Was wir vom finnischen Schulsystem lernen können

Finnland gehörte jahrelang zu den besten Ländern beim PISA-Ranking. Was machen die Finnen in ihrem Schulsystem anders als wir in Deutschland? Für ein Forschungspraktikum war ich im Februar für eine Woche an einem finnischen Gymnasium, um mir das Schulsystem dort anzuschauen.

Michelle Grebe / © Pixabay

Aufbau des finnischen Schulsystems

Das Schulsystem in Finnland ist so aufgebaut, dass Schülerinnen und Schüler die ersten neun Jahre auf die Grundschule gehen. Demnach wird im Gegensatz zum deutschen System die Einteilung auf die verschiedenen Formen nicht schon in der vierten Klasse getroffen, sondern alle bleiben bis zur neunten Klasse auf einer Schule, die für alle kostenlos ist. Danach ist auch die Schulpflicht vorbei und die Schüler können entweder auf das Gymnasium wechseln oder sich einen Beruf suchen. Da die Berufsaussichten nach der neunten Klasse jedoch nicht sonderlich gut sind, besuchen die meisten Schüler im Anschluss daran das Gymnasium. Hier verbringen sie dann zwischen zwei und fünf Jahren, da die Zeiteinteilung flexibel gestaltbar ist.

Kurssystem auf dem Gymnasium

Die Zeit am Gymnasium in Finnland ist durch das Kurssystem sehr flexibel gestaltbar. Das Schuljahr ist in fünf Abschnitte unterteilt, die sieben bis acht Wochen dauern und mit einer Abschlussklausur in jedem Kurs abschließen. Pro Schuljahresabschnitt belegen die Schüler im Durchschnitt fünf Kurse, die jeweils dreimal in der Woche für 75 Minuten unterrichtet werden. So können sich die Schülern auf die fünf Kurse pro Abschnitt konzentrieren und diese Fächer dann intensiv durchnehmen. Ein Kurs ist bestanden, sobald die Abschlussklausur in der Prüfungswoche bestanden ist.

Um das Gymnasium erfolgreich abzuschließen, müssen mindestens 75 Kurse absolviert werden, das entspricht bei einer Belegung von fünf Kursen pro Abschnitt einen Verbleib von drei Jahren auf dem Gymnasium. Diese Belegung wird von den meisten Schülern gewählt, es ist jedoch auch möglich mehr Kurse zu belegen und die Schule in zwei Jahren zu beenden oder weniger zu belegen und bis zu fünf Jahren auf der Schule zu bleiben. So gibt es in Finnland kein „Sitzenbleiben“ wie in Deutschland, sondern die Schüler bleiben einfach länger auf dem Gymnasium. Da die Belegung der Kurse die Länge an der Schule verkürzen oder auch verlängern kann, können die Schülerinnen und Schüler zweimal im Jahr die Abiturprüfung ablegen, einmal im Frühjahr und einmal im Herbst.

Laptopeinsatz im Unterricht

Der Unterricht in Finnland ist in 75-minütige Schulstunden unterteilt, in denen die Schüler unterschiedliche Übungen machen, Aufgaben bearbeiten oder diskutieren. Dabei hat jeder Schüler einen privaten Laptop mit dabei, um Mitschriften anzufertigen, auf die elektronischen Bücher zuzugreifen und auf Google Classroom die Unterrichtsmaterialien herunterzuladen. So kann im Fremdsprachenunterricht schnell eine Vokabel nachgeschlagen oder kurz fehlende Informationen gegoogelt werden. Jedoch sind die Laptops auch eine schnelle Ablenkung, um kurz die Mails oder Social Media zu checken. So lernen die Schüler früh, dass sie selbst dafür verantwortlich sind, aufzupassen oder sich ablenken zu lassen. Die Hausaufgaben werden auch auf dem Laptop angefertigt und zum Teilen bereits vor dem Unterricht über Google Classroom an die Lehrkraft übermittelt.

Digitale Klausuren

Nicht nur die Mitschriften während der Schulstunden werden digital erstellt, auch die Klausuren zum Abschluss eines Abschnitts werden am Laptop geschrieben. So werden die Klausuren mit einem Programm namens Abiti erstellt. Dort können die Lehrer die Fragen in diesem Programm erstellen und auf einen Stick ziehen, um sie den Schülern diese zur Verfügung zur stellen. Bei den Aufgaben über das Programm gibt es drei Möglichkeiten: eine offene Frage zu stellen und die Schüler antworten dann in einem darunter liegenden Textfeld, Ankreuzaufgaben zu stellen oder einen Lückentext mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten zu wählen. Der Vorteil bei den Ankreuzaufgaben und dem Lückentext ist, dass bereits bei der Erstellung der Klausur die Antworten festgelegt werden können, sodass diese Aufgaben direkt durch das Programm korrigiert werden können, was bei der Korrektur eine große Zeitersparnis bedeutet.

Die Klausuren werden auf einem Stick bei der Prüfung ausgeteilt und dieser Stick blockiert alle weiteren Programme, sodass nur die Klausur geöffnet und nicht parallel im Internet oder den privaten Mitschriften etwas nachgeschlagen werden kann. Genauso werden in Finnland auch die Abiturprüfungen gestellt, diese werden dann landesweit einheitlich geschrieben und am Prüfungstag in Form von USB-Sticks an die Schulen geliefert. Durch die digitalen Klausuren können die Schüler im Fremdsprachenunterricht beispielsweise auch Hörverstehensübungen machen und dabei immer wieder zurückspulen.

Sonderfall Mathe

Durch die vielen Wahlmöglichkeiten und verschiedene Arten der Gestaltung lernen die Schüler schnell Verantwortung für ihren eigenen Lernfortschritt und seit letztem Jahr wird diese Eigeninitiative vor allem im Matheunterricht stark gefordert. Dort gibt es nämlich keinen wirklichen Unterricht mehr, sondern die Schüler bekommen zu Beginn eines Kurses eine Liste ausgehändigt, auf denen die Themen und Schwerpunkte stehen, die am Ende des Kurses in der Klausur abgefragt werden. Die Schüler sollen dann im Laufe des Kurses diese Themen eigenständig erarbeiten und können bei Problemen die Lehrkraft vorne fragen, doch die Erarbeitung erfolgt eigenständig. Dies soll vor allem die Differenzierung der Schüler gewährleisten, da einige viel schneller etwas bearbeiten als andere.

Das Lehrer-Schüler-Verhältnis

In Finnland wird grundsätzlich jeder mit „Du“ angesprochen, außer es handelt sich um sehr alte Personen, dort greift man auf das „Sie“ zurück. So werden auch auf dem Gymnasium die Lehrer grundsätzlich mit Vornamen angesprochen und geduzt und das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern erschien mir an meiner hospitierten Schule sehr freundschaftlich und ohne spürbare Hierarchie. So wurde auch die Direktorin mit Vornamen und Du angesprochen.

Digitaler = besser?

Das finnische Schulsystem ist im Bereich Digitalisierung deutlich weiter als das deutsche, vor allem beim Laptopeinsatz im Klassenzimmer und digitale Klausuren. Doch ist es dadurch auch direkt besser? Das finnische System ist vor allem anders. Zunächst ist bereits der Aufbau des Schulsystems ein vollkommen anderes. So dauert die Grundschule neun Jahre statt vier und so hat man den Bruch zwischen Mittelstufe und Abiturphase schon durch den Schulwechsel sehr drastisch. Der Einsatz von Laptops im Klassenzimmer ist eine gute Möglichkeit, um digitales und eigenständiges Lernen zu fördern, biete jedoch auch eine große Palette an möglichen Ablenkungsszenarien, wie soziale Netzwerke, E-Mails oder auch WhatsApp-Nachrichten, die man auf dem Laptop empfangen kann. Zudem müssen die Schüler den Laptop auch selbst bezahlen und auch die Schulbücher für die gesamte Zeit am Gymnasium, sodass der Erwerb des Abiturs auch mit einigen Kosten verbunden ist.

Die digitalen Klausuren sparen zum einen viel Papier und bei der Korrektur auch wertvolle Zeit, die durch die Lehrkräfte besser in die Unterrichtsvorbereitung gesteckt werden kann. Sehr fortschrittlich empfinde ich das Kurssystem, in dem man den eigenen Stundenplan selbst zusammenstellen und Kurse und Fächer selbst wählen kann. So kann jemand, dem eine neue Fremdsprache nicht so liegt, nach ein oder zwei Kursen eine andere wählen, ohne dabei mehrere Jahre vergeudet zu haben. Oder bei Nichtverstehen kann ein Kurs einfach ein zweites Mal belegt werden. Dadurch kann auch niemand sitzenbleiben und bei längeren Ausfällen, wie beispielsweise Krankheiten, kann einfach im nächsten Abschnitt wieder dort angefangen werden, wo man aufgehört hat, ohne ein gesamtes Schuljahr wiederholen zu müssen.

Für mich war die einwöchige Hospitation in Finnland sehr lehrreich und beeindruckend zu sehen, wie in anderen Ländern bereits ganz selbstverständlich mit der Digitalisierung gearbeitet und auch von den Schülern sehr gut angenommen wird. Dies waren meine Eindrücke von einer Schule in Finnland, die Aufschluss gibt über die Lage des dortigen Schulsystems und seines Erfolgs.

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Michelle Grebe @bildungsrebellin

Michelle Grebe | Lehramtsstudentin | Bildungssystemkritikerin | Botschafterin Generationengerechtigkeit | 📬 mail@bildungsrebellin.com