Human-zentriertes Design in der verwaltungswissenschaftlichen Lehre

Ines Mergel
4 min readJul 19, 2018

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Photo credit: Rüdiger Czieschla‏ @Czieschla

Die Gestaltung öffentlicher Dienstleistungen ist zu einem wichtigen Thema im öffentlichen Sektor geworden: In Ländern wie Deutschland scheint allerdings die Zahl der Interaktionen zwischen Bürgern und der öffentlichen Verwaltungen relativ unbedeutend zu sein: Nur etwa 1,7 oder 2,7 Mal pro Jahr haben die Bürger das Bedürfnis, mit öffentlichen Verwaltung zu interagieren. Infolgedessen scheint es intern keinen erhöhten Veränderungsdruck zu geben, die Dienstleistungserbringung zu ändern. Bürger selber behaupten sogar, dass sie einem Papiernachweis mehr vertrauen als einer Online-Interaktion mit der Verwaltung. Schließlich haben sie den Beweis in der Hand, dass sie ihre Formulare zeitgerecht eingereicht haben und der Stempel auf dem Formular beweist es.

Sobald wir jedoch mit den Bürgern in einen tiefergehenden Exkurs gehen, wird deutlich, dass sie einen extremen Medienbruch zwischen ihren privaten Interaktionen im Internet, wie Online-Shopping, Social Networking usw., und ihren professionellen Interaktionen mit der öffentlichen Verwaltung erleben. Es scheint keinen Grund zu geben, warum sie ein Formular von einer Verwaltungswebsite herunterladen, es zu Hause ausdrucken, von Hand ausfüllen, zu einem Bürgerbüro gehen wo dann das Formular wiederum von einem Verwaltungsmitarbeiter elektronisch eingegeben wird.

Wir wissen auch, dass Computerprogramme in den letzten Jahren so weit fortgeschritten sind, dass sie Gesichter im Vergleich zu Menschen viel besser erkennen und dass Dateien in der Tat elektronisch sicherer sind als die einzige Papierkopie, die in einem Ordner in einem lokalen Bürgerbüro aufbewahrt wird und Platz für dringend benötigte Arbeitsplätze belegt.

Hier hat eines meiner Seminare an der Universität Konstanz gestartet: Wie können wir öffentliche Dienstleistungen gestalten, die die Bürger tatsächlich nutzen wollen und denen sie vertrauen können?

Ich habe das Seminar nach human-zentrierten Gestaltungsansätzen designt und mich mit vier Städten in Süddeutschland zusammengetan, die an der Standardisierung von 40 ihrer öffentlichen Dienstleistungen arbeiten.

Wir haben die vier Top-Prozesse für das Seminar ausgewählt. Die Städte Konstanz, Ulm, Freiburg und Friedrichshafen haben mit meinen Studenten zusammengearbeitet und ich habe die Studentenreisen mit Mitteln aus dem Transferprojekt der Universität Konstanz unterstützt.

Die Studenten haben gelernt, wie man Nutzerinterviews durchführt. Während dieser Zeit habe ich mit Martin Jordan, Leiter des Service Design, im Government Digital Service Team des britischen Kabinetts zusammengearbeitet und wir haben den Studenten beigebracht wie man user journeys erstellt.

Die Studierenden haben gelernt, dass Nutzer sowohl interne Nutzer (Beamte, die den Dienst erbringen) und externe Nutzer (Bürger oder Unternehmen) sind.

In einem ersten Schritt befragten sie die Product Owner (Fachverantwortlichen), um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie der Prozess gestaltet wurde und was mit den Daten geschieht. Sie haben daraus einen Prozesssteckbrief und ein Datenflussdiagramm abgeleitet.

Als nächstes haben sie Nutzer (Bürger in jeder Stadt) befragt und haben daraus eine user journey abgeleitet. Sie hörten Berichte über die Bedürfnisse der Nutzer gehört, die weit über den reinen Kernprozess hinausgehen und haben daraus ganzheitliche Einblicke in den Prozess sowie den Datenaustausch und die Abhängigkeiten mit anderen Abteilungen gewonnen.

Hier ist ein Beitrag von einem Mitglied eines studentischen Teams, verfügbar auf Twitter:

Ein Team hatte die Gelegenheit, eines der ersten städtischen Innovationslabore in Ulm zu besuchen (Danke an Stefan Kaufmann für seine Bereitschaft sich kurzfristig Zeit zu nehmen und die Studenten herumzuführen):

Und schließlich der Clou: Die Studenten haben für jeden Prozess Prototypen abgeleitet: Jedes Team hat die verschiedenen Arten von Daten, die sie gesammelt haben trianguliert und aus den Ergebnissen eine neue Version des Prozesses abgeleitet. Einige von ihnen entwarfen einen Prototyp mit Schere und Papier, andere bauten mock-ups mit Powerpoint, und ein Team erstellte tatsächlich eine funktionierende Website.

Habe ich erwähnt, dass es sich um Bachelor-Studenten in der Verwaltungswissenschaft handelt? Sie sind keine Programmierer, aber sie haben Erkenntnisse gewonnen, die jeder IT-Dienstleister für die Umsetzung des überarbeiteten Prozesses nutzen kann.

Schließlich haben wir die Ergebnisse den vier Städtepartnern und allen interessierten Akteuren vorgestellt, darunter Teilnehmern aus dem Innenministerium und deren IT-Dienstleistern, lokalen IT-Beratungsunternehmen und vor allem den Verwaltungsmitarbeitern der Stadt Konstanz:

Was hat dieses Seminar bewirkt?

Stolze Studenten, die jetzt wissen, dass sie für ihre BA-Thesis gut gerüstet sind (keine Kleinigkeit!). Glückliche Kooperationspartner: Zwei der Prozesse wurden bereits ausgewählt und werden mit den Vorschlägen der Studenten umgesetzt.

Ich betrachte das als einen großen Erfolg: Es gibt in der Regel keinen Transfer und keine sofortige Umsetzung von studentischen Projekten in die Verwaltungpraxis. In diesem Fall werden sich die studentischen Ergebnissen sofort auf alle Bürger in unserem Bundesland auswirken.

Wenn ich das Seminar noch einmal anbieten würde, würde ich die folgenden Punkte verbessern:

  • Kleinere Gruppen oder intensiveres Training in Teambildung und Konfliktmanagement: Den Studenten helfen zu verstehen, wie sie zu Teams werden können — schnell — und wie sie als Team Entscheidungen treffen können.
  • Externe Finanzierung finden — ich würde mich nicht wieder um eine interne Finanzierung bemühen und die damit verbundene Mehrarbeit in Kaufnehmen (Abrechnung, etc.). Jetzt wo wir Resultate vorzeigen können, sollte es möglich sein, dass die Städtepartner den Mehrwert erkennen und Mittel für Reisekosten bereitstellen — oder alternativ: wir bleiben nur lokal.

Insgesamt hat es sich sehr gelohnt!

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Ines Mergel

Professorin für Public Administration @unikonstanz | Digitale Transformation & Innovation in der öffentlichen Verwaltung