Köln: Radfahrer dürfen auf die Straße — nur wann?

Follow Up Magazin
7 min readDec 14, 2016

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Was der Verkehrsausschuss des Kölner Stadtrats am 27. Oktober 2015 beschloss, sorgte auch überregional für Aufmerksamkeit. Einstimig folgte der Ausschuss einem Antrag von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, FDP sowie den Gruppen Piraten und Deine Freunde und forderte die Kölner Stadtverwaltung auf, zügig die Radwegebenutzungspflicht — wo möglich — in der Stadt aufzuheben und auf den zentralen Ringen die entsprechenden Schilder „schnellst möglich“ zu beseitigen. Fahrradfahrer dürfen dann also überall die Straße benutzen. Im Stadtbild sieht man sechs Monate später noch keine Veränderung — wir haben nachgehakt.

von Tim Farin

Der politische Wille ist eindeutig wie selten: Einstimmig, dringlich, überparteilich — so ging im vergangenen Herbst der Auftrag an die Stadtverwaltung, die Pflicht zur Benutzung der Radwege zu beseitigen. Das bedeutet konkret: Blaue Schilder müssten entfernt werden, um den Radfahrern die Wahl zu überlassen, ob sie auf der Fahrbahn oder auf den vorhandenen Radwegen fahren. Das klingt unkompliziert: Schilder weg — und fertig. Eigentlich ist das seit 1997 — also bald zwei Jahrzehnten — bundesweite Rechtslage, aber de facto stehen im gesamten Bundesgebiet Schilder. Richten sich die Radler nicht danach, kann das teuer werden. Auch in Köln ist in der Praxis von den Veränderungen nichts zu sehen. Zudem mauern die zuständigen Behörden. So war es innerhalb des ablaufenden Monats April für Follow Up nicht möglich, trotz mehrmaliger Nachfrage und einem direkten Gespräch mit Vertretern der Verwaltung eine offizielle Stellungnahme im April zu erhalten — also innerhalb der Sechs-Monats-Frist unserer Berichterstattung. Schade, aber wir reichen die Details nach, sobald wir sie haben.

Umsetzung auf den Ringen im kommenden Winter

Ein Ergebnis steht immerhin bereits fest: Laut Jürgen Möllers, dem Fahrradbeauftragten der Stadt Köln, hat die Verwaltung das Thema mit Priorität bearbeitet und wird die Abschaffung der Radwegebenutzungspflicht nun zunächst auf den Kölner Ringen umsetzen — dem zentralen Straßenzug um die Altstadt. Im vergangenen Dezember hatte Klaus Harzendorf, Leiter des Amts für Straßen und Verkehrstechnik, unter dem Eindruck der politischen Entscheidung eine Umsetzung bis Jahresende 2016 versprochen. Hört man sich nun in der Verwaltung um, so erfährt man, dass dieser Termin mehr oder weniger gehalten werden soll — auf jeden Fall sei bis Januar oder Februar 2017 die Umsetzung auf den Ringen zu erwarten, heißt es dort.

Ob es dabei bleibt, ist nicht klar. Zumal sich die Verwaltung nach außen in Schweigen hüllt. Für die Sitzung des Verkehrsausschusses in der letzen Aprilwoche hatte die Verwaltung eigentlich eine Auskunft angekündigt — doch nahm sie das zurück und äußerte sich nicht zum Beschluss aus dem Oktober. Erneut wird es also dauern, bis die Bürger erfahren, wie der politische Auftrag in die Tat übersetzt wird. Das verärgert beispielsweise Christoph Schmidt, den verkehrspolitischen Sprecher im Vorstand des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) Köln. Er kritisiert die Vorgehensweise der Behörden: „Die Verwaltung ist eine eigene Welt. Aus unserer Sicht ist es oft nicht nachvollziehbar, mit welchen Argumenten da Maßnahmen hinausgezögert werden. Sie können sich auf technische Gründe und Regeln berufen, wo wir nicht widersprechen können.“

Reinhold Goss sieht das ähnlich. Er vertritt die verkehrspolitische Initiative „#RingFrei“, die sich für eine Radfahrer- und Fußgänger-freundliche Umgestaltung der Kölner Ringe engagiert. „Man wundert sich immer wieder: Die Verwaltung tut so, als sei Spezialwissen für all diese Änderungen nötig — und verzögert so den Fortschritt — denn es gibt ja neben dem Engagement auch ein breites Erfahrungswissen in den uns unterstützenden Verbänden, wie ADFC, AGORA oder VCD“, sagt er. Nur werde das Wissen nicht genutzt. Konsequenz: Stetiger Druck durch die Fahrradlobbyisten. Auch jetzt hat sich „#RingFrei“ wieder an den Amtsleiter Harzendorf gewandt. In einer E-Mail, die Follow Up vorliegt, fordern die Initiatoren die Bürokratie auf, kurzfristig über den Sachstand zu informieren. Man habe Zweifel, dass das Amt die informell angekündigten Schritte vorantreibe.

Lobbygruppen und Unfälle erhöhen Druck

Hört man sich in der Kommunalpolitik um, dann trägt dieser Druck tatsächlich Früchte. Die Radfahrer gelten inzwischen gar als so gut organisiert, dass manch ein Kommunalpolitiker befürchtet, dass andere Interessen aus dem Auge geraten. Dass es überhaupt zu der Entscheidung im vergangenen Oktober kam, hatte durchaus auch mit der permanenten Öffentlichkeitsarbeit der Radfahrverteter zu tun — aber auch mit dramatischen Unfällen in der Stadt, bei denen mehrere Menschen zu Tode gekommen oder schwer verletzt worden waren. Ob in jedem einzelnen dieser Fälle eine andere Verkehrsregelung den Unfall hätte verhindern können, darf bezweifelt werden. Aber das Thema „Sicherheit für Radfahrer“ stand im vergangenen Herbst ganz oben auf der kommunalpolitischen Agenda.

Überhaupt ist das Thema Radfahren en vogue, Initiativen wie „#RingFrei“ erhalten mehr Unterstützung denn je. Reinhold Goss sagt: „Die Ringe wurden jahrzehntelang vernachlässigt. Jetzt haben wir eine überwältigende Unterstützung für unser Anliegen. Der Handel ist dabei, die Einrichtungsmeile Kölner Ringe — ein Zusammenschluss von Möbelhäusern — ist dabei, selbst die IHK ist dabei. Das müssen wir jetzt ausnutzen, ehe ein derartiges Anliegen der Stadtgesellschaft wieder gezögert und verwässert wird.“

Große Konzepte, wichtige Details

Bei den freigegebenen Fahrbahnen soll es aber nicht bleiben, geht es nach dem Willen der Fahrradlobbyisten. Seit Längerem diskutiert man in Köln über ein ganzheitliches Konzept für den Radverkehr in der Innenstadt, die Verwaltung hat hierzu gerade ein Gutachten vorgelegt. So sieht ADFC-Vertreter Schmidt den Ausschuss-Beschluss aus dem Oktober durchaus als Erfolg. Man verfolge aber größere Ziele: „Wir denken an die Klientel der Radfahrer, von denen sich viele auf der Straße nicht sicher fühlen. Ziel muss immer eine Stadt sein, in der es eine Infrastruktur gibt, die allen Radfahrern von acht bis 80 Jahren gerecht wird.“

Ein Anliegen, das auch in den Behörden auf Gegenliebe stößt. Dem Vernehmen nach hat das Radverkehrskonzept Innenstadt nicht nur in der Verwaltung, sondern auch für etliche Politiker und Interessenvertreter Vorrang. Denn solch ein Konzept würde der Stadtverwaltung auch weitere Personalstellen für den Radverkehr ermöglichen — und somit auch die schnellere Umsetzung politischer Entscheidungen ermöglichen.

Bis es so weit ist, streiten die Behörden und Fahrradlobbyisten über die konkrete Umsetzung der bereits gefassten Beschlüsse. Wieder verweigert die Stadtverwaltung einen konkreten Einblick in ihre Pläne. Bislang weiß niemand außerhalb der Amtsstuben, wie die rechte Fahrspur auf den Kölner Ringen ab kommendem Frühjahr aussehen wird. Es gibt viele Forderungen: Temporeduzierung für den Pkw-Verkehr, Abschaffung von Parkplätzen, stärkere Kontrollen durch Ordnungsamt und weiteres mehr. Für die Lobbyisten sind das alles keine großen Sachen — für die Verwaltung vielleicht schon.

Nur steht bereits jetzt fest: Die blauen Schilder entfernt die Verwaltung erst, wenn sie neue Ampeln hat, die sich auf andere Zeitintervalle programmieren lassen. Die offizielle Argumentation: Damit soll verhindert werden, dass querender Verkehr schon Grün hat, während Radfahrer noch über eine Kreuzung fahren. Dabei sind bereits heute Radfahrer mit Anhängern von der Radwegebenutzungspflicht ausgenommen. Diese dürfen also auf der Fahrbahn fahren, sind aber meist nicht schneller als durchschnittliche Radler — und, folgt man der Argumentation mit den notwendigen neuen Ampeln — heute in großer Gefahr.

+++ Update vom 10. Mai 2016 +++

Am 18. März ging die erste Anfrage an die Stadtverwaltung, am 10. Mai gab es nun nach wiederholter Nachfrage schriftliche Auskunft des Kölner Fahrradbeauftragten Jürgen Möllers. Er schreibt, die Anpassung der Ampelanlagen sei grundsätzlich „die technische Voraussetzung“ für die Demontage der blauen Schilder. Wie weit der Fortschritt bei der notwendigen Ausschreibung ist, erklärt die Verwaltung in ihrer Antwort nicht. Eine konkrete Zahl von Ampeln, die für die Umsetzung ausgetauscht werden müssen, nennt Möllers ebenfalls nicht — obwohl hier konkrete Zahlen im Raum stehen. Erforderlich sei bei allen Altanlagen eine Ausschreibung, sobald die Finanzierung gesichert ist.

Neben der Arbeit an den Ampeln sind nach Aussage Möllers nur „kleine bauliche Anpassungen an Mittelinseln, Borden und Bordsteinabsenkungen notwendig“. Wie die rechte Spur dann genau aussieht, ist bislang noch unklar. Es gebe, schreibt Möllers, dazu noch „keine weiterführenden Planungen“, „sondern nur erste Überlegungen im Rahmen des Radkonzepts Innenstadt“. Ob in diesem Zuge auch das Tempo auf den Ringen von 50 gesenkt werde, müsse durch die Verwaltung noch geprüft werden.

Ob der angekündigte Zeitraum zu halten ist? „Hierzu gibt es grundsätzlich keine Erfahrungswerte, da jedes Projekt als Einzelfall betrachtet werden muss. Nach derzeitigem Stand geht die Verwaltung davon aus, dass der in Aussicht gestellte Umsetzungszeitraum eingehalten werden kann. Dies kann jedoch durch mögliche Verzögerungen in der Vergabe oder im Bauablauf derzeit nicht abschließend sichergestellt werden“, erklärt Möllers.

Durch die politische Entscheidungslage — so argumentiert die Verwaltung — ist sie inhaltlich unter Zugzwang. „Die erste Priorität der Verwaltung ist die Aufhebung der Benutzungspflicht.“ Die Konsequenz: Verzögerungen bei anderen Planungen. „Hiervon betroffen waren schwerpunktmäßig die Umsetzung des Radkonzeptes Lindenthal und die Öffnung der Fußgängerzonen in der City in den Nachtstunden.“

+++ Update vom 9. Dezember 2016 +++

Neuigkeiten aus dem Kölner Verkehr: Auf dem Hansaring, zwischen Ritterstraße und Am Kümpchenshof, dürfen Radfahrer jetzt die Straße benutzen, wie Kölner Stadt-Anzeiger und Kölnische Rundschau berichten. Das blaue Schild ist an dieser Stelle abmontiert, die Pflicht, den Radweg zu benutzen, damit aufgehoben — allerdings zunächst auf einer Strecke von knapp 500 Metern. Dort gilt nun Tempo 30 statt 50.

Gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger betonte Klaus Harzendorf, Leiter des Amtes für Straßen und Verkehrstechnik, die Gründlichkeit der Planung. Reinhold Goss, Sprecher der Initiative RingFrei, und Christoph Schmidt, Vorstand des ADFC, hingegen sind sich einig: Die Umsetzung des politischen Beschlusses durch die Verwaltung dauere zu lange. Eigentlich hätte jetzt — ein gutes Jahr nach dem Beschluss — bereits die komplette Ringstraße für Fahrradfahrer freigegeben werden sollen. Dies soll nun in zwei Phasen geschehen. Die Arbeiten am ersten Bauabschnitt sollen bis Juli 2017 abgeschlossen sein; für die zweite Phase gibt es noch keinen Termin.

Dieser Text erschien zuerst im Follow Up Magazin.

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