Gleichberechtigte Elternschaft: Ein Erfahrungsbericht mit konkreten Ideen

Dana Willms
8 min readJul 17, 2022

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Mein Mann und ich sind Eltern zweier Kinder. Uns sind sowohl unsere Kinder als auch unsere Freizeit und unser Berufsleben sehr wichtig. Wir verteilen Aufgaben so, dass es unseren beiden Bedürfnissen entspricht. Dabei erfolgt explizit keine automatische Aufgabenübernahme entsprechend traditioneller Rollenbilder. Mein Mann ist deshalb auch keine Unterstützung oder Hilfe, sondern gleichberechtigter Partner. Mir haben in der ersten Schwangerschaft Vorbilder für eine gleichberechtigte Elternschaft gefehlt. Viele haben mir sogar prophezeit, dass ich daran scheitern werde, sobald ich Mutter bin. Das Gegenteil ist eingetreten - deshalb möchte ich mit diesem Artikel meine Erfahrungen und Ideen dazu teilen, Mut machen und Inspiration bieten.

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Als mein damaliger Freund mir nach sieben Jahren Beziehung einen Heiratsantrag machte, habe ich zunächst um Bedenkzeit gebeten. Ich wusste von seinem Kinderwunsch. Gleichzeitig war ich selbst unsicher, ob ich Kinder haben wollte. Ohne eine gemeinsame Entscheidung zum Thema Familiengründung wollte ich den Heiratsantrag nicht annehmen.

Ich kannte keine Eltern, die sich Betreuung und Beruf wirklich gleichberechtigt aufteilten. Die meisten Mütter in meinem Umkreis hatten mit dem ersten Kind ihre eigene Karriere und Freizeit zugunsten ihres Mannes hintenangestellt. Dies war kein Modell, das ich leben wollte. Also stellten wir uns die Frage, wie für uns ein Leben mit Kindern aussehen könnte. Erst als klar war, dass wir alle neuen Aufgaben gleichberechtigt aufteilen würden, konnte ich mich mit dem Gedanken ans Mutterwerden und Heiraten anfreunden. Uns hat es sehr geholfen, offen über unsere Erwartungen, Ängste und Wünsche zu sprechen. Außerdem konnten wir so frühzeitig Lösungen finden, die für uns beide passten. Ich kann diese frühzeitige Abstimmung nur empfehlen. Traut euch dabei, euren eigenen Weg zu finden, auch wenn dieser unkonventionell ist. Sehr ermutigend und inspirierend fand ich das Buch „Mut zu Kindern und Karriere“ von Stefanie Bilen, in dem sie 40 beruflich ambitionierte Mütter zu ihrem individuellen Weg interviewt, Kind und Karriere zu vereinbaren.

Konkret haben wir uns während der Schwangerschaft mit diesen Fragen auseinandergesetzt:

  • Wer bleibt wie lange zu Hause?
  • Wann wollen wir Betreuung in Anspruch nehmen?
  • Wer gewöhnt das Kind in der Betreuung ein? Hier sollte berücksichtigt werden, dass die Eingewöhnung länger dauern kann als geplant.
  • Welches Einkommen steht uns in den einzelnen Monaten zur Verfügung?
  • Wie gleichen wir Einkommen und Renteneinzahlungen aus, wenn ein Elternteil (temporär) beruflich kürzer tritt?
  • Wie viel und wann wollen wir arbeiten, wenn das Kind in Betreuung ist?
  • Wie können wir Bringen und Holen des Kindes in die Betreuung so aufteilen, dass wir beide auf unsere gewünschte Arbeitszeit kommen?
  • Wer bleibt zu Hause, wenn das Kind krank ist?

Da wir ähnlich gut verdienen, war bei den Entscheidungen unser jeweiliges Einkommen nebensächlich. Ich würde allerdings nicht so weit gehen, dies als Voraussetzung zu nennen, um von der traditionellen Rollenverteilung abzuweichen. Die Entscheidung für ein Kind trifft man schließlich auch nicht aus finanziellen Gründen. Warum also nicht das Elternwerden nutzen, um die finanziellen Bedürfnisse neu zu hinterfragen? Bei vielen Neu-Eltern rücken die bisherigen Kostentreiber wie Fernreisen, Feiern und teures Essen schließlich erst mal in den Hintergrund. Und der Markt für gebrauchte Kindersachen ist riesig. Das schont nicht nur den Geldbeutel, sondern auch die Umwelt.

Eine andere Begründung für die traditionelle Aufteilung der Betreuung und Erwerbstätigkeit ist oft das ansonsten drohende Karriereende des Mannes. Aber ist es nicht genau deshalb wichtig, dass auch männliche Führungskräfte ihr Recht auf Betreuungszeit und Teilzeit einfordern, um für jüngere Mitarbeitende Vorbild zu sein und traditionelle Rollenbilder aufzubrechen? Sollte dem tatsächlich der Karriereknick folgen, ist man beim aktuellen Arbeitgeber vermutlich langfristig eh nicht mehr gut aufgehoben.

Wiedereinstieg

Insgesamt bin ich bei unserem ersten Kind zehn Monate zu Hause geblieben und mit einer 4-Tage-Woche zurück in den Beruf gestartet. Zu meinem Wiedereinstieg habe ich eine Führungsrolle in einer benachbarten Abteilung übernommen. Der Aufgabenumfang war allerdings derselbe wie in meiner vorherigen Vollzeitrolle. Daher musste ich lernen, mehr zu delegieren. Diese höhere Verantwortungsübernahme wurde von den Mitarbeitenden sehr wertgeschätzt. Auch mein Vorgesetzter war mit den Ergebnissen zufrieden und beförderte mich zwei Jahre später. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass Kind und Karriere vereinbar sind, wenn man die Zuständigkeit für die Kinder zwischen den Eltern aufteilt. Von der weiblichen Tendenz, den beruflichen Ehrgeiz mit aufkommendem Kinderwunsch aufzugeben, warnt übrigens Sheryl Sandberg sehr eindringlich in ihrem Buch „Lean In“.

Mein Mann ist mit unserem ersten Kind in seine zweimonatige Elternzeit gestartet, als ich wieder angefangen habe zu arbeiten. Als unser Sohn 10 Monate alt war, hat er die Kita-Eingewöhnung gemacht. Weil das sehr gut und schnell geklappt hat, wiederholen wir diese Taktik nun beim zweiten Kind. Mein Wiedereinstieg steht an, wenn unser Baby neun Monate alt ist. Die restliche Elternzeit und Kita-Eingewöhnung übernimmt wieder mein Mann. Das ermöglicht uns nicht nur einen Perspektivenwechsel von Arbeit/Elternzeit, sondern hält mir gleichzeitig den Rücken frei, um im neuen Job zu starten. Nachdem mein Mann bei unserem ersten Kind noch 38 Stunden gearbeitet hat, wird er nun nach der Kita-Eingewöhnung auf eine 32-Stunde-Woche reduzieren, damit auch er wieder mehr Zeit für eigene Interessen hat.

Für uns hat sich die Bereitschaft, gemachte Pläne anzupassen, als sehr wichtig erwiesen. So bleibt man flexibel, wenn sich zum Beispiel ein Elternteil unerwarteter Weise eine frühere Rückkehr in den Beruf wünscht oder länger zu Hause bleiben möchte. Da wir unsere Arbeitgeber frühzeitig über Planänderungen informiert haben, wurde unseren Änderungswünschen entsprochen. Bei Kindern gilt schließlich umso mehr: „Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt.“

Aufgabenteilung

Mein Mann und ich verteilen Aufgaben und Zeiten so, dass es unseren beiden Bedürfnissen entspricht. Dabei ist niemand standardmäßig für die Kinder zuständig. Mein Mann ist deshalb auch keine Unterstützung oder Hilfe, sondern gleichberechtigter Partner.

Mit unserem ersten Kind haben wir zum Beispiel das Bringen zum und Abholen vom Kindergarten so organisiert, dass ich an drei Tagen ein flexibles Arbeitszeitende hatte, während mein Mann diesen Vorteil an zwei Tagen nutzten konnte:

  • Von Montag bis Donnerstag bringe ich unser Kind und beginne gegen 9 Uhr zu arbeiten. Mein Mann startet an diesen Tagen sehr früh mit der Arbeit und holt unser Kind ab.
  • Am Mittwoch, meinem freien Tag, übernehme ich beide Wege.
  • Am Freitag bringt mein Mann und ich hole ab.

Durch die Zunahme von Home-Office können wir Bringen und Abholen zudem flexibler tauschen, wenn ein wichtiger Arbeitstermin sonst nicht wahrnehmbar ist.

Wenn unser Kind krank ist, prüfen wir abhängig von unseren Terminen, wer einspringt. Und auch bei der nächtlichen Zuständigkeit wechseln wir uns dann ab. So haben beide nach einer unruhigen Nacht wieder eine erholsame Nacht.

Wir bringen unsere Kinder abwechselnd ins Bett, auch wenn diese oft andere Präferenzen haben. Beim ersten Kind hatte so jedes Elternteil jeden zweiten Abend kurz Zeit für sich. Und auch mit zwei Kindern hat es den Vorteil, dass jedes Elternteil auch mal einen Abend weg sein kann. Mir ist diese Gleichberechtigung überraschenderweise nicht immer leichtgefallen und ich habe meine Babys oft eingefordert, wenn sich diese nicht (schnell genug) vom Papa beruhigen ließen. Zum Glück hat sich mein Mann nicht von mir zurückdrängen lassen (Stichwort “Maternal Gatekeeping”) und so wurde es mit der Zeit, vor allem nach dem Abstillen, immer leichter für ihn, seine Kinder zu beruhigen und ins Bett zu bringen.

Wenn ihr über Aufgabenverteilung nachdenkt, solltet ihr auch den unsichtbaren „Mental Load“ berücksichtigen. Hierzu gehören all die Dinge, die häufig „nebenbei“ erledigt werden:

  • Essensplanung, Einkauf und Zubereitung sowie alles zur Beikost
  • Übersicht und Einkauf von Drogerieartikel
  • Vereinbaren und Durchführen von Arztterminen
  • Übersicht und Einkauf von Kleidung, auch für Kita oder Kindergarten
  • Aufräumen und Saubermachen oder Haushaltshilfe organisieren
  • Babysitter organisieren
  • Verabredungen mit befreundeten Kindern treffen
  • Termine und ggf. Elternbeiratsamt in Kita oder Kindergarten wahrnehmen
  • Sparpläne anlegen und Vieles mehr

Während meiner beiden Elternzeiten lagen viele dieser unsichtbaren Aufgaben zunächst bei mir. Mit meinem Weidereinstieg haben wir die Aufgaben neu verteilt. Um einen Überblick über alle Aufgaben zu erhalten und Verantwortlichkeiten klar zu verteilen und abzugrenzen, hat mir das Buch „Fair Play“ von Eve Rodsky sehr geholfen.

Individuelle Zeit

Ich habe mich bewusst dazu entscheiden, vier Tage Vollzeit zu arbeiten und den Mittwoch frei zu haben. In einer ansonsten sehr durchgeplanten Woche bewirkt diese Erholungspause, dass ich mich anschließend wieder viel aufmerksamer den Bedürfnissen anderer widmen kann. Teilzeitarbeitende Eltern, also meistens Mütter, verbringen allerdings meist die gewonnene Zeit mit ihren Kindern, um die Betreuungszeiten zu reduzieren. Dabei ist die Betreuungszeit der Kinder oft die einzige Möglichkeit für ungestörte, selbst bestimmte Zeit.

Eine weitere Möglichkeit für regelmäßige persönliche Freiräume entsteht dadurch, dass wir nicht jede Aktivität als Familie durchführen. Mein Mann übernimmt zum Beispiel oft den Samstagmorgen die Kinderbetreuung, während ich am Sonntagmorgen zuständig bin. Die beiden Nachmittage verbringen wir alle zusammen.

Regelmäßig frei verfügbarer Zeit sollte in meinen Augen kein Luxus sein, den man sich als Ausnahme vom Normalzustand erkämpfen muss. Vielmehr gehört für mich in einer gleichberechtigten Partnerschaft der Raum dazu, in dem persönliche Interessen Platz haben. Denn wir bleiben Individuen mit dem Wunsch nach Selbstverwirklichung, auch wenn wir Eltern werden. Rodsky nennt diese Freiräume in ihrem Buch „Fair Play“ Unicorn Spaces.

Paarzeit

Mein Mann und ich wohnen 700 km entfernt von unseren Eltern. Dadurch sind die Betreuungsoptionen unserer Kinder durch ihre Großeltern nur selten vorhanden. Trotzdem haben wir schon früh jeden Besuch unserer Eltern genutzt, um etwas zu zweit zu unternehmen. Davon profitieren bei uns alle: Unsere Eltern sind froh über die exklusive Zeit mit ihren Enkeln, die Enkel genießen volle Aufmerksamkeit und wir die entspannte Ruhe ohne Kinder im Restaurant, Kino oder beim Wellnessen.

Um auch regelmäßig in unserem Alltag Paarzeit zu haben, nutzen wir eine Babysitterin. Wir haben hierfür glücklicherweise eine Person aus der Kita, die unseren Sohn bereits kannte, gewinnen können. Zu ihr hatten wir bereits Vertrauen und unser Sohne musste sich nicht erst an eine neue Bezugsperson gewöhnen. Seitdem unser zweites Kind da ist, leidet die Paarzeit etwas und wir arbeiten daran, neue Routinen zu schaffen.

Vorteile gleichberechtigter Elternschaft

Ich empfinde das Elternsein parallel zu einem ambitionierten Berufsleben durchaus als anstrengend und phasenweise sehr stressig - genauso geht es meinem Mann. Nichtsdestotrotz möchten wir die Bereicherung, die wir durch unsere berufliche Tätigkeit erfahren, nicht missen. Die Berufstätigkeit bietet uns einen Perspektivenwechsel zum Elternsein. Besonders nach den zehn Monaten mit dem ersten Kind zu Hause, in denen der Alltag von Baby-Themen geprägt war, die eigenen Bedürfnisse hintenanstanden und ich mich oft fremdbestimmt gefühlt habe, hat mir der Wiedereinstieg in den Beruf ein gutes Gefühl bereitet.

Auch wer in der Elternrolle voll aufgeht und das Berufsleben nicht vermisst, sollte sich fragen, ob nicht die eigene finanzielle Unabhängigkeit Grund genug ist, um beruflich am Ball zu bleiben. Leider ist unsere Gesellschaft noch nicht so weit, Care-Arbeit als echte Arbeit anzuerkennen. Daher ist es oft schwer, nach langer beruflicher Pause eine gut bezahlte Tätigkeit zu finden. Dies kann dann zum Problem werden, wenn die Kinder groß sind oder eine Trennung dazu führt, wieder arbeiten zu müssen.

Wenn beide Elternteile berufstätig bleiben, reduziert sich nicht nur die finanzielle Abhängigkeit, es kann sich auch das Interessenspektrum vergrößern. Durch eine erfüllte Berufstätigkeit bleibt man also nicht nur selbst an interessanten Themen dran, sie bietet auch den Zugang zu weiteren Gesprächsthemen in der Partnerschaft und im Freundeskreis.

Außerdem wächst das Verständnis für die jeweils andere Person, die gerade von der Arbeit kommt oder die Kinderbetreuung geleistet hat. Da man selbst auch ständig in der anderen Rolle steckt, kennt man die Höhen und Tiefen der anderen Seite.

Indem traditionelle Rollenbilder durchbrochen werden, sind wir selbst das beste Vorbild für unsere Kinder, die in einer Welt aufwachsen, in der sich kümmernde Väter und berufstätige Mütter eine Selbstverständlichkeit sind und die deshalb gar nicht erst auf die Suche nach Vorbildern gleichberechtigter Eltern gehen müssen.

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Dana Willms

I live with my two boys and husband in my favourite city Munich. I am interested in sustainability, equality and new work to make the word a better place.