Wie weiter, ScientistsForFuture?
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Wie weiter, S4F?
David Fopp, 25. November 2019
Ich möchte hier einen möglichen Plan für S4F formulieren, der über die Ziele und Projekte hinausgeht, die bereits skizziert wurden oder umgesetzt werden. Er besteht aus einem ersten Projekt, einem Pilotprojekt, das bis im nächsten März läuft, und die Grundlage bildet für die Arbeit der nächsten Jahre. (Dieser Text ist eine „Rohfassung“, die fachterminologisch und an Komplexität ausgebaut werden kann.)
Kurzfristig
Die Grundidee ist die, dass das, was bei der Pressekonferenz vom letzten März angedeutet wurde, in einem gemeinsamen Papier ausformuliert wird (1); als Inspiration und Vision, aber auch als konkretes Arbeitspapier. Dieses kann dann in einem nächsten Schritt die Grundlage für ein umfangreiches und selbst transformatorisches Projekt bilden, für die Gesellschaft als ganzes (2.1), und für die Wissenschaftscommunity selbst (2.2) (sehr bescheiden formuliert…; think big).
Der Kern der Pressekonferenz besagte (in meiner Wahrnehmung) folgendes: wir als Wissenschaftsgesellschaft und -community stellen uns hinter das Aufbäumen von FFF gegen die ökologische und Klimakrise nicht nur, indem wir die wissenschaftliche Grundlage (IPCC; Analyse der Earth science) hervorheben und betonen, wie Ernst die Lage ist; sondern indem wir hervorheben, dass diese Einsicht einhergeht mit einer wissenschaftlich fundierten Analyse der Notwendigkeit und möglichen Ausformung der Transformation der ganzen Gesellschaft, die die Konsequenzen aus dieser Forschung zieht. Also: wir sind diejenigen, die, wenn wir zusammenarbeiten, eine Analyse der gegenwärtigen Situation und mögliche Auswege darstellen und erforschen können.
Dabei spielen drei (oder vier) Grundprinzipien die zentrale Rolle, und es geht nun zuerst skizzenhaft bis März und dann in den folgenden Jahren darum, deren Zusammenspiel zu analysieren und die Sicht(en) auf die notwendige Transformation zu präsentieren.
Diese drei (vier) sich gegenseitig durchdringende Einsichten, die das Ganze der Gesellschaft betreffen, sind folgende. Ich möchte hervorheben, dass ich hier das „Erbe“ und die Verantwortung gegenüber FFF deutlicher hervorhebe als dies manchmal innerhalb von S4F geschieht. Dies scheint mir unbedingt notwendig; es geht nicht darum, einfach uns als Wissenschafts-community zu definieren, die Nachhaltigkeit wichtig findet, sondern auf der Deutlichkeit aufzubauen, die wir seit dem letzten März etabliert haben als Stütze für FFF.
Eine Perspektive ist übergreifend und sollte von Anfang an alle Überlegungen prägen (Globale-Jugend-Perspektive). Als aus FFF hervorgegangen, schulden wir der jungen Generation als Wissenschaftsgesellschaft ein doppeltes: erstens, dass wir just die Perspektive der Jungen einbeziehen in alle Argumente; und zweitens, dass wir ihren globalen Ansatz Ernst nehmen. FFF ist von Anfang an ein globales Projekt, sieht die junge Generation just als eine gemeinsame Generation auf einem Planeten.
A Klima-/Ökologische Krise („planetäre Grenzen“; „great acceleration“): Hier geht es darum, die Einsicht in die kaum existierenden Emissions-Budgets ernst zu nehmen. Wir als S4F bauen nicht auf irgendwelchen Szenarien auf, sondern setzen auf ein Vorsichtigkeitsprinzip; wir spielen nicht mit dem Leben der Jugendlichen. Daraus ergibt sich die Ausrichtung an dem Szenario, das nicht auf nichtvorhandene Technik und unverantwortbaren künstlichen Negativ-Emissionen beruht; und auf die Gefahr von tipping points und feedback loops fokussiert. Dieser Rahmen legt eine „Fast“-Null-Emissionsgesellschaft zwischen 2030 und 2035 in westlichen Ländern und einige Jahre darauf weltweit nahe.
B Systemisches Denken, Ökonomie und gesellschaftlicher Wandel: Hier geht es darum zu verstehen, wie die Logik der Ökonomie und das, was Raworth und Göpel als Komponenten des notwendigen Mindshift skizzieren, die Möglichkeit prägt, aus der fossilen Gesellschaft auszubrechen und ein würdiges Leben für alle zu ermöglichen.
C Anti-Dominanz/Demokratie/Menschlichkeit (soziale Gerechtigkeit, equity, Intersektionalität, Gesundheit): FFF hat von Anfang an im Verweis auf das Pariser Abkommen den Aspekt von „equity“ und sozialer Gerechtigkeit betont. Das sollten wir uns zu eigen machen (und haben es ja schon teilweise getan). Ein grundsätzliches Anti-Dominanz, und Demokratisierungs-Prinzyip geht außerdem aus unseren Verfassungen und Aufträgen an die Universitäten hervor. Was genau Nicht-Dominanz heißt, haben die „Humanities“ in den letzten 40 Jahren erforscht und sollten noch genauer erforschen (von sozialen Räumen bis zu politischen Strukturen und Systemen).
Nimmt man diese drei Aspekte zusammen, ergibt sich ein deutliches und motivierendes Bild unseres Auftrages und einer wünschenswerten Zukunft (und Gegenwart): was haben wir als Wissenschaft zu sagen dazu, wie wir die Lage analysieren und ein (oder mehrere) Modell einer Gesellschaft auf wissenschaftlicher Basis formulieren, deren Aufbau sofort angegangen werden kann; und die also sich am 1.5-Grad-Ziel ausrichtet, bis 2030/5 umgesetzt werden kann und ein würdiges Leben innerhalb der planetären Grenzen für alle auf einem lebendigen Planeten ermöglicht, und dabei die Prinzipien der Nicht-Dominanz/Demokratisierung berücksichtigt.
(Aus dem gegenseitigen Zusammendenken der drei Perspektiven ergeben sich auch spezifische Sichtweisen auf die jeweiligen Aspekte. Nimmt man wirklich eine globale Demokratie-/Gerechtigkeits-/Menschlichkeitsperspektive ein, stellt sich bereits das alleinige Streben nach 1.5-Grad-Zielen als problematisch: was ist mit denjenigen, die bereits durch die jetzige ein-gradige Temperaturerhöhung leiden?)
Dieses Projekt bringt also sämtliche universitären Gebiete zusammen (und bricht endlich die selbst wissenschaftlich nicht verantwortbare Disziplinen-isolation auf): Es geht gerade darum auszunutzen, dass „humanities“ und Naturwissenschaften, Ökonomie und Bildungswissenschaften zusammenarbeiten und sich bereichern können und müssen.
Langfristig
Langfristig geht es um die Ausarbeitung dieses Ansatzes, darum (möglichst konkrete Bilder und Regeln aufzuzeigen), aber auch um dessen Durchsetzung; aus unserer Wissenschaftsperspektive. Wiederum sind wir FFF schuldig, finde ich, nicht nur für die wissenschaftlich fundierten Richtlinien einer Gesellschaft einzustehen, die nachhaltig und demokratisch ist, sondern auch immer in deren Ausarbeitung mitzudenken, was ihre Durchsetzung in der dafür noch übrigbleibenden Zeit bedeutet. Also müssen Strategie-Überlegungen immer eine Rolle spielen: wir können nicht so vorgehen, dass es nicht klar wird, wie diese Gesellschaftsskizze durchgesetzt werden kann. Das heißt: wir können diese Skizze nicht so präsentieren oder ausformulieren, dass sie einfach als eines neben hunderten Papieren daherkommt, die Regierungen einfach übergehen können. Wir sollten — hoch gesetzte Ziele — als Wissenschafts-community in dieser Arbeit die Instrumente mitausarbeiten, die uns ein Durchsetzen dieses Ansatzes ermöglicht (das geht von Überlegungen des zivilen Ungehorsams der Wissenschaftsgesellschaft selbst bis zu Überlegungen, wie wir die Papiere ausformulieren; siehe Punkt 2.)
1 Einstehen für S4F-Prinzipien
1.1 Gegen außen vertreten: Umbau der Gesellschaft
Das Ausarbeiten dieses universitären Zusammenspiels aller Disziplinen sollte einhergehen mit dem Dafür-Einstehen gegenüber dem Rest der Gesellschaft (das, was S4F so formidabel bereits praktiziert).
1.2 Gegen innen vertreten: Umbau der Universitäten
Aber genauso sehr ergibt sich eine deutliche Aufgabe für die Universitäten/Hochschulen selbst: wir können eine direkte Transformation unserer eigenen Institutionen vorantreiben. Dies gilt sowohl für den Inhalt der Studiengänge, die sich an den Einsichten der drei oben genannten Prinzipien ausrichten sollten (was bedeutet sozial gerechte, nicht-Dominanz-Null-Emissionsgesellschaft für alle Studiengänge; von Architektur, bis Pädagogik, von Ökonomie bis Psychologie), als auch für die Didaktik: die Prinzipien der Anti-Dominanz und des Demokratischen, des Verwobenseins mit der Umwelt und so weiter, müssen in die Art des Unterrichtens und Forschens einfließen. (Ich habe in den letzten Jahren einen neuen Studiengang an der Stockholmer Uni entwickelt, und dabei über 10 Kurse designt, zu Demokratie, Bildung, Nachhaltigkeit und so weiter, die dem versuchen, nachzukommen.) Dies müssen wir sofort angehen. Dieser Hebel ist gigantisch, weil er zu Reibungen führt und die (Wissenschafts-)Gesellschaft von innen heraus verändern kann.
2 Durchsetzung von Wissenschaft als wissenschaftliches Projekt (ziviler Ungehorsam und beyond)
2.1 Formen des „Durchsetzens“
Wie wenn dies alle nicht schon schwierig genug wäre, so kommt jetzt die eigentliche Aufgabe erst zum Vorschein: wir sollten ja all dies tun auf Weisen, die transformatorisch sind. Wir können nicht nur eine Transformation vorschlagen, Bilder aufmalen, und abwarten, dass jemand dies dann vielleicht auch umsetzt. Auch dies ist eine Verantwortung, die wir FFF gegenüber haben: wir sollten uns in diesem ganzen Prozess transformativ verhalten. Was dies bedeutet, können wir natürlich einerseits erforschen (und tun es ja schon); aber wir müssen auch von Anfang an damit experimentieren. Dazu gehören all die Aspekte, die S4F bereits praktiziert; von den Mittwochs-Streiks, den Freitags-Streiks bis zu den eher kreativen Ansätzen. Hier denke ich, dass wir wiederum an beiden Stellen einsetzen sollten: einerseits gegen innen; wir können das Weiter-so der Wissenschaftsgesellschaften stoppen. Und gegen aussen: durch Streiks und so weiter, also zivilen Ungehorsam. Dazu sollten wir sehr schnell spezialisierte Gruppen aufbauen. Auch nach einem Jahr habe ich noch kaum durchdachte Papiere dazu gelesen; und wir in Schweden wursteln uns durch das Streikthema hindurch. Was für mich ein Verfehlen unseres Auftrages wäre: wenn wir gigantische Forschungsprojekte initiieren, und dabei wunderbare Papiere schreiben, ohne dass in diesen Prozess die wirkliche (und nicht nur theoretische) Transformation der jetzigen Gesellschaft mitgedacht wäre.
2.2 Die Rolle der Akteure (NGOs, Rebellion, Wissenschaft, Green new deal etc) und zur Vision einer globalen Wissenschafts-community
Ich denke, dass man hier weiterkommt, wenn wir die etablierten Akteure und deren Rolle analysieren. Da gibt es die Jugendlichen und Erwachsenen, die rebellieren (FFF und XR); die NGOs, die sie unterstützen (und leider auch teilweise bremsen), und selbst Policy-Papiere verfassen; die Expert_innen mit ihrem Wissen; die Zivilgesellschaft, die eingebunden werden sollte; und die Politik, die bereits mit konkreten Regeländerungen auftritt. Und uns Wissenschaftler_innen. In diesem Zusammenspiel entstehen immer mehr Papiere zu globalen, nationalen und lokalen Green New Deals. Auch sogenannte „Climate Action plans“ entstehen (siehe das gigantische Schweizer Projekt von FFF/Klimastreik.) Wir können bei alledem mithelfen.
Aber meine Intuition ist folgende: es fehlt vielleicht die wichtigste „Ebene“. Einfach durch Veranstaltungen, die alle genannten Akteure zusammenbringt, schaffen wir keinen tiefgreifenden Wandel in kurzer Zeit, ist meine Befürchtung. Damit bin ich wieder beim Anfang dieses Papiers angelangt, bei der Pressekonferenz von vor einem Jahr und Grundsatzpapier. Zur Zeit kann sich die globale Gesellschaft nicht hinter eine politisch ausformulierbare Position stellen, die die drei oben genannten Grundprinzipien einfordert und dafür einsteht. Das ist ein gigantisches Demokratiedefizit. Welche Kräfte wir freisetzen könnten, wenn wir eine Position skizzieren, hinter das sich sämtliche Menschen stellen könnten, die das Einrichten einer nachhaltigen und würdigen Weltgemeinschaft als sinnvolll ansehen! Ich nenne dieses Projekt „one people on one planet“. Als globale Wissenschafts-community, die den global organisierten Jugendlichen hilft, sollten wir so ein Grundkonzept anpeilen. Ich denke, es könnte enorme politische Kräfte freisetzen: weil es sich nicht auf dem konkreten spezifischen Niveau von ausgefeilten Green New Deals policy-Vorschlägen befindet (oder analogen FFF-Forderungskatalogen); aber doch spezifischer ist als die (zu recht!) sehr allgemein gehaltenen Forderungen von FFF und XR. Wenn wir sehr viel mehr Menschen auf die Straßen bringen wollen, die einen grundlegenden Wandel des Politischen mit sich bringt, brauchen wir so ein Konzept, das den Rahmen ausformuliert, und als Grund von politischen Forderungen dienen kann.
Wir sollten also beide Ebenen immer als in sich wertvolle im Auge behalten: das Erforschen und Verfassen eines grundlegenden Papieres, das überhaupt das Modell der Transformation nach den drei Grundprinzipien festhält; als auch das langfristige Erforschen eines globalen, lokal heruntergebrochenen Climate Action Plans, von Bildern und Regeln des Wandels, den wir wollen und brauchen. Aber wir sollten diese erste Ebene nie aus den Augen verlieren. Ich sehe eine große Gefahr, dass wir uns zu sehr in hyperspezialisierten Forderungskatalogen oder GreenNewDeal-Entwürfen verlieren und die Grundaufgabe aus den Augen verlieren: die Leitplanken zu geben und für sie einzustehen, die einerseits das jetzige politische Modell als unvernünftig und für die FFF-Jugendlichen zerstörerisch herausstellt, und gleichzeitig den Rahmen für die Gesellschaft vorgibt, in der wir leben wollen (und können). Der Fokus auf diese mittlere Ebene einer neuen globalen politischen Bewegung entlastet FFF und S4F, weil es eine kontinuierliche Engagementsform vorgibt.
Hier habe ich diesen Gedanken weiter ausformuliert:
(Dieses Papier ist aus einem Jahr Beschäftigung mit FFF und S4F entstanden. Ich habe ja mit Greta 50 Wochen lang in Stockholm gestreikt; 7 Stunden lang am Tag, von Anfang an, und die ganze Geschichte von FFF von innen heraus in „teilnehmender Beobachtung“ verfolgen können. Gleichzeitig habe ich an der Stockholmer Universität einen neuen Studiengang aufgebaut, 24 Kurse, der versucht, das oben skizzierte auch umzusetzen; also Demokratie, Nachhaltigkeit etc auf eine nachhaltige Weise zu unterrichten. Selbst habe ich den Begriff des „ScientistForFuture“ seit letztem September benutzt. Bei uns sind alle …ForFuture-Gruppen ja sehr früh schon entstanden. Ich reagiere mit diesen Vorschlägen hier auch auf Probleme, die während des Jahre in FFF und S4F entstanden sind und die ich gerne auch einmal ausführlicher schildern kann; von strategischen Diskussionen bis zu wissenschaftstheoretischen, etwa während des Smile-Meeting in Lausanne.)
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