Sollte man das Gymnasium abschaffen?

Bent Freiwald
4 min readMar 27, 2019

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Falls du Abitur gemacht hast: Wie lange ist das her? Heute vor sechs Jahren bin ich nach der Schule noch mit zu meinen Klassenkameraden gefahren, um dort für die Matheprüfung zu lernen. Denn wer meint, jahrelang nur mit einem Ohr zuhören zu müssen, merkt spätestens bei der Vorabiklausur: Hätte das zweite Ohr mal lieber mitgehört … Zugegeben: Ich hatte ganz schön viel aufzuholen, kämpfte mich wochenlang durch Ebenen, Wahrscheinlichkeiten und Wendepunkte, bis hin zum Tiefpunkt — die Abiklausur. Sechs Punkte, autsch, mein schlechtestes Ergebnis, ausgerechnet (haha) zum Abitur.

Während sich also tausende Schüler*innen derzeit auf ihr eigenes Abitur vorbereiten, kommt die Kultusministerkonferenz gerade rechtzeitig mit einer Statistik um die Ecke: Der Anteil der Schüler*innen, die durchs Abitur fallen, steigt — und zwar stetig. 2009 waren es bundesweit 2,39 Prozent, 2017 schon 3,78 Prozent, autsch.

Moment mal, liest man nicht seit Jahren, dass die Abiturnoten immer besser werden? Jep, das liest man: 2009 hatte jeder fünfte Abiturient eine Eins vor dem Komma, 2017 schon jeder vierte. Eine Erklärung könnte sein, dass Eltern ihre Kinder unterschiedlich gut unterstützen können, sagt Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung. “Die Schere öffnet sich immer weiter.” Der Tagesspiegel beschäftigt sich ausführlich mit den unterschiedlichen Statistiken.

Neue Zahlen zur Inklusion

Immer mehr Gymnasien steigen aus der Inklusion aus, soweit so bekannt. Eine Studie von DIE ZEIT und Aktion Mensch liefert neue Zahlen, die meinen Text über Inklusion ganz gut ergänzen.

Zum Beispiel: 80 Prozent der Eltern, deren Kinder eine inklusive Schule besuchen, finden, dass Inklusion ihren Kindern guttut. Oder (für mich etwas überraschend): 55 Prozent der Eltern mit Inklusionserfahrung meinen, dass ein inklusives Schulsystem besonders leistungsstarke Kinder im fachlichen Lernen bremse. Dieser Meinung sind nur 47 Prozent der Eltern ohne Inklusionserfahrung. Einig ist man sich, wie immer, beim Lehrermangel: 68 Prozent der Befragten glauben, dass es an den Schulen nicht genügend Lehrer für die Gestaltung inklusiven Unterrichts gibt.

Opfert das Gymnasium

So, genug Zahlen für heute, Zeit für ein Fazit nach zehn Jahren Inklusion. In einem Wort: naaaaja … oder ernüchternd. Bei meinen Recherchen zum Verständlich-erklärt-Text wurde mir immer klarer, dass Inklusion mit unserem alten, viergliedrigen Schulsystem nicht zusammengepasst hat. Allerdings passt es eigentlich auch mit unserem heutigen System nicht zusammen.

“Wer viel leistet, landet auf dem Gymnasium, wer nicht, in den restlichen Schulen mit den vielen Namen. In manchen Haupt-, Sekundar-, Gemeinschafts- oder Gesamtschulen sammeln sich Kinder aus ungebildeten oder armen Elternhäusern, Kinder, die nicht gut Deutsch sprechen, Kinder, die sozial auffällig sind und Kinder mit Behinderungen. Als ginge es am Gymnasium um nichts anderes als um gute Noten, an den anderen Schulen nur darum, die Übriggebliebenen zu bändigen”, kommentiert Parvin Sadigh auf Zeit Online. Deshalb fordert sie: Opfert das Gymnasium!

Spannend, finde ich. Weg damit, eine Schule für alle, also mal wirklich für alle, nicht nur auf dem Papier. In vielen anderen Ländern klappt das doch schon.

Sollten wir das Gymnasium abschaffen und eine Schule für alle einführen? Was meint ihr? Schreibt mir eine Mail an bent@krautreporter.de, ich freue mich über jede Meinung!

“Klimapolitisch irrelevant?”

In meinem letzten Newsletter habe ich euch gefragt, was die Schülerstreiks bisher für konkrete Folgen hatten. Vier Seiten haben wir zusammengeschrieben. Danke an alle, die mitgemacht haben! Und trotzdem habe ich mich dagegen entschieden, einen neuen Text darüber zu schreiben. Denn erstens kann man den Zusammenhang zwischen den Demos und politischen Beschlüssen zum Klimaschutz oftmals nicht klar herstellen. Und zweitens wäre ein Text über die politischen Folgen vor allem eins: sehr kurz. Deshalb habe ich ein Update meines ersten Textes über die Proteste geschrieben:

Zum Text: Was die Klimaproteste bisher bewirkt haben

Eine Forschungsgruppe der Universität Konstanz hat übrigens erstmals Teilnehmer eines Klimastreiks befragt. Auf der Homepage der Uni fassen die Forscher die Ergebnisse so zusammen: „Die Demonstrierenden sind engagiert, informieren sich und wollen etwas bewegen. Insbesondere der oft gehörte Vorwurf, die gute Sache sei nur ein Deckmantel für massenhaftes Schuleschwänzen, findet sich in der Umfrage nicht bestätigt” (zu den Ergebnissen der Befragung). Außerdem geht Deutschlandfunk Kultur der Frage nach, warum eigentlich so wenig Studierende an den Protesten teilnehmen.

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„Wir bezahlen alles, also bestimmen wir alles“, sagte der spätere Buchautor Thilo Sarrazin 1990 über den Kurs, den die Wiedervereinigung zu nehmen hat. Wie Sarrazin, damals Mitarbeiter im Finanzministerium in Bonn, dachten viele westdeutsche Politiker und Beamte. Symbolisch dafür steht die Treuhand. Die Anstalt öffentlichen Rechts sollte die DDR-Volkswirtschaft privatisieren. 1994 beendete sie ihre Arbeit mit einem Defizit von rund 250 Milliarden DM. Der Schaden, den Treuhand-Mitarbeiter durch Veruntreuung, Betrug und andere kriminelle Handlungen verursacht haben, wird auf weitere drei bis zehn Milliarden DM geschätzt. Ostdeutsche Spitzenpolitiker fordern deshalb heute, dass die Ungerechtigkeiten dieser Zeit aufgearbeitet werden. Unser Reporter Christian Gesellmann möchte in seinem nächsten Artikel die wichtigsten Fragen zu dem Thema beantworten. Welche Fragen hast du dazu? Schick sie ihm an: christian.gesellmann@krautreporter.de

Und hier noch was aus der Kategorie “mit den eigenen Waffen geschlagen”:

Diesen Text habe ich für meinen Bildungs-Newsletter geschrieben. Alle zwei Wochen berichte ich dort über meine Recherchen für Krautreporter und Diskussionen rund um das Thema Bildung. Und empfehle schöne Dinge weiter, von Krautreporter selbst, oder einfach aus dem Internet. Hier kannst du dich kostenlos für meinen Newsletter eintragen und meine Texte auf krautreporter.de lesen.

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