Wie kam die Kultur in den Käse?

Eine Käserei reißt die Fassade eines echten Münsters ab

Miezrichter Zensless
4 min readMay 26, 2017

Der Hafen Münsters ist das Herz des Hansaviertels und hat mehr Charakter als kaum ein anderes Viertel in Münster. Hier trifft Kultur, auf Kunst, auf Werbeagenturen, auf Gastronomie, auf Industrie. Seit einigen Jahren wird der Hafen “neu gestaltet”: Freie Flächen werden bebaut oder, wie der alte Flechtheimspeicher, kernsaniert und zu horrenden Preisen vermietet. Moderne, mehrstöckige Gebäude, ein vollkommen obsoletes Einkaufszentrum und noch mehr millionenschwere Bauaufträge sollen in Zukunft das Gesicht des Hansaviertels prägen. Der unter Denkmal stehende DEMAG Kran wird zwischen den Baustellen hin und her geschoben, als würde er neben den engagiert Baustellen einen Platz suchen, um in Ruhe seine letzten Jahre zu erleben. Die, wie die Einheimischen sagen, Dirty-Side stirbt — und mit ihr ein unwiederbringlicher einzigartiger Ort mit Charakter.

Architektur sollte kein Käse sein

Eines dieser modernen Gebäuden ist die Hafenkäserei. Dort kann die Käseproduktion live bestaunt und allerlei Wissenswertes über das Handwerk in Erfahrung gebracht werden. Eine wunderbare Idee — die Kultur und Industrie in einer außergewöhnlich kreativen Art und Weise kombiniert.

Ich bin Grafikdesigner und Illustrator. Ich habe von Architektur keine Ahnung. Aber die Form und Betonfassaden der Hafenkäserei sind meiner Meinung nach unscheinbar, banal, völlig belanglos, unkreativ und wirken unfertig. Von besonderem Beton ist die Rede, welcher für mich und vermutlich fast alle anderen Betrachter unter dem Strich genau so grau und langweilig wie jeder andere Beton ist. Versteht mich nicht falsch: Ich finde das Gebäude auch nicht hässlich. Aber ein Kompliment ist das auch nicht. Jemandem zu sagen, dass du ihn oder sie nicht hässlich findest stößt erfahrungsgemäß nicht auf viel Euphorie.

Käserei setzt auf Kunst

Die Architektur der Hafenkäserei ist wie ein junger Käse: Er hat wenig bis keinen Charakter–du kannst ihn aber zu fast allem essen.

So oder so ähnlich dachte sich das auch die sehr junge Besitzerin der Hafenkäserei und arrangierte die Gestaltung der Fassade zusammen mit zwei münsteraner Künstlern. Dass es sich dabei außerdem um nationale Größen der Szene handelt, weiß kaum Jemand.

Das Projekt wurde mit Sprühdose und Pinsel an die grauen Wände der Käserei gebracht. Dabei haben die Künstler sich augenscheinlich viele Gedanken über die Käserei und den Hafen gemacht. Das Motiv mit Kuh, Möwe, Käsemeer auf dem ein Pac-Man-Käsekopf samt Friesennerz und Oliven-Cracker-Cap einen Käse-Fisch angelt, hat mich persönlich schwer beeindruckt. Nebenher beendet es den bisherigen Vandalismus an der Fassade. Echte Streetart – hier in Münster.

Quelle: WN Foto: Oliver Werner

Das Kunstwerk überträgt den Spirit der Hafenkäserei–die Kreativität ein so alltägliches und so banales Produkt wie Käse zu entdecken.

Architekten hetzten gegen das Kunstwerk

Klar ist auch, dass das Kunstwerk nicht jedem gefällt. Genau diese Erfahrung musste die Hafenkäserei schnell im spießigen Münster machen. Mit dem Kicker “Kunst oder Katastrophe?” hetzen die Architekten des Gebäudes, Jochen Hartig und Ralf Wömpner, versteckt hinter dem BDA, gegen das Kunstwerk. Internationale Kunstmagazine würden sich über die “absurde Verhunzung” ambitionierten Architektur lustig machen. Ich wusste das es schlecht um den Lokaljournalismus steht. Aber dass ein Artikel so veröffentlich wird, stößt bei mir auf Unverständnis. Ebenso wie die Respektlosigkeit der Architekten gegenüber der heimischen Künstler. Die herablassende Hetze, welche ich nicht als Kritik deuten kann, macht mich wütend. Damit stehe ich nicht allein da: Viele Münsteraner solidarisieren sich sofort mit der Hafenkäserei.

In einem späteren Artikel heißt es Hafenkäserei: Kritik war „ein Treffer“. Es wird behauptet die “heftige Kritik” wäre Absicht gewesen, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Denn “zur Baukultur einer Stadt gehört ein öffentlicher Diskurs”. Dass sich dabei die Mehrheit der Münsteraner auf die Seite der Käserei stellt und somit das Kunstwerk befürworten, spielt dabei keine Rolle. Was für eine Heuchelei. Weiter heißt es „sie setzen es [die Käserei] auf ein kindliches Niveau herab“. Eine Schaukäserei, in der vor allem auch viele Kinder etwas über Käse lernen sollen. Sorry, wie ich schon sagte, ich bin kein Architekt aber ich habe Ahnung von Zielgruppen und ihr, liebes Büro Hartig/Meyer/Wömpner, macht besser nochmal eure Hausaufgaben. Wir alle lieben noch die Sendung mit der Maus.

Ich denke Jochen Hartig und Ralf Wömpner geht es nur um Prestige. Die Interessen, der Bewohner, dessen Stadt sie gestalten, ist scheinbar nicht von Belang für die Architekten. Und das, so denke ich, macht das Architekturbüro Hartig/Meyer/Wömpner zu schlechten Architekten.

Münster ist grau

Dabei, so heißt es, sei es bunt. Die Hafenkäserei muss die Malerei entfernen. Von Architektenurheberrecht ist die Sprache. Rechtlich sicherlich korrekt. Nur ist das Recht nicht immer richtig. Dass das Kunstwerk entfernt wird, finde ich persönlich sehr schade. Wirklich traurig macht mich aber die Entscheidung jegliche Persönlichkeit und jeglichen Charakter in unserem geliebten Münster unter Beton zu begraben. Das Münster von Morgen will unscheinbar und belanglos in einer Illusion von Authentizität sein.

Wir alle gestalten die Stadt so, wie wir alle in ihr leben wollen. Nicht für Prestige und in Angst vor Spott in irgendwelchen Kunstmagazinen. Münster, sei mutig, sei echt, sei kein junger Käse.

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Miezrichter Zensless

Ich bin Creative Coder bei bitpunk.de in Münster. Nebenbei baue ich sinnlose Start-Ups und kritzle in Illustrator rum. Star Wars.