Maya Moore Money

Dalcash Dvinsky
Basketball without balls
9 min readOct 18, 2015

Jetzt ist sie vorbei, die neunzehnte Saison der Women’s National Basketball Association, die amerikanische Basketballprofiliga der Frauen. Minnesota Lynx schlägt Indiana Fever in einer knallharten Best-of-Five-Finalserie drei zu zwei. Maya Moore führt ihr Team zur dritten Meisterschaft nach 2011 und 2013. Tamika Catchings, in ihrer vierzehnten und vorletzten Spielzeit für Indiana, bleibt der zweite Titel nach 2012 vorerst versagt. Viel zu kurz waren die Playoffs, viel zu wenig Zeit bleibt, die Sieger zu würdigen. In zwei Wochen fangen die Männer wieder an. Der nächste lange dunkle Winter des Frauenbasketballs beginnt.

Ich bin erst seit kurzem WNBA-Fan. Bis vor zwei Monaten wusste ich absolut gar nichts über Frauenbasketball. Dann kam O. zu Besuch. 13 Jahre, gutes Dribbling und streckenweise beeindruckend treffsicher von der Dreierlinie. Sie fragte mich, warum wir eigentlich immer nur Männerbasketball sehen. Weiß ich auch nicht, antwortete ich. Stunden später kaufte ich für fünfzehn Dollar die Eintrittskarte zum Live-Streaming für alle Spiele der WNBA, der amerikanischen Profiliga der Frauen. Es war August, tief in der Off-Season der NBA, eine ansonsten entsetzlich basketballfreie Zeit. Es geschah vor allem aus Verzweiflung. Wie schlimm kann es schon sein, dachte ich. Und: Es ist immer noch Basketball.

Was folgten, waren aufregende Wochen in völligem Neuland. Neue absurde Teamnamen: Fever! Shock! Neue Logos, neue Farben. Die New York Liberty spielen auf einem mintgrünen Feld und Bill Laimbeer ist ihr Coach. Spielernamen: Shoni Schimmel, Swin Cash, Odyssey Sims. Aber auch bizarr fehlgeleitete Werbebotschaften, die so tun als würden WNBA-Spielerinnen ihren Erfolg vor allem ihren Vätern und Brüdern verdanken. Reporter, die sich implizit ständig dafür zu entschuldigen scheinen, dass es die WNBA gibt. NBA-Stars, die am Spielfeldrand sitzen und sagen, sie seien hier, um die Frauen zu unterstützen. Sie sagen nicht Frauen, sondern “girls” oder “ladies”.

Die Liga leidet unter einem extremen Minderwertigkeitskomplex und befasst sich die meiste Zeit damit, ihre eigene Existenz zu rechtfertigen. Angesichts des extremen Selbstvertrauens der Spielerinnen wirkt der ständige öffentliche Kriechgang der Liga völlig irre. Die Werbespots der Liga für die Playoffs zeigen Spielerinnen, die hart trainieren, Meisterschaften gewinnen, spektakulär spielen, während die Stimme im Hintergrund davon erzählt, wie sie es allen männlichen Zweiflern zeigen. “You think I can’t do this?” Zwischen den Bildern vom Sport taucht Candace Parker mit nacktem Oberkörper auf. Dann eine anonyme Frau, die ihre Kinder in die Schule bringt. “You think I can’t? Watch me”. Offenbar reicht es nicht, dass Frauen Weltklassesportlerinnen sind, es ist außerdem wichtig, dass sie gut aussehen und sich um die Kinder kümmern. Es ist alles ein wenig seltsam.

Andererseits: Wenn man von den männlichen Journalisten, Fernsehsendern und Fans so gründlich ignoriert und verachtet wird wie die WNBA, sind Minderwertigkeitskomplexe eventuell nachvollziehbar. “Warum tragen sie keine engen Shorts”, “sie können nicht dunken”, “interessiert doch keinen”, das sind noch die höflichsten der landläufigen Einwände gegen Frauenbasketball. Darunter brodelt hässliche Feindseligkeit. Als ESPN im September per Twitter bekannt gibt, dass Elena Delle Donne “Most Valuable Player” der Liga ist, folgt eine lange Liste von unflätigen misogynistischen Reaktionen. Die NBA hat schon lange damit aufgehört, ihre eigene Frauenliga während der Spiele der Männer zu bewerben. Die Vorsaisonspiele der NBA werden gründlicher vorgezeigt als die Finalspiele der WNBA. Noch Sekunden vor dem Start eines entscheidenden Playoffspiels der Frauen wird auf dem Sender, der das Spiel überträgt, über Baseball geredet. Oder über Fantasy Football. Noch nicht einmal über richtigen Sport.

Es fühlt sich idiotisch an, das hinschreiben zu müssen, aber für alle Zweifler: Die WNBA ist richtiger Sport. Richtiger, guter Basketball. Ich habe seit Jahren eine Liste von Kriterien für guten Basketball. Im Unterschied zu vielen NBA-Teams erfüllen die Frauen meine Kriterien einwandfrei. Was ich vor allem sehen will, ist Teamarbeit. Fünf Spielerinnen, die sich blind verstehen, die sich auf dem Feld wie ein intelligenter Organismus bewegen, nicht wie Individuen. Kluge Pässe. Raumaufteilung. Alle berühren den Ball, bis einer freisteht. Jeder kann abschließen. Schnelle Reaktionen in der Verteidigung. Blindes Vertrauen in die Mitspielerinnen. Kein Stillstand, kein Overdribbling, keine Heat Checks, kein Starspieler, der 15 Sekunden den Ball in der Hand hat, um dann irgendwas Heroisches zu tun. Stattdessen Bewegung, Fluss, Motor. Es ist eine Freude, zuzusehen.

Natürlich ist der Talentpool weniger groß als bei den Männer, kein Wunder, bei Jahresgehältern, die zwei Größenordnungen unter denen der NBA liegen. Natürlich gibt es praktisch keine Dunks und keine Alley-Oops. Die größten Spielerinnen sind so groß wie der Durchschnitt in der NBA. Überraschenderweise fehlen mir die superathletischen Spielereien überhaupt nicht. Zum Ausgleich gibt es auch deutlich weniger Showmanship, weniger Schauspielerei, weniger Flops, keine idiotischen Posen, nur weil man zwei Würfe in Folge getroffen hat. Und offenbar muss man sich gar nicht nach jedem Pfiff beim Schiedsrichter beklagen, es geht auch anders. Eventuell muss man sich als professioneller Basketballspieler gar nicht drei Meter nach hinten fallen lassen wie in einem schlechten Actionfilm, nur weil einen der Gegner kurz an der Schulter berührt. In der WNBA kann ich Fouls ohne Zeitlupe erkennen, weil die Reaktionen einigermaßen normal sind. In der WNBA sind die Naturgesetze noch intakt.

Zu meinen Lieblingsszenen in der WNBA gehören die Huddles der Spieler in den Unterbrechungen im normalen Spielverlauf. Direkt nach einem Foul, vor einem Freiwurf, nach einem Punktgewinn, aber auch, wenn der Ball ins Aus geht. Bei den Männer sieht man in diesem Situationen eine Serie aus High Fives, manchmal auch Low Fives, langes Abklatschen, ein Ritual, das den Teamgeist bestätigt. Wir sind alle da, sagen die Handshakes. Sie sagen aber auch: Eigentlich habe ich mit euch nichts zu tun, mehr als Handklatschen ist nicht drin. In der WNBA trifft man sich in solchen Situationen kurz, steckt die Köpfe zusammen, sagt ein paar Worte, greift sich um die Schultern, und dann geht es weiter. Während der Timeouts steht das gesamte Team eng beieinander, auch die Bankspieler, die keine Chance haben, je Spielzeit zu bekommen. Sie gehören alle zusammen. Es sieht genau so aus, als würden sich die Spielerinnen einer Mannschaft wirklich mögen und nicht nur eine Zweckgemeinschaft bilden.

Man kann das vermutlich nicht von den Gehältern der Spielerinnen trennen. Während selbst durchschnittliche Spieler in der NBA fünf bis zehn Millionen im Jahr verdienen, ab nächster Saison vermutlich noch einmal deutlich mehr, liegen Spitzengehälter in der WNBA bei hunderttausend Dollar, der Durchschnitt deutlich darunter. Männer spielen für den nächsten Vertrag, der wiederum auf ihren persönlichen Statistiken beruht. Teams halten selten mehr als zwei oder drei Jahre, dann werden die Spieler neu zusammengewürfelt. Wer sich für die NBA-Karriere entscheidet, tut dies nicht unbedingt, weil er übermäßig begeistert ist von seinem Sport, sondern eben weil er damit reich werden kann. Das soll natürlich keine Kritik sein, aber es hat Auswirkungen. Der Weg zum Basketballprofi ist auch eine Charakterfrage. Die NBA erzieht sich ihre Egoisten.

In der zweiten oder dritten Nacht mit WNBA-Streams wurde ich Fan der Minnesota Lynx. Ich wollte eigentlich Fan von Tulsa Shock werden, aus offensichtlichen Gründen, aber der Kombination von Maya Moore und Luchslogo konnte ich nicht widerstehen. Nur wenige Tage später bemerkte ich die ersten Anzeichen von Hardcore-Fandom, offenbar eine Krankheit mit kurzer Inkubationszeit. In der Taxonomie der Fans bin ich ein Rooter, ich kann nicht anders, als mich an ein Team zu binden. Nach einer Lynx-Niederlage früh aufwachen und sich wünschen, man könnte die Zeit zurückdrehen. Spiele ansehen und dabei nichts als Unsicherheit und Seelenqual spüren. Irrationaler Hass gegen alle Spieler, gegen die Minnesota keine Chance hat. Brittney Griner, Briann January. Vorurteile gegen Schiedsrichter. Stundenlanges Zittern vor jedem Spiel. Stundenlanges Hadern nach jedem Spiel. Mentale Achterbahnfahrt während des Spiels. Wenn man Fan eines Teams ist, kann man nur mit einem Sieg zufrieden sein, egal, wie er zustande kommt. “This need to win”, schreib der amerikanische Autor Leonard Koppett im Jahr 1973, “puts the rooter in a constant state of worry.”

Das erste Finalspiel am 4. Oktober habe ich mittlerweile verdrängt. Indiana gewinnt in Minnesota und holt den Heimvorteil zurück. Briann January macht, was sie will. Maya spielt durch, alle vierzig Minuten, 27 Punkte und 12 Rebounds. Minnesota trifft besser, hat mehr Freiwürfe, und verliert dennoch, weil außer Maya und Sylvia Fowles kein Mensch etwas zustande bringt. Es sieht so aus, als würde ein balanciertes, hungriges Team gegen eine Mannschaft spielen, die ein wenig zu routiniert ist, ein wenig zu langsam, zu zögerlich, und zu stark auf ihren Superstar konzentriert.

Lynx gegen Fever, das ist mein Traumfinale. Indiana Fever, ein Team, das man unmöglich nicht wenigstens respektieren kann, eine Mannschaft, die als Außenseiter sowohl Chicago als auch New York aus den Playoffs warf. Die Anführerin ist Tamika Catchings, aber das Team ist ausgeglichen, auf allen Positionen gut besetzt, nervenstark und hört nie auf zu spielen. Sie machen einfach weiter, egal, was kommt. Sie verteidigen wie Bienen, wenn man ihrem Bienenstock zu nahe kommt. Ihre Zone ist die beste, die ich bisher in der WNBA sah. Man kann Indiana nie abschreiben, wie das Monster im Horrorfilm, das einfach nicht totzukriegen ist. Wenn ich nicht schon Fan von Minnesota wäre, das wäre mein Team geworden. Wenn sie nur nicht so ein hässliches Logo hätten. Ein Logo, das eher zu einem Baseballteam passt. Oder zu einer Fastfood-Kette.

Zwei Tage später revanchiert sich Minnesota, in einem Spiel, das Fever-Trainer Stephanie White später als “Blutbad” bezeichnet. Weniger das Spiel, als die Schiedsrichterleistung. Tamika Catchings verbringt viele Minuten auf der Bank, weil sie früh fragwürdige Fouls einsammelt. Die Lynx spielen besser, aber treffen immer noch keine Dreier und kriegen immer noch kaum Punkte von ihren Bankspielerinnen. In diesen Playoffs arbeitet Minnesota nur noch mit maximal acht Spielerinnen. Maya verlässt das Feld praktisch nie.

Es gibt so viele Gründe, dieses Team gutzufinden. Maya Moore, die uneigennützige Anführerin, bei der jede Bewegung, der Schritt, jeder Wurf unglaublich präzise wirkt. Außerdem hat sie den schönsten Sprungwurf der Liga. Lindsay Whalen, die routinierte Strategin, planvoll, ruhig, alles unter Kontrolle. Seimone Augustus, eine extrem coole Spielerin mit Moves, die man langsam nennen könnte, wenn sie nicht so effizient wären. Außerdem hat sie den zweitschönsten Sprungwurf der Liga. Niemand ist eleganter unter dem Korb als Sylvia Fowles, die erst in der Saisonmitte zum Team stieß — genau wie ich, könnte man sagen. Ich kann den gesamten Roster runtergehen, bis hin zu Rookie Shae Kelley, die nie spielt, das aber sehr mitreißend und kompetent. Und natürlich Cheryl Reeve, die erfahrene Trainerin, die alle zur Rechenschaft zieht, einschließlich Maya. “She was just awful early, just awful.” Das war nach dem Sieg im zweiten Spiele der Finalserie.

Alles ändert sich in Spiel drei. Die Serie zieht nach Indiana um, auf das schöne, blaugelbe Feld im Bankers Life Fieldhouse. Maya begeht früh im zweiten Viertel das dritte Foul, früh im dritten Viertel das vierte, und steht deshalb kaum mehr als die Hälfte des Spiels auf dem Feld. Zur Halbzeit führt Indiana mit vier Punkten. Gerade die Verteidigung von Minnesota ist rätselhaft lethargisch. Cheryl Reeve explodiert in der Halbzeitpause: “We are not going to lose a game because we don’t play defense. Not in the WNBA finals. NO. WAY.” Sie fuchtelt mit dem Zeigefinger. Vor ihr steht eine Schale mit Bananen.

Aber dann werden zum ersten Mal in der Serie die Bankspielerinnen der Lynx zum entscheidenden Faktor. Renee Montgomery, Deveraux Peters und die Spanierin Anna Cruz ziehen die Verteidigung an und machen 28 wichtige Punkte. Als Maya im Schlussviertel zurückkommt, liegt ihre Mannschaft knapp in Führung. Der Rest ist in ihren Händen. Maya Moore: 24 Punkte, 7 Rebounds, 2 Steals in nur 22 Minuten, Zahlen, die auf den ersten Blick wie ein Druckfehler im Boxscore aussehen. Aber Indiana schlägt immer wieder zurück. Eins Komma sieben Sekunden vor Schluss ist das Spiel ausgeglichen. Eins Komma sieben Sekunden sind eine lange Zeit. Jedenfalls für Marissa Coleman, die Maya hinterherlaufen muss. Whalen findet Maya an der Dreierlinie, Fake, ein Schritt nach rechts, Schuss, perfekt. Das sind genau die Momente, wegen denen ich bis früh um drei Uhr wachbleibe. Maya Moore Money.

Die Geschichte schreiben, während der Ball in der Luft ist. Gamewinner in Spiel 3.

Es ist der Höhepunkt der Finalserie. Der Rest ist schnell erzählt. Im vierten Spiel ist Fowles in Foulproblemen und spielt nur 17 Minuten. Die Flügelspieler von Indiana, Coleman, Catchings und Shenise Johnson, treffen mehr als die Hälfte ihrer Würfe. Indiana zieht im dritten Viertel uneinholbar davon. Es kommt zum alles entscheidenden allerletzten Spiel, zurück im Target Center in Minneapolis. Endlich funktioniert die Lynx-Verteidigung. Im zweiten und dritten Viertel stehen am Ende nur 12 Punkte für Indiana zu Buche. Zwölf miserable Punkte. In der Offensive läuft alles über Sylvia Fowles, die später zum MVP der Finalserie gewählt wird. Endlich ein Spiel, in dem Fouls nicht der entscheidende Faktor sind. Endlich spielt Seimone Augustus wie die alte Seimone Augustus. Minnesota Lynx gewinnt mit siebzehn Punkten Vorsprung. Konfetti und Champagner regnen, das perfekte Ende für die Geschichte. Was für ein Team.

Die Saison ist vorbei. Maya und ihr Team gehen auseinander. Erst im Mai 2016 werden sich die Spielerinnen der Lynx wiedersehen. In einem Interview, das während der Playoffs aufgezeichnet wurde, wird Maya sentimental: “Every year that goes by is one year closer to us not being together as a team.” In der nächsten Szene sieht man, wie Lindsay und Maya sich umarmen, zusammen lachen, und sich gegenseitig beteuern, wie froh sie sind, für dieselbe Mannschaft zu spielen. Eine Woche nach Ende der Finalspiele wird Maya Moore alleine nach China fliegen, um dort vier Monate lang Geld zu verdienen. Mayas Team, dreifacher chinesischer Meister, heißt Shanxi Flame.

Eine stark gekürzte Version dieses Textes erschien am 15. Oktober 2015 in der TAZ-Kolumne “American Pie”.

--

--