleiten.

Und das gelingt, indem wir achtsam zuhören und in der täglichen Arbeit ganz konkrete Praktiken ausprobieren. Wenn sie uns gut tun, können sie schnell zum Ritual werden und sprechen sich rum ;-).

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