Über Orientierung im Post-Digitalen Zeitalter

Hannes Jähnert
3 min readApr 21, 2019

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Die Studie „Siegeszug der Emotionen“ (gibt’s hier zu kaufen) beleuchtet die Rolle von Emotionen in einer Zukunft nach der Digitalisierung. Eine Zukunft, auf die wir uns schon heute gut vorbereiten sollten.

geralt / pixabay.com

Glaubt man den Autorinnen und Autoren des Frankfurter Zukunftsinstituts löst die Ära der Emotionen die des rationalen Denkens ab. Die im digitalen Wandel freiwerdenden Räume in Lebens- und Arbeitswelt werden vor allem Räume für Gefühle, für Gemeinschaften und für Resonanz sein.

Im „Perzeptiven Zeitalter“ wird die sinnlich-emotionale Wahrnehmung eine zentrale Rolle spielen. Wir werden viel stärker auf unseren Bauch und unser Herz hören müssen, um angemessene Entscheidungen treffen und souverän mit den (vielleicht auch unangemessenen) Entscheidungen anderer umgehen zu können. Ganz zentral ist dabei die Frage, was unser Anliegen ist.

Geteilte Anliegen

Gerald Hüther macht das im Interview deutlich. Der Hirnforscher beschreibt Emotionen als „Botschaften an uns selbst“. Botschaften, die uns sagen, ob wir auf dem richtigen Weg sind oder nicht. Was aber der richtige Weg ist, sagen uns diese Botschaften nicht.

„Was wirklich Orientierung bietet, ist ein Anliegen […] Anliegen sind nicht so konkret wie Ziele. Man kann sie eigentlich nie erreichen, aber man hat jeden Tag gute Gründe, sich dafür einzusetzen.“

Das Beste daran: Wir können Anliegen teilen! Zum Beispiel als „Purpose“ einer Unternehmung:

„Anliegen dienen dabei nicht nur dem Zweck, einem Unternehmen eine Richtung und Mitarbeitenden einen Sinn ihres Tuns zu geben, sondern sie stiften vor allem auch Gemeinschaft: Gemeinschaft innerhalb und außerhalb der Organisation, mit allen Akteuren aus demselben Wertekosmos, die sich mit dem Anliegen identifizieren können.“

Krisenfeste Orientierung

Dass sich Menschen von einem starken Anliegen angezogen fühlen, dass sie sich vergemeinschaften und in Kongruenz mit anderen gern auch über das notwendige Maß hinaus engagieren, ist bekannt. Was aber, wenn die Gemeinschaft zerbricht? Wenn das gemeinsame Anliegen die längste Zeit ein gemeinsames war? Wenn die Kongruenz endet und die einst resonant schwingenden Verdrahtungen stumm werden?

Menschen, die sich nach Resonanz sehnen, werden die „Botschaften an sich selbst“ gut verstehen und versuchen wieder auf den richtigen Weg zu kommen. Nur was ist der richtige Weg, wenn die einst gültige Beschilderung nichts mehr gilt?

Neu-, Um- und Anders-Orientierung ist gefragt! Nur wie vermeidet man nur in einen anderen Kaninchenbau zu kriechen, in dem dasselbe Spiel über kurz oder lang wieder von vorn beginnen wird? Wie gelingt eine krisenfeste Orientierung? Was sind resiliente Anliegen?

„There won’t be such thing as society!“

Anliegen sollten eine persönliche Angelegenheit sein; ein individueller „Purpose“ — oder „Fixstern“ — der über den Beziehungen, Gemeinschaften und Unternehmungen steht, denen wir uns jetzt gerade verbunden fühlen.

Das postdigitale Zeitalter wird viel stärker noch als die zweite Moderne dieser Tage eins der „Lebensabschnittsgefährten“ und „Teilzeit-Gemeinschaften“ sein. Denn auch die letzten Orientierung gebenden Institutionen der Gesellschaft, wird sich im bunten Strudel der rasenden Zeit in Wohlgefallen auflösen, sodass sich jeder — sofern er im pragmatischen Sinne klug ist — seinem eigenen Pfad folgen und dabei mangels Beschilderung auf Bauch und Herz hören muss.

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Hannes Jähnert

Engagementblogger & Freizeitforscher: Sitzt dann und wann im Zug, tippt Dinge in sein Telefon und postet sie dann hier ...