China-Dropshipping: E-Commerce in neu und gefährlich

Chris
3 min readFeb 4, 2018

--

Auf YouTube gibt es bekanntlich kaum etwas, das es nicht gibt. 200 € am Tag verdienen? Kein Problem, detaillierte How-To-Videos findet man sofort. Reine Laber-Videos ohne irgend eine Substanz sind meist schnell zu entlarven. Gefährlich wird es dann, wenn es funktionieren könnte — und sowohl die Anwender als auch die späteren Kunden dabei geschädigt werden könnten.

Konkret habe ich ein Video gesehen, in dem folgendes Vorgehen propagiert wird:

  1. Möglichst schnell und günstig eine Shop-Website zusammenschrauben — natürlich aus kostenlosen oder günstigen Fertigbausteinen
  2. Artikel einpflegen, die man für einen Preis aus einem Billiglohnland — konkret China — beziehen kann, der vermeintlich deutlich unter dem liegt, was für einen vergleichbaren Artikel auf Amazon zu zahlen wäre
  3. Mit Dropshipping direkt an den Endkunden liefern
  4. Da ganze irgendwie bewerben um solche Endkunden zu aquirieren

So richtig neu oder einfallsreich klingt die Sache nicht. Was zu dem Problem führt: Es könnte funktionieren. Das Video ist nicht als reines Klick-Sammeln oder Werbung für irgend einen kommerziellen “Service” angelegt. Daher könnten Zuschauer tatsächlich dazu gebracht werden, die vorgestellten Ideen umzusetzen. Das aber erscheint mir äußerst problematisch.

Bevor ich darauf näher eingehe — hat jemand nach mehr Details zum Business-Modell gerufen? Hier sind sie: Als radikal empfinde ich den Ansatz, bei allem zu sparen. Egal was, man nehme das billigste. Die Wortwahl ist hier bewusst, es geht nicht um günstig. Sparen wo man kann. Kostenloses CMS, vorgefertigte Themes, keine Lagerkosten, maximales Sparen beim Einkauf. Damit ist die Eintrittshürde gering — die Chance, dass das wirklich jemand macht, steigt damit potenziell.

Interessant ist die vorgeschlagene Implementierung der Dropshipping-Methode, also des Versendens der Ware direkt vom Produzenten (oder in dem Fall Verkäufer auf AliExpress) an den Endkunden, ohne Involvierung des Händlers. Die sieht nicht etwa vor, dass der Verkäufer in China das aktiv unterstützt. Statt dessen werden Käufe auf der Vermittlerplattform — in diesem Fall AliExpress, wer auch sonst — durch ein Tool automatisch getätigt und die Address-Daten des Endkunden eingetragen. Eingetragen? Ja genau, indem sich das Tool durch die Formulare des Bestellprozesses auf AliExpress.com hangelt. Klingt für mich jetzt nicht gerade wie etwas, auf das man ein Geschäftsmodell aufsetzen sollte.

Der Autor des Videos ist sehr bemüht, seinen Zuschauern eine absolut einfache Step-by-Step-Anleitung mit zu geben. Immer wieder betont er, wie einfach alles sei und hat auch einige in der Tat extrem simple Tipps auf Lager. Wie beispielsweise sind die zu verkaufenden Artikel auszuwählen? Nun, man entscheide sich auf AliExpress für eine (Unter-)Kategorie und sortiere deren Artikel einfach nach Beliebtheit. Was sich am meisten verkauft, muss gut sein.

Ich bin mir sicher, wer bis hierhin gelesen hat, musste schon das ein oder andere Mal die Stirn runzeln. Eines ist mal klar: An diesem Modell ist alles billig. Qualität? Irrelevant. Was zählt ist ein kleiner Eurobetrag und dass es schnell und einfach geht. Wer dieser Anleitung blind folgt, rennt direkt ins eigene Verderben. Nicht, weil sich damit nicht potenziell Gewinn erzielen ließe. Sondern, weil in dem Video in keiner Weise vor möglichen Gefahren gewarnt wird.

Rechtliche Aspekte? Kein Wort dazu. Dass man vielleicht so etwas wie ein Gewerbe anmelden müsste und Steuern zu zahlen hätte, ist wohl nicht der Rede wert. Und auch, woher die Artikel von AliExpress eigentlich stammen, scheint egal zu sein. Dass die (zumindest vorrangig) in China produziert werden? Wird nicht erwähnt. Muss man dem Endkunden dann offenbar auch nicht mitteilen. Liefer- und Versandprobleme? Sind ebenfalls kein Thema. Der künftige Shopbetreiber wird über mögliche Risiken völlig im Unklaren gelassen.

Für die Endkunden sieht es nicht besser aus. Auch über das Thema Lieferzeiten wird kein Wort verloren, was ziemlich grotesk ist — denn die dürften sich typischer Weise auf mehrere Wochen belaufen, dank des fragwürdigen Dropshipping-Ansatzes. Und noch etwas: Der Autor zeigt als konkretes Beispiel den Verkauf von Kleidung. Was eigentlich, wenn die nicht passt oder einfach mal ganz anders aussieht als auf den Artikelbildern des Verkäufers auf AliExpress?

Das Fazit fällt kurz aus: Liebe Leute mit dem Wunsch nach mehr Einkommen, Finger weg. Die Risiken sind unüberschaubar. Liebe Endkunden, kauft nicht in Online-Shops, die euch nicht jemand empfiehlt, dem ihr vertrauen könnt. Ihr wisst nicht, wann was in welcher Qualität geliefert wird und wie ihr das dann in welcher Zeit reklamieren könnt.

PS: Ich betreibe hier kein aktives Name-Calling. Sollte jemand aber den Link zu dem Video haben wollen um sich selber ein Bild zu machen, schicke ich ihn gerne auf direktem Weg.

--

--

Chris

Ich habe wenig Ahnung von Finanzen, Business und IT. Andere leider noch viel weniger… die rante ich dafür um so heftiger.