Deine Marke, dein kleines Monster

Emanuel Mauthe
4 min readJul 28, 2020

--

Mit fortschreitendem Alter einer Marke lösen sich Teams und Unternehmen häufig emotional von ihrer Corporate Identity und ihrem Design. Ein Riss entsteht, das Design wird nicht mehr unterstützt, die Markenstrategie untergraben. Dies trägt zum Gedeih einer Marke nicht bei und es gibt nur eine Lösung: Die richtige Beziehung zu deiner Marke eingehen.

Als Designer, der sich mit strategischem Branding und Corporate Identity befasst, stoße ich häufig auf eine psychologische Barriere meiner Kunden, die es unmöglich macht, sich ihre Marke als etwas vorzustellen, das außerhalb ihres persönlichen Bereichs liegt. Animismus ist ein sehr altes, aber nützliches mentales Modell, das Teams und Unternehmen dabei helfen kann, ihre Marke als Objekt zu betrachten, das als subjektives Wesen mit einer Seele, konkreten Charaktereigenschaften und einem einzigartigen Zweck verstanden werden muss. Wenn du es schaffst, dieses Wesen richtig zu füttern und zu pflegen, kann es zu einer reifen und nützlichen Kreatur heranwachsen. Im Zuge meines Studiums der »Content Strategie« an der FH Joanneum teile ich ein paar Tipps, wie man sich zu seiner Marke am besten verhält.

Du darfst nie zu deiner Marke werden

Wenn du dich mit dem Corporate Design, mit dem du arbeitest, nicht verbunden fühlst, möchte ich dir zwei Gedanken näherbringen:

  1. Du missverstehst vielleicht deine Beziehung zu deiner Marke.
  2. Du bist damit nicht allein.

Teams, die mit ihrem ästhetischen Ausdruck nicht einverstanden sind, sind ebenso häufig wie gefährlich. Wenn Kunden mit mir über ihr bestehendes Corporate Design sprechen, schämen sich die meisten für ihre ästhetische Kommunikation. Sie fühlen sich oft schlecht in Bezug auf frühere Entscheidungen, haben das Gefühl, dass das CI nicht mehr passt und möchten etwas Neues haben. Das ist verständlich, sie müssen oft mit Entscheidungen leben, die sie vor Jahren getroffen haben, als sie sich dann für ihr Logo, ihre Typografie, ihre Markenstimme und ihre Designelemente entschieden haben. Jetzt wirkt die CI plötzlich alt, fehl am Platz und damit lächerlich, bedürftig. Klar, CI-Arbeit bedarf einer Kontinuität: arbeitet man nicht konsequent weiter, verliert eine Marke an Anschluss und damit an Zugkraft.

Das ist natürlich nicht vorteilhaft für deine Arbeit. Oft aber steckt mehr Kraft in einer vielleicht nicht mehr ganz frischen Marke als meine Kunden glauben wollen. Oft sind sie dann aber bereits dermaßen angewidert, dass ich sie kaum von den positiven Eigenschaften des Vorhandenen überzeugen kann. Und das ist schade: schließlich ist eine Restaurierung oft kostengünstiger, da man die Endkunden nicht mit großem Aufwand an etwas völlig neues heranführen muss. Ich habe oft das Gefühl, Unternehmen ist nicht ganz klar, welche Beziehung sie zu ihrer Marke idealerweise entwickeln sollen. Häufig sehe ich so etwas wie eine Überidentifikation mit einem bestimmten Design, einem Claim, der gesamten CI. Prinzipiell erfreulich für den Gestalter, man will seine Kunden schließlich begeistern. Und es sind natürlich die Unternehmensteams, die tagtäglich mit einer Farbe, einem Produktnamen, einem Claim leben müssen. Trotzdem halte ich es für wichtig, zu lernen, einen gewissen professionellen Abstand zur eigenen CI einnehmen zu können. Wie aber kann man das erreichen?

Animismus: Heilige Gegenstände sind nicht einfach Repräsentanten oder Zeichen von Seele. Für den Gläubigen sind die Objekte selbst lebendig. Photo by Danika Perkinson on Unsplash

Branding und die Seele der Dinge

Treten wir einen Schritt zurück und schauen uns an, was eine Marke — oder präziser eine CI — eigentlich ist. Vereinfacht gesagt: eine Marke macht eine Idee, eine Unternehmung, eine Organisation erfahrbar. Durch Formen, Farben, Typografie, Sprache, Töne, Bilder wird das Abstrakte lebendig. Anders gesagt: Wir geben toter Materie Leben. Und damit verwenden wir ein Prinzip, das so alt ist wie die Menschheit: Animismus. In polytheistischen Religionen konnten (und können) Anbeter Seelen in toten Dingen finden. Berge, Hirsche oder Totems waren keine Symbole für etwas anderes. Sie zeigten nicht auf Bedeutung — sie bedeuteten. Wenn du verinnerlichst, dass dieses Ding deine Marke sein kann, hast du die richtige Perspektive eingenommen. Der Animismus — wie dieses mentale Modell genannt wird — verwandelt Objekte in Subjekte, tote Dinge in Lebewesen. Diese Seelen haben Charakter, Fehler und Bedürfnisse und Anbeter waren verpflichtet, auf diese Eigenschaften zu reagieren. Wir sind Frankensteine, die Marken sind unsere Monster. Und welche Beziehung pflegen wir mit Monstern? Wir halten sie besser an einer langen Leine.

Immer noch bei mir mit dem Bild? Was ich damit eigentlich sagen möchte ist

  1. Identifiziere dich nicht zu stark mit deiner Marke. Sei einfühlsam mit ihr und liebevoll, leite sie an — aber halte dabei Abstand. Auf diese Weise hast du einen klaren Überblick darüber, was sie ausmacht, wie sie auf neue Herausforderungen ausgerichtet werden kann und wie du langfristig damit kommunizieren kannst.
  2. Töte sie nicht jedes Mal, wenn du beginnst, dich mit deiner Marke unwohl zu fühlen — wende dich zuerst an einen Branding-Strategen. Es ist seine Aufgabe, dir dabei zu helfen die inhärenten Werte der Marke zu analysieren und zu entscheiden, wie sie gegebenenfalls angepasst werden muss.
  3. Deine Marke muss für deine Zielgruppe natürlich attraktiv sein, aber die meiste Zeit ist es durchaus in Ordnung, wenn sie nicht von allen geliebt wird. Wenn du deiner Marke zu nahe stehst, wirst du alles viel zu persönlich nehmen und es unterlassen, sie so scharf zu führen, wie es notwenig wäre.
Du solltest dich mit deiner Marke nicht überidentifizieren. Achte darauf, dass sie nicht zu sehr an dir klebt. Behandle sie respektvoll, entwickle sie laufend weiter, gib ihr Freiraum. Vergiss aber nicht, sie an der Leine zu führen. Photo by Silvana Carlos on Unsplash

Das Monster an der Leine bist nicht du

Deine Marke kann dein Welpe, dein Monster, dein Bonsai sein, aber niemals du selbst. Du musst sie pflegen, führen und dabei konsequent Abstand halten. Das wird dir helfen, sie stringent zu führen und auch ein paar Jahre lang mit ihr zufrieden zu bleiben.

--

--