Ein politisch-gesellschaftlicher Entwurf für das 21. Jahrhundert

Lösungen für das politische, soziale und gesellschaftliche Grundproblem in Deutschland, in Europa und im Rest der Welt — von einem Insider

Joe Martin
10 min readMar 23, 2019

Ich will es kurz machen und später erklären, warum das das Problem ist und sonst gar nichts. Es (das Problem) kann mit einem Wort beschrieben werden: Respektlosigkeit

Ich schreibe dies ein paar Monate nach dem Tod von Aretha Franklin, der Queen of Soul, denn insbesondere ihr Titel Respect hat mich zu diesem Text inspiriert.

Publicity photo of Aretha Franklin from Billboard, 17 February 1968.

Alles, worum ich bitte,

Ist ein bisschen Respekt, wenn du nach Hause kommst (nur ein bisschen)

Hey Baby (nur ein bisschen),

wenn du nach Hause kommst

(nur ein bisschen) …

Das ist das wiederkehrende Thema in ihrem Song. Es geht nicht darum, was er tut, wo er es tut, wie er es tut. Sie möchte nur ein bisschen Respekt, wenn er nach Hause kommt.

Und ich mein’ es ernst! (nur ein bisschen)

Respekt, wenn du nach Hause kommst

Oder du könntest kommen (Respekt, nur ein bisschen)

Und wirst feststellen, dass ich weg bin.

Steven Levitsky und Daniel Ziblatt beschreiben in ihrem Buch Wie Demokratien sterben, dass Demokratien in Gefahr geraten, wenn der gegenseitige Respekt der politischen Akteure erodiert. Sie zeigen auf, dass in den USA Ende der 1970er Jahre ein Mann Namens Newt Gingrich diesen unsäglichen Trend initialisierte. Er beschrieb diesen Respekt als »Pfadfinder Rhetorik«, die sich gut am Lagerfeuer anhört, aber lausig in der Politik ist, beschreibt. Gingrich sagte: »Du kämpfst in einem Krieg. Es ist ein Krieg um die Macht …«

Wie Demokratien sterben: Und was wir dagegen tun können

Wenn man einen Krieg führt, dann wird natürlich eine andere Rhetorik eingesetzt als beim Führen einer politische Debatte. Wenn man die Politik als Krieg bezeichnet, dann sieht man den politischen Opponenten natürlich als Feind. Der andere Demokrat wird zu einem Feind, den man besiegen muss; mit allen Mitteln der Kriegsführung. Machiavelli lässt grüßen.

Wozu das in den USA geführt hat, erleben wir heutzutage fast täglich in den Tweets des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika: Donald Trump. Er führt einen verbalen Krieg gegen fast alle und jeden und findet deutliche Worte; respektlose, abwertende und verletzende Worte für jeden, der nicht seinen Ideen und Wünschen folgt.

Die Respektlosigkeit in der Politik ist aber keineswegs auf die USA beschränkt. Das erneute Aufkommen rechter Populisten in Europa ist wie ein Brandbeschleuniger für eine völlig neue Art des fehlenden Respekts in der Rhetorik gegenüber allen Fremden und dem politischen Gegner. Kein Wunder, dass diese verbale Respektlosigkeit sich auch in der Gesellschaft schnell verbreitet.

Der fehlende Respekt. Der fehlende Respekt vor anderen. Der fehlende Respekt vor anderen Menschen. Der fehlende Respekt vor anderen Lebewesen. Ja, der fehlende Respekt vor sich selbst, das ist es, an dem die Welt krankt.

Der politische Opponent ist der Feind. Merkel muss weg. Ausländer raus.

Das aber ist nur die Spitze des Eisberges. Das, was sich aufgetürmt hat. Das tatsächliche Problem liegt darunter verborgen: die große Masse, die man nicht so einfach erkennen kann. Die große Masse, deren Form man nicht sehen kann, nicht erahnen kann; deren Umfang, Form und Volumen verdeckt sind — wie die dunkle Seite des Mondes.

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Auf diesen Eisberg steuern wir mit voller Kraft zu. Volldampf voraus. Natürlich versuchen die Politiker, die Lobbyisten, die Unternehmer, die Gewerkschafter und eine Melange aus anderen Berufenen und sich berufen fühlenden Menschen die Liegestühle auf dem Sonnendeck der Titanic neu auszurichten. Damit die richtigen Leute entsprechend viel Sonne abbekommen.

Goldene Rettungsschirme für abzulösende Vorstände, weil das Unternehmen am Rande des Ruins steht, sind selbstverständlich. Vorstände, die wissentlich Betrug dulden und damit die Umwelt belasten, denen aber die Politik die Liegestühle zurechtrückt, weil die Automobilindustrie eine Schlüsselwirtschaft für Deutschland ist, sind und bleiben im Amt oder springen mit einem weinenden und einem lachenden Auge mit einer riesigen Abfindung, eben einem goldenen Rettungsschirm ab.

Unternehmer, die Steuern in Millionenhöhe hinterziehen, die Gelder verschieben oder zumindest dem Zugriff des Insolvenzverwalters entziehen, sind die Helden unserer Zeit. Gewerkschafter, die Nebeneinkünfte beziehen. Politiker, die mehr an Aufsichtsrats- und Rednerhonoraren als an Diäten beziehen. Europapolitiker, die falsche Anwesenheitszeiten angeben und damit ihr Entgelt etwas aufbessern — das ist die heutige Zeit. Man hat keinen Respekt mehr vor dem Gesetz, vor der Gesellschaft und vor anderen Menschen, keinen Respekt mehr vor Mitarbeitern und den Menschen, die man ausbeutet, abzockt und dann in eine Auffanggesellschaft abschiebt oder gleich zu Hartz IV.

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Es wäre aber definitiv falsch, nur diesen Menschen mangelnden Respekt vorzuwerfen. Sie sind nur die Spitze des Eisberges. Sie sind die Vorbilder. Diejenigen, die es vormachen — denn, was die können, kann der kleine Mann auf der Straße sowieso und schon lange. Und ich spreche nicht von den Finanzmanagern. Was Banker sich durchweg leisten und mit welcher Selbstverständlichkeit und Respektlosigkeit weltweit das Finanzroulette betrieben wird, das zu beschreiben, dazu reicht dieser Artikel bei Weitem nicht.

Nein, es geht um Erika Mustermann und Paul Klöppelbauer. Es geht um alle und jeden. Natürlich geht es um rechte Wirrköpfe und gewaltbereite Rechte, die immer offener öffentlich agieren und denen man es ja nachsehen kann. Nachsehen, dass Ausländer gejagt werden, dass Ausländer verprügelt werden, weil die ja zu uns kommen, um faul auf der Haut zu liegen und sich an unserem Wohlfahrtsstaat zu bereichern. Die kriegen keine Liegestühle in der Sonne. Das Oberdeck der Titanic ist voll. Die anderen Decks auch. Also, was bitte sollen diese Ausländer auf dem Schiff? Verprügeln wir sie, schubsen sie zurück in die Rettungsboote oder gleich über Bord. Das sind doch keine Menschen, denen man Respekt entgegenbringen muss. Warum überhaupt soll man Respekt vor irgend etwas als sich selbst haben?

Ach, nur die Rechten haben den Respekt verloren? Nein, die grölen nur im Moment am lautesten. Auch die Linken, die Liberalen, die Grünen, die Gelben, die Schwarzen und die Blauen — alle — haben den Respekt verloren. »Ich habe mein Ehrenwort gegeben«, so sprach der ehemalige Kanzler Helmut Kohl, als er sich weigerte, bei der Aufklärung einer Straftat auszusagen. Passiert ist ihm nichts. Ein unerhörter, aber keineswegs isolierter Fall. Man sollte sich darauf berufen können, wenn man eine Straftat begangen hat.

Ich habe mein Ehrenwort gegeben. Ist das eine Ich-komme-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte? So einfach ist das. Wenn der das darf, dann darf ich das auch. Warum soll ich Respekt vor dem Gesetz haben? Die da oben haben es ja auch nicht.

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Und es ist auch keiner da, der diesen Respekt einfordert. Es ist doch keiner da, der sagt: »Bis hierhin und nicht weiter.« Es ist doch keiner da, der den nötigen Respekt einfordert. Wie auch, wenn auch die Oberen keinen Respekt zollen und von ihnen kein Respekt eingefordert wird. Wenn die das können, dann kann ich das auch.

Aber die Wurzel dieses Übels liegt tiefer, viel tiefer. Tief drinnen in unserem System, in dem die Oberen es vorleben und ihre Privilegien voll und ganz ausnutzen, das System überlisten und die Grenzen immer weiter ausdehnen — und damit durchkommen.

Es beginnt im Kleinen oder ist im Kleinen angekommen. Früher war das nicht so. Zumindest nicht so ausufernd. Es beginnt schon auf der Straße, wo ein Luxuswagen auf einer engen Innenstadtstraße vor einem Supermarkt mit aktivem Warnblinker abgestellt wird, um schnell noch ein paar Einkäufe zu erledigen. Wen interessiert der Bus, der nicht mehr vorbei kann? Wen interessieren die anderen Autos, die nicht mehr weiterkommen, weil der Bus auch nicht durchfahren kann?

Wen interessieren die anderen Menschen, wenn man einen Luxus-SUV fährt? Die sollen doch einmal Respekt vor der Leistung des Halters haben. Denn immerhin haben er oder sie — oder der Partner — viel Geld verdient und es steht ihnen zu, im absoluten Halteverbot zu parken, um wichtige Einkäufe bequem zu erledigen. Verkehrsschilder sind doch höchsten eine Empfehlung. Bitte, wo kommen wir denn hin, wenn es an diesem Respekt fehlt? Und die Polizei steht daneben und tut … nichts.

Nun ja, manches Mal stellen sie einen Strafzettel aus. Fünfzehn Euro. Pffft, das ist doch eine günstige Parkgebühr. Dafür lohnt es sich allemal, diesen Einkaufsvorteil zu nutzen. Immerhin erhält man nur maximal alle vier bis fünf Mal einen Strafzettel; ist doch billiger, als regulär zu parken. Ganz abgesehen von der Mühe zum Laden zu hetzen und dann das ganze Zeug zum Auto zu schleppen. Dafür kann man doch einfach in der zweiten Reihe parken. Nach mir die Sintflut.

Auch der verbeulte und verrostete Kleinwagen steht in der Einfahrt. Wir wollen nur schnell etwas ausladen, hört man. Die Zufahrt ist versperrt und hinter einem stehen schon drei weitere Autos. Sind gleich wieder weg, wird geflötet. Was man mit einem Geländewagen kann, das kann natürlich auch jemand mit einem Kleinwagen der sich in einem Billigjob Tag für Tag abrackert. Kann ich doch auch, denn ich habe gesehen, wie die Oberen es mit ihren Geländewagen machen und die sind doch auch nichts Besseres, oder doch? Sind sie nicht.

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Es geschieht überall: Wie oft muss man aus dem Weg springen, wenn ein Radfahrer in einer Fußgängerzone fährt. Schnell durch. Die vielen Fußgänger stören zwar, aber es ist viel kürzer als außen herum.

Wie oft muss man als Autofahrer an den Fußgängerüberwegen aufpassen, selbst wenn die Ampel grün ist. Nein, es gibt genügend Privilegierte, die bei Rot noch schnell rüber rennen. Und überhaupt. Tempo 50 in der Ortschaft ist doch doof, Tempo 80 an einer Autobahnbaustelle, an der man locker auch 130 fahren kann — der Eisberg kommt näher und näher. Die Polizei tut nichts. Die Politik ist beschäftigt. Vielleicht mit einem Rettungsschirm. Vielleicht mit einen wilden Twitter-Sturm aus Übersee. Vielleicht mit sich selbst.

Der Bodensatz des fehlenden Respekts ist aber noch nicht erreicht. Der Lärm im Treppenhaus, der die Nachbarn aus dem Schlaf reißt, das Tür zuknallen, die Zigarettenkippe, die einfach aus den Autofenster geschnippt oder bequem auf dem Gehweg fallen gelassen wird — das sind die Kleinigkeiten, die Selbstverständlichkeiten, die sich Menschen heute leisten. Warum auch nicht. Respekt? Wovor? Vor wem?

Wahrscheinlich könnte jeder leicht Dutzende, wenn nicht Hunderte solcher Respektlosigkeiten aus dem Stegreif benennen. Es macht nicht wirklich Sinn. Es ist vielleicht schon zu spät. Vielleicht kratzt der Eisberg schon an der Demokratie und der Kapitän kommandiert ungeachtet dessen weiterhin volle Kraft voraus. Oder doch nicht? Die Kanzlerin stellt selten auf volle Fahrt.

Sie macht nichts. Es geht ja auch darum, eine gemeinsame Lösung zu finden und solange die nicht gefunden ist, passiert eben genau nichts. Da diese gemeinsame Lösung nun nicht gefunden wird und das Problem sich sowieso von selbst auflöst oder in Vergessenheit gerät, ist es besser, man tut eben nichts. Aussitzen und zuschauen, wie ein Problem in Vergessenheit gerät, weil ein größeres die Menschheit beschäftigt. Es ist der nächste Eisberg, noch größer, noch gefährlicher.

Vielleicht ist es aber auch noch nicht zu spät und vielleicht kann man Respekt wieder als Grundlage der Gesellschaft einführen. Vielleicht sollte man Gesetze tatsächlich einmal lesen und die Gerichte anrufen. In unseren Gesetzen finden sich nämlich nicht nur Regelungen zu Mord und Totschlag.

So können respektlose Äußerungen in sozialen Medien auch ein Vergehen darstellen, denn leicht verstößt der Respektlose gegen §185 des deutschen Strafgesetzbuches, welcher besagt: »Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.«

Nun ja, die Polizei, die Staatsanwaltschaft und die Gerichte wären sicher völlig überlastet, wenn man wirklich konsequent Respekt einfordern und solche Vergehen anzeigen würde. Man solle sich doch bitte nicht so anstellen, außerdem war das ja nicht so gemeint. Im Übrigen wird das Verfahren wegen Geringfügigkeit ja eh wieder eingestellt. Selbst wenn es vor Gericht geht, dauert das Monate, wenn nicht sogar Jahre und dann wird ein mildes Urteil gesprochen. Der Zeigefinger wird ein paar Mal hin und her bewegt. Das war’s.

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Die Gerichte und die Exekutive haben wahrlich genug mit ›echten‹ Problemen zu tun. Randalierer haben Ausländer angegriffen, in den Ämtern werden Kreuze aufgehängt und immer wieder wird Kindesmissbrauch von Geistlichen vertuscht. Darum müssen sich Staat und Polizei kümmern. Stimmt. Keine Frage. Jedoch:

Wäre es möglich, dass all das passiert, eben weil die Gesellschaft vergessen hat, was Respekt gegenüber anderen bedeutet?

Was wäre, wenn Respekt wieder großgeschrieben würde und respektloses Verhalten, soweit es auch gegen Gesetze verstößt, entsprechend geahndet würde? Wenn die, die in der zweiten Reihe parken, nicht nur 15 Euro zahlen müssten, sondern stattdessen die Auflage bekämen, an zwei Wochenenden in einem Altenheim in der Küche zu arbeiten? Was, wenn ein Vorstand, der gegen Gesetze verstoßen hat, mit dem vollständigen Entzug seines Vermögens — auch dem verschobenen — rechnen müsste?

Natürlich würde ein Aufschrei durch die Gesellschaft gehen und der oder die Politiker, die das durchsetzen würden, könnten sich absolut sicher sein, nicht wiedergewählt zu werden. Aber …

Vielleicht zerschellt die Demokratie dann doch nicht am Eisberg und die Gesellschaft braucht keine rechten und linken Ränder, um ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen.

Vielleicht entsteht eine Gesellschaft, die Respekt als höchsten Wert definiert und damit Freiheit und Würde allen Menschen und allen Lebewesen zuerkennt.

Image by Lennert Kraak from Pixabay

Eine Gesellschaft, die wächst und prosperierst und sich gegen die Schreihälse, Diktaturen und Möchtegern-Diktatoren wehrt, die sich den Autokraten und Menschenverächter unserer Tage entgegenstellen kann und sagt: Wir arbeiten nur mit Menschen, Firmen und auch nur mit Ländern, die andere Menschen, Tiere und die Umwelt respektieren.

Eine Gesellschaft, die das voller Stolz und mit erhobenem Haupt, tut, selbst wenn es dadurch zu wirtschaftlichen Nachteilen kommt. Denn wirtschaftliche Vorteile zu Lasten der Freiheit, der Menschlichkeit und des Respekts vor Menschen ist auch nichts anderes als Respektlosigkeit.

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Grundgedanken zu meinem neuen Buch Die Respektgesellschaft

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Joe Martin

is fascinated by Bitcoin, blockchain, and all things cryptocurrency. He is the author of “Bitcoin, Blockchain & Co. -The Truth and Nothing but the Truth”.