Keiner davon ist witzig / 2017–01
Der Witz erweist sich gerade als ein erstaunlich effektives Mittel der politischen Auseinandersetzung. Und dabei punktet vor allem die pure, entlarvende Heiterkeit, mehr noch als der intelligente Spott — vergleiche Saturday Night Live und The Daily Show. Das deckt sich mit dem, was ich früher in der Präambel zu dieser Serie geschrieben habe: Der Witz ist eine der stärksten Kommunikationsformen überhaupt. Tatsächlich bleibt mir inzwischen eher der Unwitz im Halse stecken. Wenn ich jetzt dennoch den dritten Jahrgang von Keiner davon ist witzig anfange, dann als eine Art trotzigen Luxus: Ich glaube noch nicht, dass der Witz schon überlebensnotwendig geworden ist, und dass ich es mir nach wie vor leisten kann, über Dinge so nachzudenken, wie ich es gerne tun möchte.
Dies ist die erste Ausgabe des dritten Jahrgangs von Keiner davon ist witzig, mit Tweets aus dem Januar 2017.
Den witzigen Nachsatz ignoriere ich geflissentlich, aber: Das ist der beste gute Vorsatz des Jahres, und ich schließe mich sofort an. Das Wort fundamental hat sich in meinen Texten beunruhigend gehäuft. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Entweder ist die Sache, um die es geht, wirklich fundamental, dann klingt ein einfacher Satz ohne das Wort fundamental wesentlich fundamentaler. Oder sie ist gar nicht fundamental, dann sollte das Wort nur dazu dienen, das Nachdenken an dieser Stelle abzubrechen. Aber das kann man auch tun, ohne es durch das Wort fundamental zu kaschieren.
Ich bin selten über so wenige Zeichen — noch nicht mal ein Satz! nicht mal ein Verb! — in so tiefes Nachdenken versunken.
Inzwischen kann man entspannt feststellen, dass die Unterscheidung in E wie Ernste Musik und U wie Unterhaltungsmusik ein rührender, aber verständnisloser Versuch war, mit den kulturellen Umwälzungen des zwanzigsten Jahrhunderts umzugehen. (Ein ausschließlich deutscher Versuch auch, der nur noch von der GEMA, und nur noch aus wirtschaftlichen Gründen, aufrechterhalten wird. In den USA stehen dafür die Namen von Millionären an jedem Konzertsaal.)
Man könnte hinzufügen, dass die E/U-Unterscheidung immer von denen des E-Lagers betrieben wird, während die U-Leute fröhlich dabei sind, die nächste Stufe der Kultur zu erfinden.
Hat Keiner davon ist witzig irgendwas mit E zu tun? Ich hoffe nicht.
Dazu müsste die Zahl der Künstler klein genug, und die der Kunstinteressierten groß genug sein, damit bei einem gesunden Preisniveau die Künstler von der Bezahlung der Kunst durch die Kunstinteressierten leben können. Das wird ökonomisch nicht funktionieren, denn die Zahl der Künstler steigt. Jeder, der halbwegs alle Tassen im Schrank hat, will Künstler werden, und das ist gut so. Es ist ein Maß für die allgemeine Weiterentwicklung der Menschheit. Dem Ansinnen, mit Kunst Geld zu verdienen, ist das nicht förderlich, aber ich finde, das geht in Ordnung.
Es ist für mich immer die Grundvoraussetzung des Schreibens gewesen, dass ich nichts, aber auch gar nichts zu sagen habe. Beim zweiten Teil des Tweets bin ich daher noch nicht angekommen.
Ich kenne keine Stadt, in der das nicht so ist. In meinem Fall sind es besonders die New Yorker Flughäfen, wo einem jedesmal, wenn man aus dem Terminal auf die Straße tritt, deutlich wird, dass vierhundert Menschen aus einer Blechröhre nur langsam auf vierhundert autonome Blechschachteln verteilt werden können. Ich denke bei diesem Tweet unwillkürlich an die Transportmodule, die Buckminster Fuller sich im frühen zwanzigsten Jahrhundert vorstellte — eine Art Kapsel, die entweder auf Rädern über die Straße fahren oder per Fließband auf ein Flugfeld verfrachtet und dort mit anderen Kapseln zum Rumpf eines Flugzeuges verbunden werden kann. Die Menschen würden in autonomen Einfamilien-Kuppeln leben, die per Helikopter jeweils dorthin gebracht werden können, wo es gerade am besten ist.
Allein daraus, dass Staaten pluralistische Gebilde sind, könnte man ableiten, dass sie niemals altruistisch, und schon gar nicht gegen ihre eigenen Interessen handeln. Der Vorwurf, dass beide Anwärter auf des Präsidentenamt gleich schlimm gewesen wären, dürfte den meisten inzwischen abhanden gekommen sein, aber selbst wenn nicht — der Vorwurf müsste jedem anderen Staat genauso gelten, abgesehen von der Tatsache, dass Amerika zufällig das mächtigste Land der Welt ist. Es gibt da nichts, worauf man sich ausruhen kann.
Wieder ein schönes Beispiel dafür, wie ein eigentlich kluger Mensch durch schlechte Laune von einem tieferen Verständnis der Welt abgehalten wird. Dabei verrät das Wort Psychopath eigentlich schon alles: eine undifferenzierte Abstoßungsreaktion, deren Heftigkeit erklärungsbedürftiger ist als das, wogegen sie sich richtet.
Ich habe an anderer Stelle zu beschreiben versucht, warum Ortsangaben für niemand Bestimmten eine Erweiterung der Wirklichkeit sind. Mein Aufenthaltsort ist inzwischen die wohl intimste Verbindung zwischen mir und meiner Familie. Es wäre schön, wenn dieser Aufenthaltsort irgendwo an prominenterer Stelle stünde, zum Beispiel gut sichtbar in meinem Facebook-Profil, denn darauf, dass er versteckt irgendwo auf meiner privaten Webseite zu finden ist, kommt niemand von allein.
Ich benutze nicht mehr Twitter, um diese Dinge mitzuteilen. Das war nur im allerersten Moment so, als Twitter die Möglichkeit, dass jeder alles, und zwar zur ganzen Welt sagen konnte, zum ersten Mal eröffnete, und wir uns neugierig überlegten, was man damit wohl machen könnte.
Es wäre gut, wenn wir dazu ein bisschen mehr darüber wüssten, was unsere Großeltern wirklich gedacht und getan haben. In dem Buch von Eva Sternheim-Peters, Habe ich denn allein gejubelt? stehen dazu lauter Dinge, die man in den sechzig Jahren vorher noch nirgendwo lesen konnte.