Content und Design — Thelma and Louise! Susi und Strolchi! Max und Moritz!

Emanuel Mauthe
6 min readAug 3, 2020

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Immer wieder gibt es einen Streit darüber, was denn eigentlich bitteschön zuerst kommen soll: Content oder Design. Dabei sind sich beide Professionen gleicher als sie vielleicht denken. Aber auch: gleich frustriert, weil man sich oft vom anderen übervorteilt fühlt und gleich gelangweilt von den engen Grenzen, die einem dabei gesetzt werden. Dabei hilft nur eins: Zu einem Team werden, das sich so vertraut ist, dass man lieber gemeinsam über eine Klippe springen würde als sich der Konformitätspolizei zu stellen.

Ich habe als Grafikdesigner Content Strategie an der FH Joanneum studiert, um endlich früher dran zu sein. Als grafischer Gestalter ist man nämlich meistens zu spät. Sitemaps wurden bereits erfunden, Seitenaufrisse zementiert und Medien ausgewählt. Dann ist der Spielraum des Gestalters schnell eingeschränkt. Man hat noch ein bisschen Freiheit in der typografischen und vielleicht farblichen Gestaltung — und das wars dann. Dabei merkt der Gestalter als Erster, was funktioniert und was nicht. Und sieht in der Umsetzung auch schnell, wenn die Struktur so eigentlich gar nicht passt. Er weiß, was für den User dann schlecht übersetzbar sein wird. Kommt man aber als Stratege früher ins Spiel, kann mitgestalten bei Texten und sonstigen Inhalten, und das von Anfang an mit einem gestalterischen Mindset, dann — so mein Gedanke—können die Ergebnisse flüssiger, logischer und auch innovativer sein. Vielleicht ist man dann sogar schneller, war meine Hoffnung.

Was ich zunächst nicht wusste: Als Contenterzeuger kommt man ebenfalls immer zu spät. Irgendwer hat schon eine Farbe bestimmt, Inhaltskästchen gestaltet, Satzstrukturen entwickelt ohne auf Inhalt und Sinnvermittlung Rücksicht zu nehmen. »Content muss vor dem Design kommen!« habe ich die meisten meiner Vortragenden rufen hören in den letzten zwei Jahren. Stimmt ja auch, irgendwie. Der Botschaftskern muss natürlich im Mittelpunkt stehen. Und gerade bei crossmedialen Strategien steht der medienunabhängige Content am Anfang. Völlig verständlich. Die Crux dabei aber ist, dass bereits bei der Erstellung dieses Nukleus’ Design mitgedacht werden muss. Die Kanallogik muss in der Contenterstellung bereits vorhanden sein — sonst wird die Detailgestaltung auf keiner Plattform funktionieren. Trotzdem: Content first— das stimmt schon, irgendwie.

In meiner Klasse bin ich aber bei einigen Sätzen dann doch erschrocken: »Naja, die Webseite mach ich halt mit Templates« oder »das Logo kauf ich dann einfach auf der Stockplattform« waren Sätze, die mich ins Herz getroffen haben. Meine Klasse besteht ja zu einem Großteil durchaus aus Marketingspezialisten — und trotzdem haben sie offenbar wenig Ahnung, was Design eigentlich leistet! Erstaunlich. Seit mehr als 100 Jahren arbeiten grafische Gestalter hart an der Professionalisierung ihrer Branche und der Vermittlung und Messbarkeit ihres Nutzens, haben Schulen und Hochschulen eröffnet, Vortragsreihen gestartet und Stars in die Medien geschickt. Und trotzdem haben Marketingmenschen offenbar das Gefühl, mit eigenbrötlerischen Künstlern zusammenzuarbeiten, die Eigeninteressen vor Kundeninteressen stellen. Ohne Verständnis für Strategie und Zielgruppe, ohne Idee davon, wie Inhalte zu verarbeiten sind.

Kommt mir das bekannt vor? Ja! Kenne ich nicht die Gekränktheit des Gestalters, der sich vom Marketing unverstanden fühlt? Der immer daran ist, zu versuchen innovativ zu sein und ständig das Gefühl hat, unter seinen Fähigkeiten zu arbeiten? Der frustriert ist, weil dem Kunden offenbar nichts zugemutet werden darf? Der Unterscheidbarkeit als höchstes Gut ansieht und vom Marketing immer nur den gleichen Fraß vorgesetzt bekommt? Ich kenne diese Gedanken. Und alle anderen Gestalter kennen sie auch.

Gelangweilte Gegner

Eigentlich lächerlich: Da scheinen sich zwei Professionen einfach nicht zu treffen. Zwei Gewerke, die unmittelbar zusammenarbeiten und das gleiche Ziel verfolgen. Die ohne einander eigentlich kein fertiges Produkt erstellen können. Die — nach meinem Studium kann ich das mit Sicherheit behaupten — die gleiche Systematik, ähnliche Strukturen und eigentlich auch eine ähnliche Sprache sprechen. Was also fehlt, um sich zu respektieren und zu ausgezeichneten Ergebnissen zu kommen? Was kann man tun, damit keiner das Gefühl hat, bevormundet zu werden? Wie können diese beiden Gewerke am gleichen Strang ziehen?

Zwei vom gleichen Schlag, die sich gemeinsam runterziehen. Photo by Amir-abbas Abdolali on Unsplash

Für mich als strategischen Designer waren viele Aspekte des Studiums der Content Strategie nicht ganz neu, vor allem was Markenstrategie betrifft. Gerade Researchmethoden, Kundenbefragungen und Design Thinking sind für Content und Design ganz ähnlich—wenn nicht völlig ident.

Was also ist jetzt richtig: Zuerst mit dem Inhalt beginnen? Damit das Design weiß, wie die Vermittlungsaufgabe aussieht? Oder lieber zunächst mit einem groben Designentwurf anfangen damit alle medialen Möglichkeiten sichtbar werden? Beides kommt vor: Designer, die nach Inhalten lechzen, um überhaupt starten zu können und Editoren, die ein Framing benötigen, um zu wissen, wie das Ding denn überhaupt aussieht. Eine Henne-Ei-Problem, wie es scheint.

Das Problem skaliert sich, werden die Projekte komplexer. Mit Extraplan gestalten wir oft nicht nur digitale Medien, die in strategischem Abgleich mit gedruckten Medien funktionieren müssen. In den letzten Jahren haben wir begonnen, auch noch den Raum als weitere Dimension hinzuzufügen, beispielsweise in der musealen Gestaltung oder einer 360-Grad-Kampagne. Und hier wird es noch brutaler, denn: Was kommt zuerst? Wie kann man Inhalte entwickeln ohne die Raumdramaturgie mitzudenken? Wie soll man ein Design aufsetzen, wenn weder klar ist, wie die Inhalte aussehen, noch, wie der Raum überhaupt aussieht, in dem sich die Besucher multimedial bewegen werden?

Das Content/Design-Ideal

Wie könnte die ideale Kombination aus inhaltlicher und grafischer Gestaltung denn eigentlich aussehen? Ich glaube, die Hoffnung auf Führung und Folge muss aufgegeben werden. Weder Content noch Design (noch Entwickler, Architekt oder Kurator) kann alleine anführen. Weder Inhalt noch Gestaltung kann alleine oder voneinander unabhängig gedacht und entwickelt werden. Content first? Natürlich! Design first? Logisch! Beides muss verzahnt und in enger Absprache miteinander erarbeitet werden. Die gute Nachricht: Die Tools und Strukturen zur Erforschung richtiger und konsequenter Inhalte und Gestaltungsaspekte sind die gleichen. Sie können gemeinsam und zeitgleich durchgeführt werden: Zielgruppenanalyse, Personaerstellung, User Interviews, Customer Journeys, Message Architecture und viele Maßnahmen mehr müssen nur einmal erarbeitet werden. Die schlechte Nachricht: Gestalter und Editoren müssen einander nicht nur respektieren, sondern auch verstehen. Sie müssen wissen, was der jeweils andere leistet, wie er funktioniert und wo seine Grenzen liegen. Zugleich muss Offenheit herrschen, was den Eingriff des Gegenübers in das eigene Metier anbelangt. Inhalt und Gestaltung müssen zu einer Einheit verschmelzen.

Das richtige Verhältnis zwischen Content und Design: Love and Respect. Photo by Cassie Lopez on Unsplash

Ähnliche Probleme (wenn auch in homogenen Gewerken) hatte man in der Fernsehproduktion Ende des letzten Jahrtausends. Um kreative Prozesse zu verschnellern und die Last des Genies von einzelnen Autoren zu nehmen, wurde der Writing Room etabliert. Hier arbeiten Autoren entweder als Paar oder in größerer Anzahl zusammen. Sie sind dann auch gemeinschaftlich für die Episode einer Fernsehserie verantwortlich. Der Nachteil: Die Verantwortung jedes einzelnen verringert sich. Der Vorteil: Kreative Prozesse sind Ergebnisse eines Teams und nicht des einzelnen Genies.

In Werbeagenturen sinnvoller Größe werden Copywriting und Artdirection in Teams aus ebendiesem Grund zusammengefasst. Agile Arbeitsmethoden verbinden stark exploratives Arbeiten mit stetiger Kommunikation und Abgleich. Genau das sollte auch der Standard für das Verhältnis Content und Gestaltung sein: So sehr eins sein, wie möglich.

Das Gespann wird dann erfolgreich sein, wenn es eine eigene Sprache und Kultur entwickelt und sich radikalisiert. Nur so kann es neue Standards entwickeln und wirklich innovativ sein. Nur als Team kann die Zweiteilung Content und Design überwunden werden. Die Frage nach dem First kann man also getrost beiseite schieben. Schön wärs ja, gäb’s da eine klare Hierarchie, an die man sich halten kann. In der Realität aber werden die besten Ergebnisse von einem gemeinsam erarbeiteten und getakteten Projekt kommen. Und ja, das ist schwierig. Das geht nur mit gemeinsamem Verständnis, Rücksichtnahme, Egoverkleinerung und: Liebe.

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