Die Narzissten-Studie sagt wenig aus

Mikka Luster
4 min readSep 18, 2017

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In der (fälschlicherweise in den News als “deutsche Studie” bezeichneten) Studie der Uni Graz wurden 600 Probanden auf sehr hohe, beziehungsweise sehr niedrige, narzisstische Tendenzen im Narzisstic Personality Inventory (NPI) befragt. 21 Personen mit sehr hohen und 22 mit sehr niedrigen Tendenzen wurden für den Test ausgewählt.

Unter fMRT (also Bildgebung) wurden diesen 43 Personen dann Bilder von sich selbst, Freunden, und Fremden, vorgelegt.

Männer (und nur Männer) mit einem hohem Narzissmus Score zeigten in der Bildgebung bei Selbstbetrachtung eine starke Aktivierung des dorsalen und anterioren Gyrus cinguli.

Quelle: Scientific Reports 7, Article number: 5804 (2017) doi:10.1038/s41598-017-03935-y
Quelle: Scientific Reports 7, Article number: 5804 (2017) doi:10.1038/s41598–017–03935-y

Daraus schlossen die Grazer, dass Selbstbetrachtung in männlichen Narzissten nicht, wie erwartet, mit einer hohen Selbstverliebtheit sondern Kritik und Angst einher geht.

Probleme

Vorab: Eine so kleine Gruppe ist selbst für diese Art der Studien nicht gross genug um ein aussagekräftiges Bild zu erhalten.

Aer anteriore Gyrus cinguli ist im Allgemeinen mit dem Fehlerkorrektuverfahren des Gehirns, Aufmerksamkeit, ∫, und der “Reward Anticipiation”, also der Hoffnung auf eine Belohnung, assoziiert.

Quelle: Wikipedia, CC0 Lizenz
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Das Fehlerkorektuverfahren ist der wichtige Teil hier. Der AGC hat eine negative Reaktion auf potentielle Fehler. Das bedeutet, er aktiviert, wenn der Beobachter einen Fehler erwartet oder unbedingt vermeiden will. Dies wird durch einen Test (dem “Eriksen Flanker”) unter Bildgebung gezeigt. Hier werden Probanden Bilder von Pfeilen vorgelegt, und die selektive Aufmerksamkeit durch entweder unidirektionale (alles zeigt in eine Richtung) oder bidirektionale (manche Pfeile zeigen nach Rechts, manche nach Links) Reihen getestet.

Quelle: Wikipedia, CC0 Lizenz
Quelle: Wikipedia, CC0 Lizenz

Der posteriore Gyrus cinguli ist mit autobiografischen Erinnerungen, unabhängig von Valenz (positiv und negativ), assoziiert. Er wird auch mit selbstbezogenem Denken in der Meditation in Verbindung gebracht.

Bei narzisstischen Männern, aber nicht Frauen, scheint die Fehlerkontrolle und autobiografische Funktion höher. Daraus schließen die Forscher der Uni Graz negative emotionale Ladung.

Ich bin mir dessen nicht sicher. In den vergangenen Jahren wurde durch Studien nachgewiesen, dass selbst Bilder von “nichts” mehr Likes erhalten als Selfies von Männern, und dass Frauen, unabhängig von Aussehen, Winkel, Beleuchtung, und Tageszeit, fünf bis 22 mal mehr Likes pro Selfie erhalten als Männer.

Männer sind also, durch das Peer-Verhalten darauf trainiert, selbstkritischer an die Selbstdarstellung heran zu gehen. Wer sich in Instagram oder Twitter versucht, wird schnell feststellen, dass der narzisstische Teil des Selfie-postens nicht wirklich befriedigt wird, wenn man männlich ist. Im Gehirn beginnt dann, ab dem ersten Versuch, die Fehlersuche und Fehlerkorrekturfunktion, welche auch bei nicht online gestellten Bildern wahrscheinlich nicht aufhört.

Frauen, auf der anderen Seite, werden wohl eher für ihre Bilder “belohnt”. Dadurch wird der AGC weniger benötigt, auch Autobiografie ist unwichtiger, da das “wann und wo” eines Bildes eher irrelevant zur Fremdbestätigung ist.

Dass ein geringes Selbstwertgefühl und Narzissmus oft (nicht immer) einher gehen, ist eher der Grund der Sache. Wie viele neurotische Störungen sucht der Narzisst durch die Applikation einer Kompensationshandlung (in diesem Falle das selbstgefällige Betrachten des Selbst oder die Suche nach externer Bestätigung) ein Gefühlsequilibrium herzustellen.

So lernen Frauen, welche ihre narzisstische Störung durch das Internet kompensieren wollen, andere Fehlerkorrekturen als Männer. Am Ende geht es halt wirklich nur darum, den “Fix” zu bekommen, sich nicht mehr schlecht zu fühlen. In der Gewohnheitsforschung, die sich genau mit diesen Arealen des Gehirns (dem limbischen System und oft genauer den Basalganglien) beschäftigt, spricht man hier von einer flow cascade.

Kurz gesagt, ein Cue oder Trigger passiert, ein Ritual wird ausgeführt, und eine Belohnung wird erzeugt. Zum Beispiel: ich bin gestresst, ich rauche, ich bin ruhiger. Bald “lernt” das Gehirn diese Kaskade. Folgend wird, wenn der Trigger passiert, ein Verlangen nach dem Ritual ausgelöst. Spieler spielen, Raucher rauchen, Sportler machen Sport, Narzissten betrachten sich im Spiegel oder posten ein Bild auf Instagram. Jetzt muss der Fix kommen. Ein Raucher der nicht mehr ruhig wird, ein Sportler der kein High mehr bekommt oder sich nicht nachher “swole” im Spiegel sehen kann, oder eine Medaille empfängt, oder ein Narzisst, der sich im Spiegel nicht mag oder der keinen Fremdzuspruch bekommt… für diese Menschen treten zwei Dinge ein: Verstärkung und Fehlerkorrektur.

In der Verstärkung wird das Ritual häufiger. So entstehen pathologische Spieler, Lügner, Trinker, oder Narzissten, auch Instagram Poster.

In der Fehlerkorrektur wird der Fehler bei Anderen und dem Selbst gesucht. Ich werde nicht ge-liked, weil ich immer noch zu hässlich, zu dick, zu dünn, etc. bin. Ich werde nicht mehr ruhig, weil ich nicht mehr am Arbeitsplatz rauchen darf. Ich verliere so viel Geld, weil ich nicht genug Geld zum Spielen habe.

Diese Fehlerkorrektur passiert in den Arealen des Gehirns, das die Grazer erforschten. Bei Männern wird hier, durch die signifikant niedrigere Akzeptanz und der signifikant niedrigeren Belohnung für ein Selfie online, die Fehlerkorrektur auch zum Ritual. Und schon haben wir die Effekte, die die Grazer beschreiben.

Dass Narzissten (wie schon oben gesagt) ein geringeres Selbstwertgefühl mit Ritualen aufarbeiten ist grösstenteils keine Neuigkeit. Darauf aber durch die Aktivierung der Fehlerkorrektur, der Autobiografie, und der selbstbezogenen Betrachtung zu schließen halte ich für verfehlt.

Originally published at mikka.is.

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Mikka Luster

Sex, Drugs, and Brains. Neuropsychologist, traveling the connectome for fun and profit. Allergic to snakeoil. Backpacker, long distance hiker.