Kein Heldentod

Ein Besuch am Ground-Zero-Mahnmal

Gabriel Yoran
Notizbuch

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Die Gedenkstätte für die Opfer des 11. September 2001 am Ground Zero ist — nicht nur für amerikanische Verhältnisse — völlig unheroisch. Wenn man in das riesige Bassin aus schwarzem Stein blickt, an denen Wasserfälle herabstürzen, dann sieht man da kein rachsüchtiges Amerika, kein “Jetzt erst recht”, man sieht nicht New Yorker, die einen Heldentod sterben, keine stolzen Weißkopfadler, es wehen keine prächtigen Flaggen, niemand spielt ein einsames Trompetensolo auf einem Militärfriedhof. Nichts von alledem.

Stattdessen ist in dem Bassin wieder nur ein kleinerer quadratischer bodenloser Abgrund (denn man kann vom Rand nicht tief genug hineinsehen), in dem wiederum das Wasser von allen vier Seiten stürzt. Natürlich sieht die Gischt aus wie die Menschen, die sich aus den Wolkenkratzern gestürzt haben und es sieht aus als ob sie da endlos fallen, wieder und wieder.

Und es ist nicht nur ein Bassin, sondern zwei, jeweils dort wo die beiden Türme des One World Trade Center standen. Das alles ist so erschütternd konkret, wie ich noch kein Mahnmal erlebt habe. Die beiden Abgründe repräsentieren nicht etwas, das woanders passiert ist. Sie stehen nicht für ein Ereignis an einem anderen Ort — wie ein Standbild vielleicht, eine Skulptur oder eine Tafel mit Namen. Sie sind der Ort.

In diesem Sinne ist das Mahnmal kein Symbol, sondern eine merkwürdig rekursive Kultstätte: Man kann den Ort, auf den er verweist, wegen der Kultstätte selbst nicht mehr betreten.

Man mag die Löcher mit den Umrissen der Gebäude ästhetisch naiv finden, zu konkret und erschlagend. Der daneben im Entstehen befindliche, fast fertige Freedom Tower, dessen kühle, spitz zulaufenden Struktur einen stairway to heaven bildet, wirkt nicht triumphal und optimistisch wie vielleicht das Chrysler Building. Man steht ratlos davor, geblendet von der Sonne, weil man gar nicht so steil hochschauen kann wie das Gebäude es verlangt, und ist ratlos. Wie in dem schrecklichen Märchen in Woyzeck, wo das Kind zu den Sternen hinaufspaziert und als es zurückkehrt, stellt es fest: Die Erde ist nur ein umgefallener Eimer.

Senkt man den Kopf dann wieder, fällt der Blick auf die Absperrung der Baustelle — aus meterhohen Zäunen und dicken Rollen Stacheldraht. In diesem grimmigen Pragmatismus zeigt sich, welche entsetzliche Wunde hier geschlagen wurde.

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