Ein Abenteuer

Timo Stoppacher
4 min readMar 28, 2015

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Ein Abenteuer. Anders kann ich das, was gerade beginnt, nicht nennen. Ich fühle mich ein bisschen wie Bilbo Beutlin, als er auf die Reise geht. Nur, dass ich keinen Schatz suche. Eine Abwechslung von der Routine ist es dennoch.

Ich sitze in einem Zug und fahre durch die nächtlichen Niederlande. Das ist der fünfte Zug auf der Strecke, einmal wird gleich noch umgestiegen. Kurz nach Mitternacht werde ich am Flughafen von Amsterdam sein und nur noch in mein Hotelbett fallen. Das eigentliche Abenteuer beginnt morgen früh.

Noch weiß ich nicht, was passieren wird, außer dass für mich ein Flug nach Rio de Janeiro gebucht wurde. Und dass ich am Flughafen morgen noch ein Päckchen bekommen werde. Meine Aufgabe wird es sein, dieses Päckchen nach Rio zu bringen. Das hört sich ein bisschen nach „The Transporter“ an. Aber das Unternehmen, für das ich unterwegs bin, macht einen seriösen Eindruck, so dass vermutlich nichts Illegales drin ist.

Heute Morgen ahnte ich noch nichts von meinem Abenteuer. Ich hoffte im letzten halben Jahr, seit ich mich als On-Board-Kurier beworben hatte, ständig auf einen Anruf. Zwei Mal riefen sie auch tatsächlich an. Beim ersten Mal konnte ich nicht, weil ich eine Moderation auf einer Veranstaltung am nächsten Tag zugesagt hatte. Sonst wäre ich nach Bangkok geflogen. Der zweite Anruf verhieß Texas, aber er kam nicht zustande.

Kurz vor meiner Mittagspause riefen sie dann heute an. Ich sollte noch heute Abend von Düsseldorf nach Bologna fliegen, eine Lederjacke abholen und morgen weiter nach New York fliegen, um sie abzugeben. Vor meinem geistigen Auge läuft ein Model in einer Jacke über eine wahnsinnig wichtige Modenschau, die durch meinen Einsatz gerettet wurde. Im Laufe der nächsten Telefonate veränderte sich der Auftrag und wurde schließlich durch den jetzigen abgelöst. Rio de Janeiro, morgen früh um 10:40 ab Amsterdam. Dummerweise gibt es morgen früh keine Gelegenheit mit dem Zug nach Amsterdam zu kommen, sodass ich mich nach einer Stunde packen, Verabredungen absagen, bisschen Recherche zu Visa etc. und Vorfreude sofort in den Zug setzte. Das mit der Vorfreude ist blöd, die ist jetzt viel zu kurz. Dafür habe ich dann morgen den Zwölf-Stunden-Flug.

Bis dahin müssen noch die Papiere für meinen Transport kommen. Das Flugticket kam sofort. Ich lande morgen Abend (einem Donnerstag) in Rio und Sonntagmittag geht der Flieger zurück nach Rom. Moment mal, wieso Rom? Ok, in Rom muss ich umsteigen und erst dann geht’s wieder nach Amsterdam. Da ich Nachtflüge nicht mag, ist der Montag gegessen, vor allem weil ich von Amsterdam auch erst wieder ein paar Stunden mit dem Zug nach Köln brauche. Die Agentur hat zwar gesagt, sie versucht noch einen besseren Rückflug zu kriegen, aber da mache ich mir keine Hoffnungen.

Im Zug habe ich noch schnell ein Hotel für die paar Stunden am Flughafen gebucht, das Hotel in Rio muss ich nachher im Zimmer buchen. Ich war noch nie in Rio und weiß nur, dass es da gefährlich ist. Die idealen Voraussetzungen also. Doch in ca. 24 Stunden kann ich mir dann wohl selbst ein Bild machen und zumindest zwei ganze Tage Zuckerhut und Co. besichtigen.

Ich bin aufgeregt. Obwohl ich schon einiges von der Welt gesehen habe, ist Südamerika was Besonderes. Das stand nämlich gar nicht auf meiner Reiseagenda, wo zum Beispiel Thailand seit Jahren auf Platz Eins der Zu-besuchen-Länder steht. Dann kann ich auch kein Portugiesisch. Aber ich mag Samba, schade, dass Karneval schon ein paar Wochen vorbei ist.

Gerade eben war der Schaffner hier. Das Handyticket von der DB war ihm vollkommen suspekt, aber sein kleiner Computer hat es akzeptiert. Hier ist im Zug freies WLAN — nicht besonders schnell, aber kostenlos.

Noch zwei Stunden bis Amsterdam. In der Hektik des Packens habe ich kein Schloss für meinen Koffer mitgenommen. In Brasilien wäre das vielleicht ratsam. Blöde Vorurteile. Schon im Kölner Hauptbahnhof, einem halben Einkaufszentrum, habe ich versucht, noch dieses Reisezubehör zu bekommen. In fünf Läden Fehlanzeige. Dafür dürfen sie sonntags öffnen, weil sie „Reisebedarf“ verkaufen. Ist klar. Hoffentlich kriege ich morgen am Flughafen noch ein Schloss. Natürlich liegen zuhause zwei in der Schublade. Egal, wird als Betriebsausgabe von der Steuer abgesetzt.

Eine Stunde vor Amsterdam der nächste Anruf: Der Kunde hat es sich anders überlegt, ich fliege nicht nach Rio. Nun muss der Kunde schon mal einen Batzen Stornogebühr zahlen, schließlich wurde für mich schon ein Ticket gebucht, was sicher nicht ganz billig war. Deshalb lautet meine Anweisung: ins Hotel, erreichbar sein und morgen früh geht es entweder wieder nach Hause oder der Kunde überlegt es sich nochmal anders (soll wohl öfter vorkommen, die Firma hat da mehr Erfahrung als ich). Ich fände es schade, wenn das Abenteuer zu Ende ginge, ohne dass es richtig angefangen hat. Bis morgen.

Nach dem Aufwachen ein Blick aufs iPhone, keine E-Mail von der Firma. Also keine Frachtpapiere. Ich mache mich auf den Weg zum Flughafen und rufe kurz in der Zentrale an, der Auftrag ist leider endgültig storniert. Ich frühstücke noch im Flughafen und nehme den nächsten Zug nach Hause. Und da war das Abenteuer schon zu Ende. Ich warte gespannt auf den nächsten Anruf.

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