Jenseits von Pegida

Flüchtlingshilfe mit dem Smartphone

Habbel
5 min readDec 21, 2014

von Franz-Reinhard Habbel

Um es gleich vorweg zunehmen: Ja, Flüchtlinge die in unser Land kommen, besitzen häufig ein Smartphone und das ist eine Chance für eine bessere Integration. Wir sollten diese Chance verstärkt nutzen.

Der FAZ Redakteur Rüdiger Soldt schrieb Ende Juli in einem bemerkenswerten Beitrag über minderjährige Flüchtlinge: “Sie kommen aus Algerien und steigen in Freiburg aus dem ICE. Sie kommen ohne Rucksack und ohne Pässe. Nur ein Smartphone haben sie immer dabei. Das brauchen sie, um Kontakt zu halten. Zur Familie in Afghanistan oder Eritrea. Vielleicht auch, weil sie manchmal Anweisungen von den Schleppern bekommen, in denen ihre Familien mehrere 1000 € bezahlt haben.” Auch in der Stadt Witten an der Ruhr gab es zunächst Skepsis, was die Handynutzung betrifft. Sie legte sich erst, als ein Mitarbeiter aus dem Amt für Wohnen und Soziales, der die Flüchtlinge unterbringt, erzählte, dass mindestens 50 % von Ihnen bereits “mit einem Handy in der Hand, auf der eine Übersetzungs-App bereits gestartet ist, den Raum betreten”.

Die Stadt Witten ist es auch, die in einer beispielgebenden Aktion nicht nur das Engagement für Flüchtlinge in der Stadt koordiniert, sondern auf digitale Services setzt

Die Aktion Freifunk, Stadtverwaltung und HelpKiosk, ein überparteiliches Bündnis, und die Flüchtlingsinitiative der Uni Witten/Herdecke koordinieren und kooperieren in Witten erfolgreich das Engagement für Flüchtlinge mittels einer Datenbank, der Witten-App und der Bereitstellung von Informationen und Wissen aus dem Internet. Damit soll u.a. unbürokratisch durch den Dschungel der Hilfsangebote navigiert werden.

Die von dem Unternehmen CityGuide in Krefeld erstellte App informiert über die Bereiche Arbeit und Qualifizierung, Bekleidung, Betreuung und Beratung, Gesundheit, Integration durch Gemeinschaft, Kinder und Jugendliche, sowie Möbel und Hausrat. Informiert wird auch über kostenlose Räume für Kurse für Flüchtlinge sowie Sprach- und Bildungsförderung für Kinder beziehungsweise für Erwachsene. Nach Auswahl der Hilfsangebote klickt man auf eine Karte und startet die Navigation. In der Innenstadt funktioniert das durch ein sehr dichtes WLAN-Netz von Freifunk besonders gut. Mit einer “around me Funktion” wird auf einer Karte über Symbole angezeigt, was um den aktuellen Standort herum angeboten wird. Gelistet sind auf der App auch verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten, die helfen können, auch ohne Dolmetscher in verschiedenen Sprachen miteinander kommunizieren zu können. Der Help Kiosk befindet sich unmittelbar vor dem Rathaus und ist eine zentrale Anlaufstelle. Da Flüchtlinge oft Hemmungen gegenüber Behörden haben, besteht hier die Möglichkeit, mit weniger Hemmschwellen an Informationen oder Alltägliches wie ein Möbel zu gelangen oder Karten zu finden, die beim Einkaufen und Behördengängen unterstützen. Die Datenbank des Help Kiosk wurde von einem Mitglied des Freifunk Witten in Kooperation mit dem der eGovernment Stelle der Stadt Witten entwickelt und erweitert das Angebot um Rubriken wie “Bieten” und “Suchen” für Gegenstände, Unterstützung im Alltag, bei Behördengängen oder anderes.

Die Erfahrung zeigt, dass Projekte wie in Witten nur funktionieren mit dem persönlichen Engagement der Stadtspitze und einer kompetenten Projektleitung. In der Stadt an der Ruhr sind dies zwei Frauen, Sonja Leidemann, die Bürgermeisterin und Astrid Raith, die Projektleiterin eGovernment.

Sprachbarrieren bereiten oftmals große Probleme bei der Erstaufnahme und der weiteren Betreuung von Flüchtlingen

Um Sprachbarrieren gerade bei der Erstaufnahme von Flüchtlingen zu überwinden, setzt das österreichisches Unternehmen VideoDolmetschen auf das Internet. Innerhalb von 120 Sekunden können 500 qualifizierte Dolmetscher der verschiedensten Sprachen über einen Video Call in ein Beratungsgespräch eingebunden werden. Dazu ist lediglich ein videotauglicher PC oder Laptop beziehungsweise ein Tablet notwendig. Selbst mit einem Smartphone ist in Ausnahmefällen die Kommunikation möglich. Benötigt wird ein Zugang zu dem System. Die Abrechnung erfolgt im Minutentakt.

Der Großteil der Dolmetscher befindet sich in Deutschland sowie in Österreich und ist weltweit verfügbar. Eingesetzt wird dieses System auch im Bereich der Justiz und der Gesundheitseinrichtungen. In Österreich nutzen bereits verschiedene Städte und Einrichtungen der Flüchtlingshilfe diesen Service. In Deutschland könnten zum Beispiel die Länder Rahmenverträge für die Nutzung eines solchen Dolmetscherservices durch die Kommunen zentral abzuschließen.

Drei junge Leute aus Berlin organisieren private Unterbringung über eine Plattform

Bei der von drei jungen Leuten in Berlin neu eingerichteten Internet-Plattform “Flüchtlinge willkommen” werden Flüchtlinge in Wohngemeinschaften vermittelt. Innerhalb kürzester Zeit haben sich mehr als 6.000 Fans auf Facebook gefunden. Konkrete Anmeldungen auf der Plattform gab es bisher aus mehr als 75 Orten in Deutschland. Die Unterstützer kommen aus dem ganzen Bundesgebiet, von Konstanz bis Schleswig, von Dresden bis Aachen. Wer ein leerstehendes WG-Zimmer oder freien Wohnraum zur Verfügung hat, kann sich auf der Webseite registrieren.

Immer mehr Hilfsangebote auf Facebook und Twitter

Die Vereinten Nationen stellen eine App speziell für Schülerinnen und Schüler zur Verfügung “My life as a refugee” die veranschaulichen soll, was auf der Flucht sein bedeuten kann. Durch Aufklärungsarbeit soll Verständnis für die Situation von Flüchtlingen geweckt werden.

In den sozialen Netzwerken und hier insbesondere in Facebook und Twitter nehmen Unterstützungsmaßnahmen für Flüchtlinge an Fahrt auf. Die UNO Flüchtlingshilfe informiert bei Twitter über den Hashtag @unoflucht. Dort finden sich viele Unterstützungsmaßnahmen auch in deutschen Städten. Umfangreiche Informationen gibt es auch unter dem Hashtag #Flüchtlinge. Die Organisation pro Asyl verzeichnet mehr als 5000 Followern.

Beispielgebend ist auch die Stadt Hamburg

Auskunft gibt es auf der Webseite darüber, wer sich in Hamburg engagiert, wo und wie man in welchen Gruppen vor Ort helfen beziehungsweise auch spenden kann. Auch hier gibt es einen eigenen Hashtag #HHhilft.

“Die Krisen in der Welt, insbesondere im Nahen und Mittleren Osten, führen zu immer größeren Flüchtlingsströmen. Die deutschen Städte und Gemeinden bekennen sich zu ihrer humanitären Verpflichtung, Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylbewerber aufzunehmen und ihnen zu helfen”. <DStGB-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg im Positionspapier des Deutschen Städte- und Gemeindebundes >

Durch die Nutzung von Smartphones haben viele Menschen die Möglichkeit, Solidarität zu erfahren, sich auszutauschen und zu helfen

Diese Unmittelbarkeit der Kommunikation ist es, die die Gemeinschaft von Flüchtlingen und Einheimischen stärken und fördern kann. Jeder kann sich seinen Fähigkeiten entsprechend als Helfer einbringen. Transparenz über die Aktivitäten in einer Stadt oder Gemeinde ist dafür eine wichtige gute Grundlage. Diesen Möglichkeiten der Digitalisierung sollten wir mehr Aufmerksamkeit schenken. Darin liegt ein gewaltiger Zugewinn einer offenen Gesellschaft und nicht im Wehklagen, wie zum Beispiel soziale Netzwerke instrumentalisiert werden können, um Fronten und Mauern zwischen Menschen aufzubauen oder Hass zu verbreiten.

Die Kraft der Zivilgesellschaft ist durch das Internet gewachsen und wird weiter wachsen. Ihre wertschätzenden Potenziale bilden eine wichtige Grundlage für den Bürgerstaat.

Titelfoto: Flickr: Frank M. Rafik CC

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