Integration? Was soll das eigentlich sein?

Dirk Baranek
4 min readFeb 7, 2016

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Geflüchtete aufnehmen, gerne, aber die sollen sich auf jeden Fall hier integrieren! — So schallt es aus allen Ecken der Republik und, mit Verlaub, ich kann es nicht mehr hören!
Denn: was soll das eigentlich sein, diese Pflicht zur Integration? Was genau ist damit gemeint? Ich weiß es nicht. Mir scheint, wir reden hier von Dingen, die entweder dem gesunden Menschenverstand einleuchten oder die eigentlich eine kulturelle Hegemonie konstruieren. Schauen wir uns also die einzelnen Punkte einmal etwas genauer an.

1. Recht und Gesetz

Vor dem Gesetz sind alle gleich. Dieser Satz gilt ohne Ausnahme, müssen wir gar nicht drüber reden. Wer ins Ausland geht, der lebt unter den Gesetzen dieses Landes. Wer nach Spanien auswandert, um dort zu leben, wie es tausende deutsche Rentner machen, der muss ganz selbstverständlich akzeptieren, dass dort vielleicht die Regelungen zur Organisation von Wohneigentümergemeinschaften andere sind als in Deutschland. Man kann sich darüber ärgern, wundern oder den Kopf schütteln — hilft alles nichts. Gilt einfach.

Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass irgendein Syrer oder eine Afghanin davon ausgehen, dass man in Deutschland nach syrischen oder afghanischen Gesetzen verurteilt wird. Vielleicht würde es sie sogar überraschen, dass bei der Feststellung der Schwere der Schuld der kulturelle und soziale Hintergrund durchaus eine Rolle spielt.

Integration würde also in diesem Punkt bedeuten, dass man die Leute informiert, was hier gilt. Bekanntermaßen schützt allerdings Nichtwissen nicht vor Strafe. Zugezogene haben in dem Sinne eine Holschuld: man sollte sich selber kundig machen. Kenne im Übrigen kein Land auf der Welt, wo Gewalt, Diebstahl oder Betrug erlaubt wäre. Das römische Recht hat sich eben weltweit durchgesetzt.

2. Sprache

Da wird es schon schwieriger. Jedem ist klar: Wer im Ausland arbeiten will, der wird die Landessprache lernen müssen. Selbst der Makler, der deutschen Rentnern auf Mallorca Wohnungen verkauft, wird Spanisch sprechen müssen, es sei denn er hat eine Mitarbeiterin, die beide Sprachen spricht, um ihm den Verwaltungskram mit den lokalen Behörden abzunehmen. Gut, Schlagersänger Jürgen, der im Bierkönig auftritt, der wird Spanisch letztlich nicht brauchen. Vielleicht gibt es auch ein paar türkische Gemüsehändler, die an die türkischstämmige Bevölkerung auf dem Markt Salat und Tomaten verhökern und sich beim türkischen Großhändler eindecken. Oder die Hausfrau, die sich möglichst nie aus der Community rausbewegt, weil sie als Jugendliche gekommen ist und das Pech hatte, keinen Sprachkurs zu durchlaufen, was die Mehrzahl der Leute, die sich in ihrer Situation befinden, sicherlich bedauert.

Integration heißt hier also: Die Sprache will nach einer gewissen Zeit jeder lernen, weil man irgendwann arbeiten will und es ist sicher sinnvoll, solche Kurse vom Staat zu subventionieren, denn dann geht es schneller und auch arme Menschen können sich das leisten. Allerdings kommen auch tausende deutsche Rentner ganz gut ohne Spanisch klar, oder mit den rudimentären Kenntnissen, die man so im Alltag lernt. Sie helfen sich gegenseitig, gehen in sprachlose Supermärkte oder verlassen sich darauf, dass Einheimische, die mit ihnen Geschäfte machen wollen, sich schon irgendwie bemühen werden, mit ihnen zu kommunizieren. König Kunde halt. Jedenfalls wäre die Empörung groß, wenn der spanische Staat von diesen Neubürgern verlangen würde, sie sollten doch bitte Spanisch lernen, ansonsten seien sie unerwünscht. Oder man stelle sich vor, sie sollten in ihren Apartments alle Spanisch sprechen oder mit ihren Kindern. War mal eine CSU-Forderung — Humbug hoch zehn.

Wer es empörend findet, dass in der U-Bahn in einer Sprache gesprochen wird, die er nicht versteht, ist von irrationaler Fremdenangst zerfressen.

3. Kultur

Nope. Ich werde weder in einen Schützenverein gehen, noch saure Kutteln essen oder Fastnet feiern. Mit Kultur sind ja eh nur die Dinge gemeint, die sozusagen freiwillige Vereinbarungen darstellen, also Verhaltensweisen, die von Recht und Gesetz nicht geregelt werden. Wer keinen Bock drauf hat, der lässt es halt, und lebt seine eigene Kultur. Dem Spanier klingt die Volksmusik, die sein deutscher Rentnernachbar hört, auch eher seltsam, vielleicht sogar faschistisch, aber wenn dieser die Lärmschutzverordnung nicht überschreitet und seinen eigenen Flamenco nicht übertönt, was solls?

Mir scheint, dass in dem Bereich Kultur sowieso eher die deutsche Gesellschaft ein Problem mit der Exklusion hat. Würden nicht viele ausländische Familien gerne Mitglieder in Schrebergartenvereinen oder als Schützen und Kegelschwestern Teil der Gesellschaft werden? Ist nicht eher das Problem, dass sie keine Lust darauf haben, weil sie feindliche Mienen und Misstrauen befürchten, stillschweigende oder offen vorgetragene Ablehnung? Warum gibt es denn so viele Sportvereine, in denen sich Migranten organisieren? Ist es denn nicht eher so, dass sie den Status des Exoten, des Geduldeten vermeiden wollen? Hätte ich auch keinen Bock drauf. Was ist denn an der Parallelgesellschaft deutscher Rentner auf Mallorca so schlimm? Sie mögen das milde Klima, das Meer, aber beim spanischen Essen hört es zumeist schon auf, vom Brot ganz zu schweigen.

Ja meine Güte, wenn die Muslime halt ihre Religion ausüben wollen, die nebenbei gesagt so dämlich ist wie alle Religionen, und dazu ein würdiges Gotteshaus brauchen, wer sind denn wir, ihnen das zu versagen? Ach, und Männer und Frauen sind dort getrennt, wie bei den orthodoxen Juden? Und wenn da wer zu Gewalt und Frauenhass aufruft, tja, dann gilt natürlich 1.

Fazit

Das Narrativ der Integration wird meines Erachtens bestimmt von unbegründeten Ängsten sozialen Abstiegs, gewürzt mit einer Prise Kulturimperalismus: Die von ganz Unten schauen herab auf die noch weiter Unten und wollen Macht über sie. Tragisch.

Foto: Bierkönig auf Mallorca

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