“Goethe für Changemaker”

Hannes Jähnert
3 min readNov 29, 2019

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Am Wochenende steigt der dritte Cross Media Day. Gerade sitze ich im Zug nach Düsseldorf und denke über eine Session nach, die ich schon lange mal machen wollte: Goethe für Changemaker.

Drauf gekommen bin ich beim Lesen Otto Scharmers famoser “Theory U”, in der auch Goethes “stirb und werde” auftaucht. In den Fersen zur Seligen Sehnsucht steckt einiges Lehrreiches drin finde ich.

Johann Wolfgang von Goethe

Selige Sehnsucht

Sagt es niemand, nur den Weisen,
Weil die Menge gleich verhöhnet,
Das Lebend’ge will ich preisen,
Das nach Flammentod sich sehnet.

In der Liebesnächte Kühlung,
Die dich zeugte, wo du zeugtest,
Überfällt dich fremde Fühlung,
Wenn die stille Kerze leuchtet.

Nicht mehr bleibest du umfangen
In der Finsternis Beschattung,
Und dich reißet neu Verlangen
Auf zu höherer Begattung.

Keine Ferne macht dich schwierig,
Kommst geflogen und gebannt,
Und zuletzt, des Lichts begierig,
Bist du Schmetterling verbrannt.

Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.

Der Flammentod des Schmetterlings

Man mag bei den ersten Fersen Goethes an Menschen denken, die sich aus Protest selber anzünden. Gemeint ist das aber sicher nicht. Der Schmetterling — ein im Allgemeinen schönes Geschöpf, das da “geflogen und gebannt” kommt — geht “des Lichts begierig” in selbigem auf (ich stelle mir da eine Stichflamme und ein bisschen Rauch vor).

Der stillen Kerze fremde Fühlung

Der Grund, warum sich der schöne Schmetterling in den “Flammentod” stürzt und warum Goethe genau das 'preist' ist der stillen Kerze fremde Fühlung. Die ich als Langeweile (“stille Kerze") oder der Sehnsucht nach einem “Wind of Change” verstehe.

Das höhere Verlangen zu begatten

Wenn Goethe vom ‘Lebend’gen’ schreibt, liegt das Bild vom ‘Zeugen’ und ‘gezeugt werden' nah. Die Fortpflanzung ist schlicht ein wesentliches Merkmal des Lebens. Und noch mehr: Zeugen und begatten kann sich unser Schmetterling nicht alleine, was erklärt, für was bei Goethe das Licht steht: Andere.

Fun fact: Goethe soll mehr Liebschaften gehabt haben, als er zählen konnte.

Durch das U: Stirb und werde!

Was können Changemaker nun also von Goethe lernen?

  • Seeing: Goethe preist euch! Und Goethe ist nicht irgendwer. Von allen Menschen aber könnt ihr solche Loblieder nicht erwarten.
  • Sensing: Die Sehnsucht nach Veränderung kommt als Gefühl daher. Wandel ist nicht allein eine Kopfgeburt!
  • Presencing: Apropos Geburt: Ideen kann man haben, Neues zu ‘zeugen’ aber heißt los- und der Sache seinen Lauf lassen.

Und noch eins: Goethe schreibt “stirb und werde”, nicht nur “stirb”. Soll heißen: Wichtig ist, dass was bei rum kommt und du dich nicht zwecklos 'verbrennst’. Scharmer zeichnet den Prozess des Werdens auf der rechten U-Seite vor:

  • Crystalizing: Neuem, dass sich auf intersubjektiver Ebene — wenn du so willst, über der Crowd — entwickelt, muss irgendwann eine Form gegeben werden, mit der ihr in Beziehung treten könnt.
  • Prototyping: Das 'formatierte' Neue ist ein Entwurf, mit dem ihr spielen könnt. (Im Spiel kommen Kopf, Herz und Hand zusammen.) Testet das Ding ruhig aus!
  • Performing: Das Neue ist irgendwann normaler Bestandteil täglichen Tuns. Neu an diesem 'New Normal' ist, die Struktur des sozialen Feldes: Die Quelle des Handels hat sich vom Du-in-Dir zu Ihr-in-Gegenwärtigung* verschoben.

*Die Gegenwärtigung beginnt beim Presencing irgendwo zwischen Los- und Kommenlassen.

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Hannes Jähnert

Engagementblogger & Freizeitforscher: Sitzt dann und wann im Zug, tippt Dinge in sein Telefon und postet sie dann hier ...