Vernetzung bedeutet Kontrolle – auch für den Journalismus der digitalen Gesellschaft. (Copyright: ePi.Longo, The spider and the net, cc-by-sa-2.0 via flickr.com)

Urteil zum BND-Gesetz: Was heißt Quellenschutz im Zeitalter digitaler Massenüberwachung?

Daniel Moßbrucker

--

Das BND-Gesetz ist verfassungswidrig. Diese Klarstellung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Erfolg, aber noch kein Sieg für die Pressefreiheit. Im Grundsatz hat Karlsruhe die digitale Massenüberwachung nämlich abgesegnet. Und nun? Journalistische Schutzrechte bei geheimdienstlicher Massenüberwachung sind für die deutsche Rechtsordnung echtes Neuland. Im Urteil steckt daher die Aufforderung, Quellenschutz neu zu denken: weg von einem nur reaktiven Schutz vor Verfolgung, hin zu einer proaktiven, auf die Zukunft gerichteten Ermöglichung von Vertraulichkeit in der Kontrollgesellschaft.

von Daniel Moßbrucker

Manche Medienschaffende mögen mit Gleichgültigkeit auf das Karlsruher Urteil zur Massenüberwachung des Bundesnachrichtendienstes schauen. „Geheimdienst? So wichtig bin ich nicht.“ Das mag stimmen, und dennoch lohnt sich eine Analyse des Urteils für alle, die über die Zukunft des (investigativen) Journalismus in einer digitalisierten Gesellschaft nachdenken.

Warum? Weil das Urteil eine gesellschaftliche Umwelt skizziert, in der sich der Journalismus künftig bewähren muss. Unser Leben wird digital abgebildet, wir speisen täglich unser data double. Wir erleben den Übergang zu einer Gesellschaft allumfassender, also ubiquitärer Kontrollmöglichkeiteneine Kontrollgesellschaft. Ich will damit nicht sagen, dass demokratische Staaten wie Deutschland an einer orwellschen Totalüberwachung arbeiten. Dieses Narrativ überlassen wir den Verschwörungstheorien. Aber: Allumfassende digitale Überwachung wird technisch möglich, und wir werden auch in Demokratien in vielen Bereichen streiten müssen, unter welchen Bedingungen der Staat Kontrollmöglichkeiten zur tatsächlichen Überwachung nutzen soll. Die Richter:innen formulieren das so:

„Angesichts der ubiquitären und vielfältigen Nutzung von Kommunikationsdiensten findet inzwischen zunehmend jede Art individuellen Handelns und zwischenmenschlicher Interaktion in elektronischen Signalen ihren Niederschlag und wird so der Telekommunikationsüberwachung zugänglich. (…) Zugleich reichen heutzutage die Analysemöglichkeiten wesentlich weiter. (…) Insgesamt erstreckt sich die strategische Telekommunikationsüberwachung damit inzwischen potentiell auf annähernd die gesamte Kommunikation auch der Zivilgesellschaft.“ (Rn. 151)

Das Urteil steckt den Rahmen ab, innerhalb dessen der Journalismus der Kontrollgesellschaft möglich sein wird. Wie lässt sich in diesem Korsett ein digitaler Quellenschutz 2.0 denken? Es wird nicht genügen, wenn sich der Journalismus als „Vierte Gewalt“ normativ auf Schutzrechte beruft, Anonymität einfordert oder „den Verzicht auf digitale Geräte“ empfiehlt. Und auch „digitale Selbstverteidigung“ oder „Verschlüsselung“ sind allenfalls Teile der Lösung.

Selbst wenn Geheimdienste Journalist:innen nicht überwachen wollen, geraten diese bei anlassloser Massenüberwachung zwangsläufig ins Netz. Eine zentrale Botschaft des Karlsruher Urteils ist:

„Die strategische Auslandstelekommunikationsüberwachung ist mit Art. 10 Abs. 1 GG nicht grundsätzlich unvereinbar.“ (5. Leitsatz)

Der Journalismus steht damit vor einer Paradoxie: Er muss akzeptieren, dass er allumfassend kontrolliert wird, gleichzeitig aber einen digitalen Quellenschutz leben, der eben diese allumfassende Kontrolle verhindern will. Im Folgenden will ich in einer Analyse des Urteils einige konkrete Ideen erarbeiten, wie sich diese Paradoxie entfalten ließe. Im Einzelnen:

1.Es braucht ein flexibles Journalismus-Verständnis mit globalem Geltungsanspruch

2.Journalismus wird legitimer Informationsbeschaffer der Bundesregierung. Da hilft nur Verschlüsselung.

3. „Lieber Geheimdienst, dies ist meine Handynummer. Bitte nicht überwachen.“ Whitelisting als technische Lösung?

4. Ombudsleute der Presse müssen in die “gerichtsähnlichen” Kontrollgremien des Geheimdienstes.

5. Kontrolle von Algorithmen: Die Verhinderung der Verhinderung journalistischer Arbeit in der gegenwärtigen Zukunft.

Der Rahmen, in dem sich digitaler Quellenschutz 2.0 gestalten lässt

Die Richter:innen stellen in ihrem Urteil klar, dass deutsche Behörden wie der BND in ihrem Handeln ans Grundgesetz gebunden sind und dies „nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt“ ist. Daraus folgt, dass die anlasslose Massenüberwachung an das Telekommunikationsgeheimnis (Art. 10 GG) und die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) eingreift, egal wo und gegen wen sie stattfindet. Zur Erinnerung: Die Bundesregierung hatte diese Position beim BND-Gesetz nicht geteilt und „Ausländer im Ausland“ zur quasi schrankenlosen Überwachung freigegeben.

Auf dem Prüfstand war die sogenannte strategische Fernmeldeaufklärung des BND. Es geht also nicht um die Frage, wie Ex-BND-Präsidenten öffentlichen suggerierten, ob der BND gezielt Menschen überwachen darf, wie zum Beispiel Terrorist:innen. Verhandelt wurde stattdessen, unter welchen Bedingungen der BND anlasslos das gesamte Internet filtern kann.

Die Kläger:innen, von denen viele als investigative Journalist:innen arbeiten, machten eine Verletzung der Pressefreiheit geltend. Wer den Staat kritisch beäugen soll, braucht Quellen — und dafür Vertraulichkeit. Problematisch kann es insbesondere werden, wenn der BND Überwachungsdaten mit anderen Geheimdiensten teilt und ausländische Journalist:innen oder ihre Quellen in ihrer Heimat dadurch in Gefahr geraten. Außerdem könnte der BND das deutsche Redaktionsgeheimnis umgehen, wenn er bei Kooperationen wie den Panama-Papers ausländische Medien überwacht. Nach dem sogenannten Artikel 10-Gesetz dürfte er in Deutschland eigentlich keine Medien abhören, könnte mit einem Umweg übers Ausland aber dennoch an Infos über ihre Arbeit kommen. Kurzum: Internationalisierung und Digitalisierung machen neue Formen des Journalismus möglich, die aber bei geheimdienstlicher Massenüberwachung besonders verletzlich sind.

Am 19. Mai 2020 hat das Bundesverfassungsgericht ein Grundsatzurteil zur BND-Massenüberwachung gesprochen. (Copyright: Daniel Moßbrucker)

Die Richter:innen fordern nun, bei der Massenüberwachung “besondere Anforderungen (…) an den Schutz von Vertraulichkeitsbeziehungen” zu stellen: “Die journalistische Tätigkeit rechtfertigt nicht, Personen einem höheren Risiko der Überwachung auszusetzen (…).” Das Gericht fordert stattdessen “qualifizierte Eingriffsschwellen” für eine Überwachung der Presse, die nur in Einzelfällen zur Aufklärung besonders schwerer Straftaten gerechtfertigt sein könne. Das ist eine Revolution im deutschen Recht, denn bisher waren nicht-deutsche Journalist:innen de facto schutzlos der BND-Massenüberwachung ausgeliefert.

Die Richter:innen machen zwar keine konkreten Vorschläge, spielen in ihren Formulierungen aber auf bestehende gesetzliche Schutzrechte an. Explizit wird verwiesen auf Paragraph 160a der Strafprozessordnung. Demzufolge müsste der BND künftig abwägen, ob im Einzelfall die Sicherheitsinteressen Deutschlands oder das öffentliche Interesse an der Vertrauensbeziehungen zwischen Journalist:innen und Quellen höher zu bewerten sei. Konkret: Landet auf dem Schreibtisch eines Auswerters eine vom BND ausgefilterte Kommunikation, in dem sich eine Journalistin mit einem Informanten unterhält, ist abzuwägen: Muss die Kommunikation verarbeitet werden, um damit ernste Gefahren für Deutschland abzuwehren? Oder überwiegt das Recht der Journalistin auf Vertraulichkeit, damit sich Informanten auch in Zukunft an sie wenden werden?

Von dieser Einzelfallprüfung kann der BND nur abweichen, wenn eine Überwachung von Journalist:innen “nur” dazu dient, Informationen für die Bundesregierung zu sammeln, eine Datenweitergabe an ausländische Dienste aber prinzipiell ausgeschlossen ist (siehe dazu unten, Punkt 2).

Wie die Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit in den verschiedenen Stadien der Überwachung konkret abläuft, dürfte die Gretchenfrage werden. An der Praxis wird sich zeigen, wie ernst die Bundesregierung künftig den Schutz der Presse nimmt.

1. Es braucht ein flexibles Journalismus-Verständnis mit globalem Geltungsanspruch

Das Gericht stand vor einem bekannten Problem: Wer gilt denn eigentlich als Journalistin oder Journalist? Der Journalismus-Begriff ist nicht geschützt, was in einer freien Gesellschaft gut ist. Journalismus erfüllt eine demokratische Funktion in der Gesellschaft, und die Erfüllung muss prinzipiell jedem und jeder offen stehen, unabhängig von fachlichen Qualifikationen, finanziellen Ressourcen oder persönlichen Ansichten. Pressefreiheit ist ein unteilbares Menschenrecht.

Allerdings: Journalistische Schutzrechte sind deshalb längst kein Selbstzweck, die man aus Goodwill möglichst bereitwillig gewähren sollte. Es sind Privilegien, die sich nur mit der gesellschaftlichen Funktion des Journalismus rechtfertigen lassen und nur dann ihre Funktion erfüllen, wenn sie auf den Journalismus beschränkt bleiben: Wenn jede und jeder mit Facebook-Profil oder YouTube-Channel besonders scharfe Presse-Auskunftsansprüche gegenüber einer Behörde geltend machen könnte, dann hätte die Presse keine gesonderten Rechte mehr, und könnte ihre gesellschaftliche Funktion eben nicht mehr erfüllen. Pressefreiheit verlangt, zwischen Presse und Nicht-Presse zu unterscheiden.

Man darf dieses Problem nicht als Argument nutzen, um Journalistinnen und Journalisten im Ausland per se jeglichen Schutz zu versagen — so, wie es die Bundesregierung im Verfahren gemacht hat. Nur, weil es in manchen Fällen nicht trivial zu entscheiden ist, ob jemand Journalist oder Journalistin ist, spricht das ja nicht im Grundsatz dagegen, die Freiheit der Presse zu achten.

Und dennoch ist es natürlich eine Herausforderung, vor die Bundesregierung aber auch der Journalismus nun stehen. Gerade im globalen Kontext fehlt es an klaren Kriterien und Journalismus-Definitionen. Karlsruhe steckt hier einen Rahmen ab, für wen der künftige Schutz vor Massenüberwachung gelten sollte:

„Der Gesetzgeber kann für den Schutz von Berufsgruppen und deren Tätigkeit im Rahmen der Auslandsaufklärung den verschiedenen Umständen, unter denen die Presse oder Anwaltschaft in anderen Ländern tätig ist, Rechnung tragen. Er kann danach den Schutz auf Personen und Situationen beschränken, die tatsächlich schutzwürdig sind, deren Tätigkeit also durch die Freiheit und Unabhängigkeit gekennzeichnet ist, die den besonderen grundrechtlichen Schutz dieser Institutionen rechtfertigen (…). Maßgeblich sind insoweit die sich aus den Grundrechten des Grundgesetzes ergebenden Wertentscheidungen, die ihrerseits in die internationalen Verbürgungen der Menschenrechte eingebettet sind (…). Unsicherheiten ist auf der Grundlage informierter Einschätzungen zu begegnen.“ (Rn. 196)

Wer „tatsächlich schutzwürdig“ ist, lässt sich damit klar negieren: Der BND muss nicht Halt machen vor Staatsmedien in Diktaturen, weil sie als Propaganda-Organ ihrer Regierung fungieren und eben nicht durch „Freiheit und Unabhängigkeit” gekennzeichnet sind. In diesen Länder legt der Staat fest, was Journalismus ist, und genau das ist mit den “aus den Grundrechten des Grundgesetzes ergebenden Wertentscheidungen” unvereinbar.

Wie aber lässt sich ein Journalismus-Begriff positiv aufbauen? Karlsruhe gewährt mindestens denjenigen Schutz, die auch – so könnte man sagen – nach „deutschen Maßstäben“ ein Presseorgan sind im Sinne des Grundgesetzes. Man zielt bei diesen Minimalstandards offensichtlich auf Medienunternehmen und mit ihnen kooperierende Freiberufler:innen, wofür der Bezug auf „Institutionen“ spricht. Zu fordern wäre daher, dass der BND mindestens einen Journalismus-Begriff anwendet, der dem deutschen, vielleicht auch „westlichen“ Verständnis freier Medien entspricht. Um es konkret zu machen: Der Spiegel enthüllte 2017, dass der BND über Jahre renommierte Medien wie die BBC oder die New York Times überwacht hatte. Solche offensichtlichen Fälle von Verstößen gegen die Pressefreiheit darf es mit dem Urteil nicht mehr geben dürfen.

Explizit nennt das Gericht aber eben auch die Möglichkeit, den Schutz von Journalist:innen proaktiv auszubauen und über diese Mindestgrenze hinaus zu flexibilisieren. Man könne schließlich den Umständen, unter denen die Presse in anderen Ländern zu arbeiten habe, Rechnung tragen. Außerdem sei das „deutsche Verständnis“ von Pressefreiheit aus dem Grundgesetz an die Menschenrechte gekoppelt. Dies sind Hinweise darauf, zum Beispiel auch Blogger:innen aus Ländern, in denen Bürgerkrieg herrscht, Schutz vor Überwachung gewähren zu müssen. Dort gibt es in aller Regel kein gefestigtes Mediensystem, sondern mutige Individuen, die mittels Social Media unabhängig und frei berichten.

Lässt sich dieses „weite“ Journalismus-Verständnis global standardisieren? Gibt es eine globale Journalismus-Definition mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit? Nein. Das weiß auch Karlsruhe, weshalb das Gericht am Ende explizit darauf hinweist, dass Unsicherheit auf der Grundlage „informierter Einschätzungen“ zu begegnen sei. Dies ist die eigentliche Botschaft der Passage: Der BND kann vielleicht nicht für jeden Fall im Vorhinein mit absoluter Sicherheit sagen, wer schutzwürdig ist. Aber es ist zu verlangen, dass er sich aktiv bemüht, sein eigenes Wissen zur Freiheit der Presse in Ländern, in denen er überwacht, kontinuierlich zu erweitern. An anderer Stelle führt das Gericht dazu aus:

„Angesichts der Spezifika nachrichtendienstlicher Aufklärungs- und Übermittlungstätigkeit, die unter Umständen auch Kontakte mit rechtsstaatlich nicht gefestigten Staaten einschließen kann, ist insbesondere sicherzustellen, dass Informationen nicht dazu genutzt werden, um bestimmte Bevölkerungsgruppen zu verfolgen, Oppositionelle zu unterdrücken, Menschen menschenrechtswidrig oder unter Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht zu töten, zu foltern oder sie ohne rechtsstaatliche Verfahren in Haft zu nehmen. Über die Frage, was insoweit die zu beachtenden Völkerrechtsregeln sind, hat sich der Dienst selbst ein Bild zu machen und zu entscheiden.“ (Rn. 237)

Im Hinblick auf den Schutz von Journalist:innen könnte man auch sagen, der BND trägt eine Sorgfaltspflicht dafür, zum Stand der Pressefreiheit up to date zu sein. Er muss offen sein, in Zukunft dazuzulernen, statt an starren Regeln festzuhalten. Zu einer solchen Sorgfaltspflicht muss er im neuen BND-Gesetz verpflichtet werden.

Damit würde die Bundesregierung an Entwicklungen anknüpfen, die auch in anderen Bereichen des internationalen Menschenrechtsschutzes Konjunktur haben. Auch beim Thema „Wirtschaft und Menschenrechte“ gelten seit einigen Jahren durch die UN Guiding Principles on Business and Human Rights „Sorgfaltspflichten“ für Unternehmen, Menschenrechte zu achten. Wenn beispielsweise eine Firma Überwachungstechnologie international vertreibt, müsste sie sich demnach aktiv nach Informationen zur Menschenrechtssituation im Empfängerland suchen. Findet es dabei heraus, dass die eigene Technologie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Repression der Bevölkerung verwendet wird, macht es sich mit einem Export selbst strafbar als Wegbereiter für Menschenrechtsverletzungen.

Eine solche Pflicht, sich zu informieren, sollte ins neue BND-Gesetz aufgenommen werden. Es mag abwegig klingen, aber BND und Journalismus-Organisationen könnten dafür in Zukunft sogar kooperieren. Was spricht dagegen, regelmäßig eine Fortbildung für Geheimdienst-Mitarbeitende durchzuführen zum Thema Pressefreiheit in Russland? Warum sollten Geheimdienst-Kontrolleur:innen sich nicht informieren können bei NGOs zur Gefährdung von Journalist:innen in Mexiko?

BND und Bundesregierung wiederholten während des dreijährigen Verfahrens ihr Mantra, dass es in ihrem Interesse sei, Grund- und Menschenrechte zu achten. Eine Öffnung zur Zivilgesellschaft, um von deren Expertise zu profitieren und dazuzulernen, könnte ein solches Vertrauen schaffen, welches sich bislang wegen einer langen Serie von Überwachungsskandalen gegenüber der Presse nie aufbauen konnte — und auch nicht wird, wenn der Dienst weiterhin Geheimhaltung als Selbstzweck übt und Skandale sprechen lässt.

2. Journalismus wird legitimer Informationsbeschaffer der Bundesregierung. Da hilft nur Verschlüsselung!

Meine größte Kritik am Karlsruher Urteil ist eine Passage in Randnummer 198. Nachdem das Gericht zunächst einfordert, dass der BND auch bei anlassloser Massenüberwachung künftig die Kommunikation von Journalist:innen schützen muss (eine Revolution in der deutschen Rechtsordnung!), scheint das Schutz-Gerüst dann wieder völlig in sich zusammenzufallen:

„Sofern Überwachungsmaßnahmen unabhängig von einem sie rechtfertigenden Zweck der Gefahrenfrüherkennung ausschließlich dazu bestimmt und darauf ausgerichtet sind, der politischen Information der Bundesregierung zu dienen und eine Übermittlung der Erkenntnisse an andere Stellen prinzipiell ausgeschlossen ist (oben Rn. 177), kann auf den Schutz von Vertraulichkeitsbeziehungen verzichtet werden, soweit dies erforderlich ist.“

Das ist ein echter Hammer! Die Logik der Verfassungshüter:innen: Journalist:innen genießen einen besonderen Schutz vor massenhafter Geheimdienst-Überwachung, wenn ihnen und ihren Quellen dadurch besondere Risiken entstehen, zum Beispiel weil gegen sie strafrechtlich ermittelt werden könnte. Und der Schutz greift auch dann, wenn die Daten ins Ausland übermittelt werden sollen, weil der BND dann den rechtsstaatlichen Gebrauch nicht mehr garantieren kann. Aber er greift nicht, wenn es „nur“ darum geht, die Bundesregierung zu informieren. Das Argument dahinter:

„Vor allem hat der Grundrechtseingriff gegenüber den überwachten Personen bei der bloßen politischen Information der Bundesregierung in der Regel ein deutlich geringeres Gewicht. Soweit nicht Informationen zu Personen in unmittelbar staatspolitischen Funktionen des Auslands in Frage stehen (…), wird es im Rahmen solcher Berichte auf personenbezogene Daten oft schon nicht ankommen, so dass diese ausgesondert werden können und gegebenenfalls müssen.“ (Rn. 225)

Dieses Argument wäre gewiss eine kritische Würdigung wert, denn das kann man anders sehen. Der internationale Journalismus als legitimer Informationsbeschaffer der deutschen Regierung? Ernsthaft? Aber darum soll es hier nicht gehen. Ich will nur fragen: Was bedeutet diese Entscheidung für den digitalen Journalismus der Kontrollgesellschaft?

Erstens dürfte diese Neujustierung im Verhältnis Staat/Medien einen Wandel des journalistischen Selbstverständnisses auslösen. Der Journalismus als gleichberechtigte „vierte Gewalt“ im demokratischen Gefüge? Das war einmal! Das Spiegel-Urteil aus 1966 postulierte noch einen absoluten Schutz der Identität von Quellen vor staatlicher Verfolgung. Mit der Einführung digitaler Ermittlungsmethoden wurde dieser Schutz relativiert und stattdessen eine Einzelfallprüfung gefordert zwischen Sicherheitsinteressen und Pressefreiheit (ausführlich dazu hier).

Diese Erosion des Quellenschutzes treibt Karlsruhe nun auf die Spitze, indem es überhaupt keinen Schutz mehr für den Journalismus vorsieht, wenn es um die Information der Bundesregierung geht. Medienschaffende sollten ihre Lehren daraus ziehen: Demokratische Staaten können sie technisch massenhaft überwachen, sie dürfen es rechtlich in den genannten Szenarien ohne jegliche Schranken; da wäre es naiv zu glauben, Sicherheitsbehörden würden diese Chance nicht nutzen. Dies bedeutet für Journalist:innen, dass sie das Mantra vom Quellenschutz auch öffentlich differenzierter postulieren müssen, und ihre Informant:innen offen über diese Gefahren aufzuklären.

Damit rückt, zweitens, die eigene Verantwortung des Journalismus für den Schutz ihrer Quellen in den Fokus. Das Urteil stellt Journalist:innen schließlich dann schutzlos, wenn der deutsche Staat „nur“ mitlesen und Informationen zur eigenen Lagebeurteilung sammeln will. Genau dagegen hilft Verschlüsselung: Sie hilft nicht, die Metadaten — wer mit wem wann und wo kommuniziert — zu verwischen, aber darum soll es laut dem Richter:innenspruch ja nicht gehen. Verschlüsselung aber macht Inhalte unlesbar. Gerade gegen eine Massenüberwachung ist sie effektiv. Edward Snowden, der es wissen muss, formuliert es in seinem Buch „Permanent Record“ so:

„Deletion is a dream for the surveillant and a nightmare for the surveilled, but encryption is, or should be, a reality for all. It is the only true protection against surveillance.“ (S. 270)

In journalistischen Kodizes sollte neben Forderungen nach Unabhängigkeit, Wahrhaftigkeit oder Aktualität künftig auch stehen: Encrypt everything!

3. „Lieber Geheimdienst, dies ist meine Handynummer. Bitte nicht überwachen.“ Whitelisting als technische Lösung?

Was soll nun aber mit Handynummern, Email-Adressen oder Facebook-Accounts geschehen, von denen der BND (woher auch immer) weiß, dass Journalistinnen und Journalisten sie redaktionell nutzen, und sie nicht nur zur politischen Information der Bundesregierung überwacht werden sollen? Hier verlangt Karlsruhe nun eine Prüfung im Einzelfall.

Bei der Verhandlung im Januar bestätigte der BND, sogenannte „G10-Positivlisten“ zu führen. Diese ständig gepflegten Listen enthalten Angaben zu Personen, Telefonanschlüssen oder Gerätekennungen, die erwiesenermaßen von Deutschen genutzt werden. Der Grund: Deutsche darf der BND nur unter hohen Hürden gezielt überwachen, aber nicht massenhaft und anlasslos.

Nun also wird der BND auch Journalistinnen und Journalisten nur unter hohen Hürden überwachen dürfen, weshalb der Schluss nahe liegt: Dann sollte es auch eine „Journalismus-Positivliste“ geben. Die Karlsruher Richter:innen fordern genau das:

„Dem Bundesnachrichtendienst ist gesetzlich aufzugeben, unter Nutzung der Ergebnisse und Erfahrungen seiner Arbeit etwaige Hinweise auf eine besondere Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit bestimmter Personen zu sammeln und auf sie bezogene Telekommunikationskennungen in einer Weise zusammenzuführen, die die Filterung der Suchbegriffe und der für die Übermittlung vorgesehenen Daten ermöglicht. Entsprechendes gilt für die Kennungen von Journalisten, Rechtsanwälten oder ähnlichen Personen, Gruppen oder Einrichtungen, deren Kommunikation besondere Vertraulichkeit zukommt. Die diesbezüglichen Datenbanken und Filterverfahren sind kontinuierlich zu aktualisieren und fortzuentwickeln.“ (Rn. 258)

Für einige Rechercheure dürfte dies eine schaurige Vorstellung sein, und in der Tat scheint das Missbrauchspotential dieses Whitelistings enorm zu sein. Kann es klug sein, wenn Geheimdienste Listen von Journalist:innen führen? Ich habe enorme Zweifel, ob eine solche Liste wünschenswert wäre, gerade in einem aktuell mangelhaft kontrollierten BND, aber: Einerseits werden sie nach dem Urteil ohnehin kommen, andererseits scheinen mir drei Anwendungsfälle zumindest diskussionsfähig zu sein.

Erstens könnte eine „Journalismus-Positivliste“ für nicht-deutsche Medien Vorteile haben, wenn der BND sie nämlich im Rahmen von Geheimdienst-Kooperationen mit anderen Diensten als „rote Linie“ nutzt. Ein möglicher Fall: Der BND kooperiert bei der Massenüberwachung mit dem brasilianischen Geheimdienst. Wir wissen, dass der BND Zugriff auf das DE-CIX in Frankfurt hat, wo er derzeit bis zu 1,2 Billionen Internetverbindungen täglich abgreifen kann. Derzeit wertet er 154.000 Kommunikationsinhalte pro Tag aus. Erhielte er von den Brasilianern nun automatisiert tausende Email-Adressen, die er im Rohdatenstrom des DE-CIX aussiebt, würde er Treffer wiederum automatisch an den brasilianischen Dienst weiterleiten. Gäbe es aber eine „Journalismus-Positivliste“, die der BND pflegt, könnte er diese als „Qualitätsfilter“ einsetzen und automatisiert all‘ diejenigen Email-Adressen der Brasilianer nicht als Selektor steuern, die der BND selbst auch nicht überwachen dürfte. Damit stellt der BND automatisch sicher, dass der Grundrechtsschutz, dem er selbst unterstellt ist, nicht durch andere Dienste unterwandert wird. Stünde auf seiner „Whitelist“ zum Beispiel „xy@washintonpost.com“, könnten die Brasilianer diese Email-Adresse ebenfalls nicht als Selektor steuern – ohne, dass ein Mensch im BND dies prüfen müsste. Der BND könnte damit die Pressefreiheit weit über die Grenzen Deutschland hinaus aktiv verteidigen. Genau das verlangt das neue Urteil.

Zweitens mag es Journalist:innen geben, die sich nicht so sehr vor einer Überwachung durch den BND sorgen, sondern vor einer Bespitzelung durch ausländische Nachrichtendienste. Ich denke hier vor allem an Exiljournalist:innen in demokratischen Ländern oder deutsche Journalist:innen, die mit Quellen in autokratischen Regimen zu tun haben. Ein weiteres Beispiel: Angenommen, Saudi-Arabische Dissidenten betreiben von Köln aus ein Blog, welches sich kritisch mit der Politik des Königs befasst. Gleichzeitig kooperiert der BND mit saudi-arabischen Sicherheitsbehörden im Rahmen der Terrorismus-Bekämpfung. Aus Sicht des saudischen Monarchen betreibt das Blog aus Köln Terrorismus und pflegt entsprechend deren Email-Adressen als Selektoren in die BND-Massenüberwachung ein – in der Hoffnung, dadurch Hinweise auf Quellen der Blogger:innen zu erhalten, die noch in Saudi-Arabien leben. In einer Gefahrenabwägung könnten die Blogger:innen daher lieber den BND bitten, die eigene Kommunikation zu schützen, sofern rechtsstaatlich sichergestellt wäre, dass die „Journalismus-Positivliste“ eben nicht bei den Saudis landet, sondern beim BND verbleibt. Diese Liste wäre damit ein Element für ein zentrales Anliegen der Richter:innen aus dem Urteil:

„Der Staat darf seine Hand nicht zu Verletzungen der Menschenwürde reichen (…). Für die Nutzung im Empfängerstaat muss insbesondere gewährleistet erscheinen, dass die Informationen dort weder zu politischer Verfolgung noch zu unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung oder Behandlung (vgl. Art. 16a Abs. 3 GG) eingesetzt werden.“ (Rn. 237)

Will man ein solch freiwilliges Whitelisting für Journalist:innen, bräuchte es im neuen BND-Gesetz einen Rechtsanspruch dafür. Die Frage, ob den Antragssteller:innen ein Platz auf der Liste zusteht, könnte von den “gerichtsähnlichen Kontrollinstanzen” BND-extern geprüft werden (siehe unten, Punkt 4).

Drittens könnte eine solche Whitelist die Geheimdienstkontrolle stärken. Es wird zukünftig die Aufgabe der verschiedenen Kontrollgremien sein, strukturelle Eingriffe in die Pressefreiheit durch den BND zu identifizieren und abzustellen. Aus dem Urteil:

„Soweit erforderlich, sind die automatisierten Verfahren auf der Grundlage von hinreichend umfangreichen Stichproben durch eine manuelle Kontrolle zu ergänzen. Jedenfalls nach der gegenwärtigen Leistungsfähigkeit der automatisierten Verfahren dürfte dies – ausgehend von den Erkenntnissen der mündlichen Verhandlung – zur Zeit unverzichtbar sein.“ (Rn. 258)

Auch die Kontrolleur:innen werden wie der BND vor der Aufgabe stehen, erkennen zu müssen, dass es sich bei Selektoren – meist sind es abstrakte, technische Nummern – um die Kommunikationsanschlüsse von Medien handelt. Eine „Journalismus-Positivliste“ könnte für die Kontrolleur:innen eine Referenz sein, den BND auf die Achtung der Pressefreiheit hin zu prüfen. Erinnert sei daran, dass Karlsruhe die Überwachung von Journalist:innen eben nicht prinzipiell verboten hat, sondern eine Abwägung im Einzelfall gefordert hat. Bei einer Prüfung, wie sorgfältig der BND Whitelisting betreibt und wie häufig er darauf befindliche Anschlüsse doch anzapft, könnte sichtbar werden, wie ernst der Geheimdienst den Schutz journalistischer Kommunikation in der Praxis nimmt und gegebenenfalls Missstände abstellen.

Das sind keine Plädoyers für solche Whitelistings, sondern mögliche Argumente für eine Diskussion, der sich der Journalismus im Ringen um einen digitalen Quellenschutz in der Kontrollgesellschaft stellen muss. Die kritische Frage dürfte am Ende weniger die theoretische Sinnhaftigkeit eines Whitelistings sein (es wird kommen), sondern die praktische Einbettung in die Arbeit des BND und die prozessualen Schutzmechanismen gegen Missbrauch.

4. Ombudsleute der Presse müssen in die Kontrollgremien des Geheimdienstes!

Den wohl größten Spielraum wird die Bundesregierung bei der Neugestaltung der Geheimdienst-Kontrolle haben – und hier gibt es auch den größten Reformbedarf. Der BND mag auf Geheimhaltung pochen, aber nicht als Selbstzweck.

“Aus der Geheimhaltungsbedürftigkeit der Auslandsaufklärung lässt sich jedoch nicht ableiten, dass über den Bundesnachrichtendienst überhaupt möglichst wenig bekannt werden dürfte und auch seine Rechtsgrundlagen möglichst weitgehend im Dunkeln bleiben müssten. Für die Handlungsgrundlagen und Grenzen der nachrichtendienstlichen Befugnisse kann es im demokratischen Rechtsstaat eine prinzipielle Geheimhaltung nicht geben.” (Rn. 139)

Grundsätzlich sind drei Arten der Kontrolle möglich: Entweder Menschen erfahren von Überwachung und klagen vor Gericht, oder geheimdienstexterne Kontrollgremien kontrollieren den BND, oder die Regierung kontrolliert den Dienst exekutivintern selbst.

Die schlechte Nachricht zuerst: Bei der Benachrichtigung von Menschen, die vom BND überwacht wurden, wird sich wohl nichts ändern. Schon heute hüllen sich die Dienste in Schweigen, wehren praktisch jede Anfrage mit Verweis auf Geheimhaltungsvorschriften ab und müssen im Ergebnis nichts über ihre Arbeit kommunizieren. Das Gericht hat dafür offensichtlich Verständnis:

„Zu den Anforderungen an die Gewährleistung von Transparenz der Datenverarbeitung gehören Auskunftsansprüche. Dies gilt grundsätzlich auch gegenüber Nachrichtendiensten (…). Allerdings können diese Ansprüche so weit beschränkt werden, wie das für eine wirksame Aufgabenwahrnehmung unverzichtbar ist. (…) Demgegenüber darf der Gesetzgeber in Bezug auf Personen im Ausland für Maßnahmen der strategischen Überwachung grundsätzlich von Benachrichtigungspflichten absehen (…).“ (Rn. 266, 269)

Die Kontrolle wird sich damit weiter verlagern von einem subjektiven Anspruch der Betroffenen, hin zu Geheimgremien, die Geheimdienste stellvertretend für die Gesellschaft überprüfen.

„Wenn Auskunftsansprüche damit nur in geringem Umfang Transparenz ermöglichen und eine Grundlage für individuellen Rechtsschutz bieten können, ist dem kompensierend aber durch eine ausgebaute unabhängige objektivrechtliche Kontrolle Rechnung zu tragen.“ (Rn. 266)

Das prägende Wort im Urteil lautet: „gerichtsähnlich“. Viel deutet darauf hin, dass die bestehenden Kontrollgremien zu Geheimgerichten ausgebaut werden, die innerhalb der Exekutive eine Judikativ-Funktion übernehmen sollen. Diese werden auch die Aufgabe haben, den BND daraufhin zu kontrollieren, ob er Journalist:innen von nun an rechtskonform vor Massenüberwachung schützt:

„Für die gerichtsähnliche Kontrolle bedarf es einer genügenden Anzahl von Stellen und Spruchkörpern, die es ermöglicht, den ihnen zu übertragenden Kontrollaufgaben mit Sorgfalt nachzukommen (…). Die Sachmittel müssen einen Umfang haben, der es etwa auch erlaubt, die Filterprozesse zur Aussonderung der Kommunikation von Deutschen und Inländern sowie zum Schutz von Vertraulichkeitsbeziehungen wirksam zu kontrollieren und dafür gegebenenfalls auch eigene Dateien und Kontrollprogramme zu entwickeln.“ (Rn. 288)

Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die Kontrollgremien Listen von bekannten Journalist:innen führen werden, die vor Überwachung durch den BND geschützt werden sollen. Um Vertrauen in solche Gremien haben zu können, scheint es aus journalistischer Perspektive zwingend zu sein, eigene Interessenvertreter:innen in diesen „Quasi-Gerichten“ zu haben. Geheimgerichte, die der Öffentlichkeit gegenüber keine Rechenschaft ablegen müssen, müssen dennoch Wege finden, Vertrauen in ihre Arbeit zu ermöglichen. Auch dies ist eine Anforderung des Gerichts:

„Geboten sind insoweit Regelungen, die eine Bestellung von Personen verlangen, die fachlich besonders ausgewiesen und geeignet sind, die Vorgänge in der Behörde zu durchdringen und im gegenseitigen Zusammenwirken eine unabhängige wie professionell fachkundige Kontrolle sicherzustellen. (…) Personell wie strukturell ist zur Sicherstellung der gebotenen Unabhängigkeit auf die Wahrung einer hinreichenden Distanz zum Bundesnachrichtendienst Bedacht zu nehmen.“ (Rn. 285, 287)

Es muss in die neuen Gremien daher spezielle Beauftragte für den Schutz der Presse geben, so wie es verantwortliche Personen für den Schutz von Anwält:innen und ihrer Mandschaft, dem Kernbereichsschutz, inländischen Personen usw. geben sollte. Dies ergibt sich auf die Presse bezogen daraus, dass Karlsruhe explizit festgestellt hat, dass Artikel 5 des Grundgesetzes als besonders eingeschränkt von der Massenüberwachung ist.

Diese Personen würden Ombudsleute ihrer Interessengruppen sein und damit eine Funktion erfüllen, wie es in der ordentlichen Gerichtsbarkeit zum Beispiel Spezial-Staatsanwaltschaften tun: Sie haben den Auftrag, Rechtsverstöße zu verfolgen und dabei Expertise in einem besonderen Feld. Um das Vertrauen in diese Personen zu stärken, könnten sie vom Bundestag mit Zweidrittelmehrheit für eine zeitlich beschränkte Amtszeit gewählt werden müssen. Qualifiziert dafür sind Personen, die im Journalismus – nicht im BND! — als besonders integer gelten, zum Beispiel weil sie lange als Journalist:in gearbeitet haben und sich für die Freiheit der Medien engagiert haben.

5. Kontrolle von Algorithmen: Die Verhinderung der Verhinderung journalistischer Arbeit in der gegenwärtigen Zukunft

In einer Randbemerkung des Karlsruher Urteils liegt Potential, Quellenschutz in eine gänzlich neue Dimension proaktiv auszubauen. Die Passage lautet schlicht:

„Zu regeln ist gegebenenfalls auch der Einsatz von Algorithmen, insbesondere die Sicherstellung ihrer grundsätzlichen Nachvollziehbarkeit in Blick auf eine unabhängige Kontrolle.“ (Rn. 192)

Gerade ein Geheimdienst, der bei einer Massenüberwachung menschlich nicht mehr fassbare Datenmengen möglichst in Echtzeit auswerten können muss, um für Sicherheit zu sorgen, wird in Zukunft immer stärker auf eine automatische, algorithmenbasierte Auswertung dieser Daten angewiesen sein. Dieser Datenberg bedeutet für einen Geheimdienst hohe Unsicherheit, denn er weiß: Darin steckt möglicherweise etwas, das er wissen muss, um seine Aufgabe zu erfüllen. Es ist schließlich der Auftrag des BND, „Gefahren frühzeitig zu erkennen“. Die Bedeutung dieser algorithmischen Systeme steigt kontinuierlich – und mit ihr die Abhängigkeit von ihren Prognosen und Aussagen über die Zukunft. Gleichzeitig eröffnet sich damit ein neues Feld, auf dem journalistischer Quellenschutz ausgehöhlt werden kann. Wie genau?

Die Soziologin Elena Esposito forscht zur Unsicherheitsabsorption durch Algorithmen und spricht in ihrem Buch „Die Fiktion der wahrscheinlichen Realität“ von der Differenz aus „Gegenwärtiger Zukunft und zukünftigen Gegenwarten“. Was sperrig klingt, birgt hohe Erklärungskraft für den Quellenschutz 2.0.

Man müsse „zwischen den zukünftigen Gegenwarten, die Wirklichkeit geworden sein werden, und der gegenwärtigen Zukunft, d.h. der Zukunft, wie sie sich in der Gegenwart darstellt, unterscheiden. Doch genau auf dieser Ebene offenbart die Wahrscheinlichkeitstheorie ihre Nützlichkeit. Wenn man sich unter den Bedingungen einer grundsätzlich unbekannten Zukunft in der Gegenwart auf diese beziehen muß, dann ist der einzige Ausweg eine Fiktion, die an ihre Stelle tritt; keine willkürliche Fiktion allerdings, sondern eine, die anhand nachvollziehbarer Regeln entwickelt wird, über die unter den Beteiligten Einigkeit besteht. (…) Berechnungen und Statistiken, Mathematik und stochastische Methoden erlauben die Erstellung von Prognosen, die in der unbestimmten Zukunft als Wegweiser dienen; sie sind nicht deshalb wertvoll, weil sie mit der zukünftigen Realität übereinstimmen, (…) sondern wegen ihres Realismus. Damit meine ich ihre Fähigkeit, eine transparente Perspektive anzubieten, die man mit anderen teilen kann, auf deren Basis man planen, diskutieren und zumindest im Prinzip Konsens mit anderen herstellen kann.“ (S. 56–57; 60–61)

Auf unser Thema übertragen heißt dies: Der BND muss Gefahren der Zukunft prognostizieren, und genau das ist und bleibt unmöglich, egal wie viele Daten er sammelt. Die Zukunft ist offen. Er kann nur Annahmen treffen, wie wahrscheinlich eine Gefahr ist. Steigt die Bedeutung dieser Annahmen, determiniert die Prognose die Gegenwart, weil sie handlungsleitend wird.

Wir sehen die Folgen bereits in anderen Bereichen der Sicherheitspolitik: Die Polizei zeigt Präsenz an Orten, für die Algorithmen eine erhöhte Einbruchswahrscheinlichkeit prognostizieren. Man nennt es „Predictive Policing“. Oder: Menschen werden verhaftet, nicht weil sie etwas Illegales getan haben, sondern weil sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit etwas Illegales tun werden. Man nennt sie „Gefährder“. In beiden Fällen determiniert eine Prognose die Gegenwart, einmal für die Arbeit der Polizist:innen, einmal für einen rechtsstaatlich unschuldigen Menschen.

Was hat das mit Journalismus zu tun? Bleiben wir beim Thema Geheimdienste und ihrer Kontrolle. Es wäre prinzipiell nichts anderes, wenn Sicherheitsbehörden algorithmische Systeme entwickeln, die aufgrund ihres mächtigen Datenschatzes Prognosen erstellen, um die „Leak-Wahrscheinlichkeit“ ihrer Mitarbeiter:innen zu berechnen. Was beispielsweise Edward Snowden getan hat, ist aus rechtlicher Perspektive immer noch Geheimnisverrat. Zwar bedeutet das Karlsruher Urteil, dass die von ihm aufgedeckten Praktiken von NSA und BND verfassungswidrig waren und sein Handeln damit für Deutschland gesellschaftlich wünschenswert war. Aber das wissen wir eben erst im Nachhinein, weil er so handeln konnte.

Kontrolle von Algorithmen des BND heißt mit Blick auf den Schutz der Pressefreiheit daher, dass die Prognose-Systeme so konzipiert werden müssen, dass sie Vertraulichkeitsbeziehungen zwischen Journalist:innen und ihren Quellen gerade nicht aufspüren und verhindern können, bevor sie stattfinden. Auch hierfür könnte eine „Journalismus-Positivliste“ helfen. Sie könnte den Systemen eine Referenz geben, zu welchen Personen-Netzwerken keine Verhaltensprognosen errechnet werden sollen.

Diese Forderung ist eine Zumutung für den Rechtsstaat, denn Geheimnisverrat bleibt eine Straftat und es gibt ein legitimes Interesse an ihrer Verfolgung. Aber gänzlich neu ist es wiederum auch nicht: Schon bisher heißt Informant:innenschutz, dass Menschen illegal handeln dürfen, indem sie sich der Presse anvertrauen – und der Staat drückt beide Augen zu, indem er auf Strafverfolgung verzichtet. Quellenschutz 2.0 heißt, die Analyse der „gegenwärtigen Zukunft“ ebenfalls künstlich zu verkleinern, um journalistische Arbeit nicht zu verhindern, bevor sie stattfindet. Es ist die Verhinderung der Verhinderung journalistischer Arbeit in der gegenwärtigen Zukunft, um in der zukünftigen Gegenwart weiterhin Quellen zu haben.

Fazit: Quellenschutz in die Zukunft verlagern

Die Analyse des Urteils im Hinblick auf den publizistischen Quellenschutz der Zukunft zeigt: In einer Kontrollgesellschaft geht es nicht mehr allein darum, journalistische Arbeit nach einer Berichterstattung gegen Eingriffe des Staates abzusichern. Es bleibt natürlich wichtig, dass Journalist:innen vor Gericht schweigen dürfen, Redaktionen nicht durchsucht werden oder ihre Kommuninkationsdaten nicht ausgewertet werden, um damit Quellen der Vergangenheit aufzuspüren. Aber es genügt nicht mehr. In der Kontrollgesellschaft wird faktische Kontrolle und damit Verhaltensprognose ubiquitär, weshalb gerade ein digitaler Quellenschutz des Staates in die Zukunft gerichtet sein muss. Das fängt bei einem weiten Journalismus-Begriff an, um der Internationalisierung der Recherche Rechnung zu tragen, und geht bis zu einer Kontrolle von Prognose-Software, um “Leaks” nicht zu verhindern, ehe sie stattfinden. Dann, und nur dann, könnte das BND-Gesetz der Anstoß dafür sein, ein zentrales Anliegen aus dem Spiegel-Urteil in die digitalisierte Gesellschaft zu überführen:

“Deshalb gehört zur Pressefreiheit auch ein gewisser Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und privaten Informanten. Er ist unentbehrlich, da die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann ergiebig fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich darauf verlassen kann, daß das “Redaktionsgeheimnis” gewahrt bleibt.”

Dies sollte für vergangenheitsbezogene genauso wie für zukunftsgerichtete Maßnahmen des Staates gelten, egal ob analog oder digital.

Transparenz-Hinweis: Ich habe bis Sommer 2019 für Reporter ohne Grenzen gearbeitet und an der Verfassungsbeschwerde mitgewirkt. Auch nach meinem Ausscheiden habe ich die Organisation ehrenamtlich im Verfahren unterstützt. Derzeit arbeite ich an der Universität Hamburg an einer Dissertation zum Thema „Journalismus und Überwachung“.

--

--

Daniel Moßbrucker

journalist covering surveillance, privacy, internet regulation I trainer for digital security and darknet research I PhD candidate at University of Hamburg