Selbstversuch unter Lucia Nr 3

Vom Trend-Setting zum Mind-Setting

Halt ist (noch) keine Haltung

Gerhard Stübe
6 min readAug 28, 2017

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Die MICE — Branche befindet sich im Umbruch. Ist dem wirklich so? Oder handelt es sich dabei lediglich um eine der berühmten leeren Worthülsen? Ich meine, beides trifft zu. Doch beginnen wir mit den Worthülsen.

Dem Kunden was neues bieten

Als ich vor einem halben Jahrzehnt die einschlägigen Kongresse der MICE — Branche besuchte, hörte ich einige Leute davon sprechen, dass man eigentlich etwas gegen die schnöden und ewig langweiligen Podiumsdiskussionen unternehmen sollte, dass die Auswahl guter key note — speaker nicht leichter wird und die gute alte Reihen-Bestuhlung in Veranstaltungszentren nicht mehr en vogue sei.

Dem Kunden mal was Neues bieten, war (und ist immer noch) der Slogan der Stunde. Und da kamen jene Jünger gerade recht, die von World Cafe, Open Space, Pecha Kucha oder meeting architecture berichteten. Ein Segen für diejenigen, die mit den Trends an der Oberfläche mit schwimmen möchten oder seitens der Geschäftsführung dazu verpflichtet werden. Ein Segen auch für diejenigen, die diese Trends erkannt haben und nunmehr mit einer Toolbox ausgestattet von Verband zu Verband, von Haus zu Haus, von PCO zu PCO ziehen, um den Wissbegierigen den “heiligen Gral” Open Space, Fish Bowl oder alternative Bestuhlungsmöglichkeit zu zeigen. Nun denn. So sei es.

Kratzen an der Oberfläche oder Tiefgang

Aber so ist es eben doch nicht, wenn man zukünftig als Veranstaltungszentrum mehr als nur Räume vermieten möchte, wenn man als PCO den Verbandspräsidenten von einer neuen inhaltlichen Gestaltung eines Kongresses überzeugen will oder als Event-Agentur bei den corporates die Innovationskraft der Veranstaltungen hoch halten möchte.

Wenn man verstehen möchte, worin denn der vielzitierte Wandel der Branche wirklich besteht. Wenn man erfahren möchte, in welcher Situation Interaktion gefragt ist und in welcher tunlichst zu unterlassen. Wenn es darum geht, eine Haltung zu einer neuen Kongresskultur zu erleben und dadurch zu verstehen und nicht nur Halt zu finden an Hand eines neuen Formats.

Denn dann darf nicht nur an der Oberfläche gekratzt werden, sondern man muss bereit dafür sein, tiefer in die Materie ein zu tauchen.

In der aktuellen Ausgabe der TW wird vom verbaende.com — Infotag Verband & Tagung berichtet. No “Death by Powerpoint” titelt der Report von Chefredakteurin Kerstin Wünsch. Darin finden die positiven Ansätze der Veranstaltung ebenso Platz wie auch kritische Anmerkungen einzelner Teilnehmer. Da ist die Rede von “Formate bei der Veranstaltung lieber aus probieren und nicht nur darüber sprechen” oder auch vom fehlenden innovativen Setting der Veranstaltung selbst. Da sind wir mitten drin in der Sache.

Es geht ums Erleben von Neuem, von explorieren, ausprobieren und erfahren. Erleben heißt nicht, eine Toolbox mit Gebrauchsanleitung zu erhalten, anderen zu zuhören, wie es besser gehen würde.

Erleben heißt zu verstehen warum es gut ist, ein interaktives Format für das Erarbeiten einer Lösung der einen oder anderen Aufgabe ein zu setzen. Die Wirkung des angewandten Formats selber zu erkennen. Zu spüren, wann braucht es Input von Außen und wann die kooperative workshop — Situation. Dieses Verständnis über den Bounce — Effekt von Angst & Vertrauen, dass Resonanz den Wirkungsgrad jeglichen Tuns erhöht und dass gutes Zuhören der Schlüssel zum Erfolg ist, entwickelt die notwendige Haltung im Inneren: die Grundlage für die Weiterentwicklung unserer Branche.

Die immer klarer werdenden Unterschiede zwischen “Oberflächenschwimmen” und “Eintauchen” erinnern mich stark an die Anfänge des Themas “Green Meeting”. Auch hier trennte sich irgendwann die Spreu vom Weizen. Interessant erscheint mir jener Aspekt, dass es neben den vielen guten Beispielen, nach wie vor auch noch jene Green-Labels auf dem Markt gibt, mit denen man sich gegen Entgelt ein grünes Mäntelchen umhängen kann. Und auch jene Unternehmen, welche sich dieses Mäntelchen umhängen lassen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die Mind-Setter unserer Branche

Kehren wir doch zur besseren Kongresskultur zurück. Wer sind denn nun die “Bad Guys” und wer die “Good Guys” in der Branche? Ich meine, dies lässt sich nicht so kategorisieren. Es gibt jene, die mehr Sicherheit suchen und meinen, diese durch Halt zu bekommen. Hier gilt es, Vertrauen auf zu bauen und Überzeugungsarbeit zu leisten, dass es eben mehr gibt, als einen Werkzeugkoffer von möglichen Formaten zu erhalten. Und es gibt diejenigen, die weit hinter einen Branchen — Trend blicken und darüber nachdenken, wie aus Trend — Setting, Mind-Setting für die Branche entstehen kann.

Da heißt es dann die berühmte Komfort — Zone zu verlassen um Neues aus zu probieren. Mich persönlich brachte das erste micelab:bodensee explorer-Modul aus dem gewohnt sicheren Tritt. Ich durfte Teil eines “Forscher-Team” sein, welches sich drei Tage mit dem Thema “Angst & Vertrauen” aus einander gesetzt hat. Wir bekamen u.a. input des Kufsteiner Psychotherapeuts Dr. Engelbert Winkler, unter dessen selbst entwickeltem Licht für uns als freiwillige Probanden in 5min — Sessions die unendliche Kreativität unseres eigenen Bewusstseins sichtbar wurde. Dr. Winkler klärte uns auch über den Unterschied zwischen Angst und Furcht auf. Während Angst sich als etwas Unspezifisches gegen das Unbekannte richtet, kann Furcht mit rationalen Argumenten überwunden werden, da ihr ein konkreter Anlass vor geschalten ist. Eine insbesondere auch für Veranstaltungen wichtige Unterscheidung, könnte somit auch mit rationalen Argumenten der Furcht vor interaktiven Formaten auf einem “wir machen es aber immer schon so” — Kongress entgegen gewirkt werden.

Ja, genau, und!

Roberto Hirche vom Impro — Theater Konstanz überzeugte uns vom unterschiedlichen Wirkungsgrad der Kommunikation wenn wir sagen: “ja, genau, und”! im positiven Gegensatz zu: “ja, aber”! Keine leichte Übung kann ich aus eigener Erfahrung berichten, jedoch umso wirkungsvoller wenn es gelungen ist, sich selbst um zu polen.

Meine größten Widerstände gegen das im explorer Erlebte empfand ich, als wir uns auf einen Gottesdienst in der Wolfgangskirche im Vorarlberger Meschach einließen. Ein interessanter Kraft-Ort, wurden dort doch die Szenen für die Verfilmung des berühmten Werks von Robert Schneider, “Schlafes Bruder”, gedreht. Der evangelische Pfarrer Jürgen Harder hielt gemeinsam mit uns eine Andacht, in welcher wir mit fast allen Ritualen einer Messe berührt wurden. Die Kombination von Ritualen, Messgesängen, Geschichten und Gebeten sowie dem Geruch nach Kerzen, altem Holz und Elektro — Ofen, entfachte bei mir große Widerstände. Vor allem das Singen unbekannter Kirchenlieder, die mir so gar nicht von der Hand gingen, brachten mich fast in Rage. Hätte nicht Pfarrer Harder als Vertrauensperson den Raum gehalten und meine Widerstände akzeptiert, hätte ich von der Veranstaltung fliehen müssen. *

Er-leben, statt er-fahren

Mein persönliches Learning daraus war, dass es keine Veranstaltung auf dieser Welt geben wird, die nur auf mich zugeschnitten ist. Ich nehme mir somit jene Vorträge, workshops, Diskussionsrunden, Themen heraus, die mich wirklich ansprechen und akzeptiere, dass es auch anderes gibt. Ich habe Demut gelernt.

Will man also das Trend-Setting hinter sich lassen und sein Unternehmen, seine Mitarbeiter und damit auch sich selbst weiter entwickeln, so begibt man sich auf unbekanntes Terrain. Man macht nicht nur einfach mit, sondern man probiert selbst aus, korrigiert, probiert wieder aus, lässt Neues zu und wird so erfahrener. Man er-lebt anstatt er-fährt. Ein spannendes und mühsames, ja teilweise auch unangenehmes Unterfangen. Meiner Überzeugung und Erfahrung nach aber erst dadurch sehr nachhaltig.

Anbei noch ein paar Beispiele für Mind-Setter unserer Branche:

Dominik Deubner mit seinem MICE — Club

Das Austrian Convention Bureau (ACB) mit seiner Weiterbildungsveranstaltung convention4u

Das GCB in Kooperation mit dem EVVC und dem Fraunhofer Institut mit der Studie “Future Meeting Space

Die Initiative “der kongress tanzt

Die weltweite Bewegung Art of Hosting (AoH)

Juraj Holub, Content Manager von sli.do

Matthias Klein von Questoprosulting

und schließlich die EU — geförderte Weiterbildungsplattform micelab:bodensee

Sie alle verlassen immer wieder ihre Komfortzonen. Sie bemühen sich um das Nutzen kollektiver Intelligenz, um Kooperation statt Konkurrenz, um Eintauchen statt Oberflächenschwimmen. Um die Weiterentwicklung unserer Branche, um eine neue Kongresskultur.

*weitere Erfahrungen und Berichte aus dem micelab:bodensee explorer gibt es ab 20.09. auch in unserem micelab:bodensee extract nach zu lesen. Eine merk-würdige Sammlung von Eindrücken, Überzeugungen, Ergebnissen und Erkenntnissen aus den bisherigen Modulen des micelabs, zusammengetragen auf 130 Seiten. Zu bestellen unter: info@bodenseemeeting.com, zum Preis von EUR 19,90.-

Die Inhalte meiner blogs sind sehr subjektive Sichtweisen und Erfahrungen aus meinem beruflichen Umfeld. Wenn sie dazu beitragen, gelebte Arbeitsweisen zu bestätigen freut es mich ebenso wie wenn diese Anstoß geben, eine andere Sicht auf unsere Arbeit zu erhalten.

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Gerhard Stübe

Managing Director of Kongresskultur Bregenz GmbH loves family, his job, friends, sports, travelling, Vorarlberg