Die Kreisläufe schließen

Boris Kaiser
3 min readNov 8, 2016

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Wir schaffen das. Wir können als letzte und einzige Spezies auf diesem Planeten, die noch ein Wort wie Müll benutzt, aufschließen zu den 99,999…% aller Arten, die Abfall als Nahrung für Neues nutzen. Wir können die Kreisläufe schließen, zugleich effektiv und glücklich leben. Ich möchte für diese Entwicklung ein Pionier sein (dürfen).

Ein guter Freund hat mir dankenswerterweise drei Faktoren genannt,
die sicherstellen sollen, dass gewisse Dinge, Projekte und Ideen an
den entscheidenden Punkten im Leben gelingen können: Timing, Glück
und Leidensdruck.

Es dauert ein wenig, sich diesen Dreiklang zu erschließen und ihn vor allem zu entschlüsseln. Eine gute Hilfe für mich war, ihn als Schablone an meine Biografie anzulegen.

Noch bevor ich in die Schule kam, stand ich bereits auf dem Eis: tanzend — also zunächst natürlich stolpernd, aber es wurde mit der Zeit immer besser. Nach zweihundert Wiederholungen beginnen die meisten Dinge zu gelingen. Das war schon Leidensdruck, oder vielmehr Leistungsdruck, denn ohne den und eine große Portion Freude funktioniert Professionelles selten. Aber tanzen auf dem Eis hat natürlich viel mit Timing zu tun, mit dem richtigen Rhythmus.

Ausgestattet mit diesem Groove erschien der Wechsel ans Schlagzeug gar nicht mehr so adhoc, wie sich das in einem Lebenslauf liest. Timing war also da. Das Glück fehlte.

Halt!

Damit ich mir treu bleibe: Wir haben Unverkäufliches gespielt. Aber es war großartig. Nur: Eine Familie zu ernähren, das war damit nicht drin. Das ging mit Werbung schon besser. Texten, Spinnen, preisintensive Ratschläge formulieren — umgeben von wunderbaren Menschen machte das schon Spaß, aber ich bin nicht ohne Grund anerkanntes und überzeugtes Mitglied der Generation Y.

Why?

Da muss schon ein Sinn dahinter stecken. Sonst kann man sich doch gleich wieder schlafen legen. An einem frostigen 27. Oktober 2010 fuhr der Sinn in Gestalt der Worte von Prof. Michael Braungart wie ein Donnerschlag durch mich hindurch. Da stand einer, der es verstand, eine Jahrmillionen alte und bewährte Idee in ein zukunftsweisendes und umfassendes Konzept zu gießen und dieses dann noch auf den Punkt zu formulieren.

An diesem Tag lernte ich Cradle to Cradle* kennen, die Idee, dass wir alle Rohstoffe, alle Ressourcen die wir benötigen, so herstellen und verwenden können, dass nichts mehr verloren geht, alles effektiv und gesund in ewigen Kreisläufen bleibt, und das die Welt genau zu diesem besseren Ort werden kann, der sie eigentlich schon seit Ewigkeiten ist. Wow!

Als ich im selben Moment in die erstarrten und großteils unverständigen Gesichter der geladenen Gäste in der Industrie- und Handelskammer zu Chemnitz blickte, wusste ich auch: Dieses Konzept hat bis zu seiner Verwirklichung noch einen weiten Weg vor sich.

Aber ich war an. On fire. Bereit!

In den vergangenen sechs Jahren habe ich gelernt, gelernt, gelernt. Ich habe das Konzept einer 100% geschlossenen Kreislaufwirtschaft in mich aufgesogen. Ich habe Kontakte geknüpft und zahlreiche, überaus talentierte und engagierte Menschen kennengelernt, darunter auch einige, die mit diesem Konzept bereits Geld verdienen können: Ingenieure, Verfahrenschemiker, Architekten, Qualitätssicherer und natürlich risikobereite Unternehmer*innen, die in diesem Konzept ihre wirtschaftliche Zukunft und ihre gesellschaftliche Verantwortung zugleich verwirklicht sehen wollen.

“Dieser Weg wird kein leichter sein.“

Das galt und gilt für meinen Weg dann wohl im besonderen. Denn dort, wo erst die Grundlagen geschaffen werden, wo ist da jetzt schon Platz für Marketing, für gut erzählte Produktgeschichten, für innovative Serviceangebote? Obwohl: Natürlich ist dieser Bedarf schon da, denn Nachfrage entsteht niemals ganz ohne Kenntnis, ohne Information, ohne die Chance mal zu probieren. Es ist mehr wie an einem Mischpult, an dem die Bestandteile und Nuancen eines Klanges ins richtige Verhältnis gebracht werden. Wie in der Musik.

Musik? Moment mal. Dann kannte ich mich doch auch aus…

Wenn mein Timing im Moment also noch nicht das richtige ist, dann bleiben noch Glück und Leidensdruck.

Der Leidensdruck des Planeten ist enorm. Der Leidensdruck von uns Einzelnen wohl scheinbar noch nicht. Schade. Aber auch Angst und Verbote sind hierbei schlechte Ratgeber.

Also dann, positiver: Das Glück. Vielleicht brauchen wir, vielleicht brauche ich ja, eine große Portion davon.

Im heute etablierten wirtschaftlichen System gilt es als Wahrheit, dass man Zeit kaufen kann. Ich bin skeptisch, aber zugleich auch neugierig: Wird es uns gelingen? Wird es mir gelingen?

Ich vertraue auf Timing, Glück und Leidensdruck. Mein Weg ist ein Weg in eine Welt ohne Müll, in der Abfall als Nährstoff dient.

* Eine ausführlichere Darlegung der Idee „Cradle to Cradle — von der Wiege zur Wiege“ findet sich unter anderem in diesem Text.

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Boris Kaiser

Marketing | Cradle to Cradle | Circular Economy | Sustainable Business Models