Freunde on demand: Was steckt hinter unserer Beziehung zu PodcasterInnen?

Imke Hedder
7 min readOct 28, 2018

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Wenn man mich über meine LieblingspodcasterInnen reden hört, könnte man meinen, wir kennen uns seit Kindheitstagen und treffen uns wöchentlich zum Kaffee. Ist das normal? In meiner Masterarbeit habe ich unsere Beziehung zu PodcasterInnen erforscht und mich auf die Suche nach einem Erfolgsrezept für auditive Nahbarkeit gemacht.

Als Jüngste einer Großfamilie, die Stille nicht ausstehen kann, waren Podcasts so etwas wie ein Geschenk des Himmels. Technisch gesehen bin ich kaum noch allein unterwegs. Podcasts leisten mir Gesellschaft beim Frühstück, ihre MacherInnen begleiten mich beim Spazieren und auf meinen Einkaufsrouten. Und ich bin schon lange kein Einzelfall mehr. Nach ihrer letzten Studie schätzen die MarktforscherInnen von ARD Sales und Services (AS&S), dass im letzten Jahr 20 Mio. Jugendliche und Erwachsene in Deutschland wenigstens einmal einen Podcast gehört haben (Domenichini, 2018). Podcasts haben sich demnach schon längst hierzulande den Weg in den Mainstream gebahnt. Und wer einmal anfängt, der bleibt meistens auch dabei — auch das lässt sich aus den Ergebnissen der AS&S-Studie ablesen.
Ich bin der ganzen Sache schon hoffnungslos verfallen, warte sehnsüchtig auf jede neue Folge und fülle die quälende Zeit dazwischen mit Episoden aus dem Archiv. Und während ich dem Erscheinungstermin entgegen sehne, wird mir bewusst, dass es nicht nur die Inhalte sind, auf die ich mich bei vielen Sendungen freue. Ich vermisse ihre MacherInnen an meinem Küchentisch und auf meinen Spazierrouten. Ihre Stimmen bringen sofort gute Laune und, ja, auch irgendwie das Gefühl, unter Freunden zu sein.

Beziehungen zu Medienpersonen — ein florierendes Forschungsfeld

Kennste? Dann lass mich kurz Entwarnung geben: Du bist nicht verrückt oder vereinsamt. Solche „Freundschaften“ zu Personen aus dem Fernsehen, der Literatur oder auf YouTube sind ziemlich normal. In der Kommunikationswissenschaft spricht man dabei von parasozialen Beziehungen und die Erforschung solcher Phänomene hat sich in den letzten 15 Jahren zu einem Trendthema des Gebiets entwickelt (Liebers & Schramm, 2017). Unsere Bindung an Jan Böhmermann, romantische Gefühle für Serienhelden oder der schwere Trennungsschmerz, als wir uns mit Band 7 von Harry Potter und Co. verabschieden mussten — allesamt Erscheinungen parasozialer Beziehungen zu Medienfiguren. Als „parasozial“ werden sie bezeichnet, weil es sich dabei nur um die „Illusion einer Beziehung“ (Horton & Wohl, 1956, S. 215) handelt. Denn für eine richtige Beziehung braucht es immer zwei PartnerInnen, die auf die Signale des anderen reagieren, sie beruht auf dem wechselseitigen Austausch. Mit Medienpersonen funktioniert das natürlich nicht, denn selbst wenn ich auf Jokos und Klaas Witze reagiere, wird denen meine persönliche Reaktion nicht gespiegelt. Dieser „Austausch“ ist vielmehr asymmetrisch (ebd.). Und auch wenn das nicht nach der idealen Art klingt, FreundInnen zu finden, sprechen einige pragmatische Punkte für die Aufrechterhaltung von parasozialen Beziehungen. Denn so hart das klingt, im Gegensatz zu einigen realen FreundInnen ist Ellen Degeneres dank YouTube zu jeder Tag- und Nachtzeit zu erreichen. Sie ist da, wenn man sie braucht, sie hat immer gute Laune und keinerlei Erwartung an uns, wie wir uns revanchieren könnten (ebd.). Eine ziemlich entspannte Quasi-Freundschaft.

Sarah Koenig, bekannt aus dem Podcast “Serial”, über ihre Erfahrung mit überschwänglich freundlichen Fans.

Aber zurück zum Thema: Parasoziale Beziehungen wurden in verschiedenen Medienkontexten empirisch untersucht, bis dato allerdings nicht bei Podcasts. Dabei bringen sie einige Qualitäten mit, die ihre ProduzentInnen zu idealen BeziehungspartnerInnen machen würden und, wer weiß, vielleicht ist es sogar diese Vertrautheit, die einen so packt und uns den Namen der „highly dedicated ‚super listeners‘“ (Bottomley, 2015, S. 165) eingeheimst hat. Ich nenne hier nur ein paar Argumente, weshalb der Podcast das optimale Beziehungsmedium darstellt. (Für eine ausführliche Auseinandersetzung empfehlen sich übrigens die Arbeiten von Berry und MacDougall).

1. Die Herkunft aus der Grassroots-Bewegung

Auch wenn man es beim Hören der aufwendigen Produktionen einiger Medienverlage vergessen mag: Podcasts sind das Produkt einer Gruppe tech-begeisteter Nerds (Berry, 2006). Zu Beginn war es eine eingeschworene Community, in der jeder jeden kannte und dessen Podcast verfolgte. Bis heute scheint sich dieser „Leute von nebenan“-Charakter der Szene trotz der Massen an Podcasts, die heute abonnierbar sind, zu halten. Schließlich ist es eine sehr offene Gemeinschaft, in der jeder einsteigen kann, der Bock und ein anständiges Smartphone-Mikro hat. Medienerfahrung ist dabei unwesentlich. Diese Strukturen fördern schon mal ein bodenständiges Image.

2. Eine vorherrschende DIY-Ästhetik

Nicht jeder hat Zugriff auf das beste Equipment samt Tonstudio — und bei kaum einem anderen Medium wird das vermutlich so wohlwollend verziehen wie beim Podcast. Der leichte Hall auf der Aufnahme, das gelegentliche Kaffeeschlürfen oder der bellende Hund im Hintergrund machen das ganze Hörerlebnis nur noch echter, als würde man sich tatsächlich mit dem Podcaster oder der Podcasterin über das Telefon unterhalten. Deshalb haben viele Sendungen den selbstgemachten Charme, der einem Radio-Interview manchmal einfach fehlt. Und authentisch wirkt es auch. (Meserko, 2015)

3. Ein Respektverhältnis auf Augenhöhe

Neue Medien bieten uns den höchsten Grad an Selbstbestimmung. Wir als HörerInnen entscheiden, wann, wo und wie wir Podcasts konsumieren, online oder offline, wir pausieren und schalten später dazu, skippen was nicht gefällt und schneidern uns das eigene Programm nach Maß. Was nicht mehr gefällt, wird mit einem schnellen Klick entfolgt und im nächsten Moment vergessen. Ziemlich gnadenlos. Das erhöht natürlich den Druck für die ProduzentInnen, ihr Publikum jeden Moment bei Laune zu halten. Auf der anderen Seite sind Leute auch investierter bei der Entscheidung, einem Podcast zu folgen, als wenn sie durchs Fernsehen zappen. Die bewusste Entscheidung für einen Podcast ist im Grunde eine erste Vertrauensbekundung — wer dich findet und dabeibleibt, der ist involviert. Und dafür zeigen PodcasterInnen auch häufig Dankbarkeit. Die Ermächtigung der Hörenden führt entsprechend zu einem Verhältnis auf Augenhöhe. (McHugh, 2016)

4. Kopfhörer sind näher dran

Da die mobile Nutzung eine große Rolle für Podcasts spielt, gehören auch die Kopfhörer zur Grundausrüstung. Eine These lautet, dass der Konsum über Kopfhörer die Intimität verstärkt, da es eine Präsenz der Sprechenden im Raum simuliert (Berry, 2016; MacDougall, 2011). Wer dir ins Ohr flüstern darf, der steht dir nahe.

5. Identifikation mit der Nische

Da HörerInnenzahlen für den Bestand des Mediums eher unwesentlich sind (schließlich sind die Produktionskosten vergleichsweise gering), bietet das Podcast-Universum zu fast jedem erdenklichen Nischenthema eine passende Sendung. Die Downloads sind vielleicht überschaubar, aber die wenigen Fans sind eine eingeschweißte Community, die sich über ihre außergewöhnliche Vorliebe für die Sukkulentenzucht oder Gummibärenbande-Fanfiction mit den MacherInnen identifiziert. (Für ein anschauliches Beispiel: Salvati (2015) über „Hardcore History“)

So viel zur Theorie. Nun fragen wir die Zahlen*.

Ist unsere Bindung zu PodcasterInnen wirklich so eng? Für meine Masterarbeit habe ich eine Online-Befragung mit Podcast-Fans durchgeführt. Die 804 Befragten (Altersspanne: 13–64 Jahre; Altersdurchschnitt: 34,5 Jahre; 61,3 % männlich) bewerteten die Beziehung zu ihren LieblingspodcasterInnen, beantworteten Fragen zu deren persönlichen Merkmalen und Verhaltensweisen und schätzten deren Einfluss auf ihre eigenen Meinungen und Handlungen ein. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass die Intensität der Beziehung moderat ausfällt. Man baut eine Bindung zu seinen LieblingspodcasterInnen auf, doch diese fällt nicht so stark aus wie die zu „realen“ BeziehungspartnerInnen. Die Charaktermerkmale der PodcasterInnen spielen dabei wohl eher eine untergeordnete Rolle. Es scheint also kein „Rezept“ für populäre PodcasterInnen zu geben. Ob einem die einfühlsame und verständnisvolle Person oder eher der provokante, unberechenbare Typ sympathisch ist, entscheidet der persönliche Geschmack. Viel wichtiger für eine intensive parasoziale Beziehung ist stattdessen der Umgang mit den HörerInnen. Wer den Dialog mit ihnen sucht und Interesse am Publikum zeigt, der kommt auch besser an. Außerdem ergab sich aus der Studie, dass es sich manchmal lohnt, aus dem Nähkästchen zu plaudern und die HörerInnen am eigenen Leben teilhaben zu lassen. Diese Neigungen könnten den Eindruck eines „realen“ Gesprächs vermitteln, das die Illusion einer richtigen Beziehung und einer umfassenden Kenntnis über die Person verstärkt. Außerdem interessant: Wer eine enge Bindung zu seinem Lieblingspodcaster oder seiner Lieblingspodcasterin empfindet, der fühlt sich durch ihn oder sie auch mehr in seinen Einstellungen und Verhaltensweisen beeinflusst. Empfehlungen von FreundInnen nehmen wir uns nun mal mehr zu Herzen.

*Wichtig: Die Ergebnisse aus meiner Masterarbeit sind signifikant, allerdings handelt es sich nicht um eine repräsentative Abbildung der Podcast-NutzerInnen in Deutschland. Um die Erkenntnisse der Studie besser einordnen zu können, werfe einen Blick in den Ergebnisbericht. Aber in kurz: Die Befragten sind vor allem hochinvolvierte Podcast-Fans und zeigen deutliche Präferenzen für bestimmte Podcast-Genres.

Nachtrag: Viertausendhertz hat vor kurzem eine Frequenz-Episode dem Thema Podcastforschung gewidmet. Dort werden einige Studien besprochen, u.a. durfte ich von meinen Ergebnissen erzählen. Wer also keine Lust mehr auf Lesen hat, der ist hier ganz gut aufgehoben:

Und noch ein Medientipp: Der Radiosender Puls hat auf das Podcastjahr 2018 zurückgeschaut und sich gefragt, ob wir inzwischen von einem Mainstream-Medium sprechen können. Neben Spotify-Mitarbeitern und Podcastern durfte ich auch meinen Senf dazu geben und von der Studie erzählen:

Quellen

Berry, R. (2006). Will the iPod Kill the Radio Star? Profiling Podcasting as Radio. Convergence: The International Journal of Research into New Media Technologies, 12, 143–162. https://doi.org/10.1177/1354856506066522

Berry, R. (2016). Podcasting. Considering the evolution of the medium and its association with the word ‘radio’. Radio Journal: International Studies in Broadcast & Audio Media, 14, 7–22. https://doi.org/10.1386/rjao.14.1.7_1

Bottomley, A. J. (2015). Podcasting. A Decade in the Life of a “New” Audio Medium: Introduction. Journal of Radio & Audio Media, 22, 164–169. https://doi.org/10.1080/19376529.2015.1082880

Domenichini, B. (2018). Podcastnutzung in Deutschland. Media Perspektiven, 46–49. Zugriff am 18.05.2018. Verfügbar unter http://www.ard-werbung.de/fileadmin/user_upload/media-perspektiven/pdf/2018/0218_Domenichini.pdf

Horton, D. & Wohl, R. R. (1956). Mass communication and para-social interaction: Observations on intimacy at a distance. Psychiatry, 19, 215–229.

Liebers, N. & Schramm, H. (Hrsg.). (2017). 60 Jahre Forschung zu parasozialen Interaktionen und Beziehungen. Steckbriefe von 250 Studien (Rezeptionsforschung, Bd. 37, 1. Auflage). Baden-Baden: Nomos. https://doi.org/10.5771/9783845276519

MacDougall, R. C. (2011). Podcasting and Political Life. American Behavioral Scientist, 55, 714–732. https://doi.org/10.1177/0002764211406083

McHugh, S. (2016). How podcasting is changing the audio storytelling genre. Radio Journal:International Studies in Broadcast & Audio Media, 14, 65–82. https://doi.org/10.1386/rjao.14.1.65_1

Meserko, V. M. (2015). The pursuit of authenticity on Marc Maron’s WTF podcast. Continuum, 29, 796–810. https://doi.org/10.1080/10304312.2015.1073682

Salvati, A. J. (2015). Podcasting the Past. Hardcore History, Fandom, and DIY Histories. Journal of Radio & Audio Media, 22, 231–239. https://doi.org/10.1080/19376529.2015.1083375

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