Gesucht wird ein intelligenter Interessen-Feed, statt nervendes Social-Media-Gedöns!

Tobias Schwarz
5 min readOct 12, 2015

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Auf Facebook und Twitter “aufzuräumen”, kann glücklich machen (Image: Junpinzon, via PicsaStock)

Machen wir uns nichts vor, wir sind alle unterschiedlich. Die Gemeinsamkeit, etwas mit Medien zu machen, oder auf diversen Social-Media-Diensten aktiv zu sein, hat rein gar nichts damit zu tun, ob wir uns wirklich für die gleichen Sachen interessieren. Ein neuer Blogging-Trend oder der nächste App-Hype interessiert mich höchstens aus beruflichen Gründen.

Mit meinen wahren Interessen — Literatur von Hermann Hesse oder Jack Kerouac, Architektur von Festungen und Burgen, die Renaissance oder The Libertines — hat das alles gar nichts zu tun und im Grunde interessieren sich meine Follower und sogenannten Freunde auf Twitter und Facebook überhaupt nicht dafür. Die haben andere Interessen, die mich nicht interessieren, was schon bei den vielen falschen Fußballvereinen anfängt, für die sich diese Leute interessieren.

Twitter und Facebook, eigentlich alle sozialen Netzwerke, haben nichts mit unserer persönlichen, sozialen Realität zu tun. Wegen einem Aspekt, meist aufgrund der Arbeit, sind wir mit diesen Menschen in Kontakt und müssen nun ihre sämtlichen anderen Interessen ertragen. Für meine Follower gilt das natürlich genauso, die ich wiederum mit meinen Interessen belagere.

Über die Ab- und Wiederanmeldung auf Facebook

Im Mai habe ich mich deshalb auf Facebook abgemeldet, ungefähr fünf Minuten vorm Schlafen gehen und ohne zu zögern. Ich teilte dort sowieso nur noch Content aus beruflichen Gründen, meine Freunde waren da zum größten Teil nicht mal angemeldet und wenn, dann nicht aktiv und überhaupt via Messenger wesentlich besser zu erreichen.

Inzwischen sprechen mich Leute darauf an, warum ich denn nichts mehr auf Facebook mache oder ob ich sie entfolgt habe, wir also in der Logik von Facebook keine Freunde mehr sind. Dass ich mich einfach nur abgemeldet habe, kam bisher keinem in den Sinn und wenn, dann wurde ich auf diese Option nicht angesprochen.

Inzwischen musste ich mich wieder bei Facebook anmelden, denn als Trauzeuge bekam ich eine Liste mit Gästen für einen Junggesellenabschied, auf der sich allerdings nur hinter vier der vierundzwanzig Namen eine Mailadresse befand. Den Rest finde ich auf Facebook, teilte mir der Bräutigam mit. Er selber habe von den meisten Leuten sowieso keine Mailadresse.

Außerdem muss ich auch die Facebook-Aktivitäten der Netzpiloten und unserer anderen Blogs persönlich im Blick behalten, auch wenn meine Kollegen unseren Content vor allem via Buffer teilen. Mit einem Konto auf Facebook geht das nun einmal besser.

Trotzdem nutze ich Facebook nicht mehr wie früher oder wie es Facebook gerne hätte. Inzwischen bin ich zwar bereits wieder mit 179 meiner ehemaligen über 900 Kontakte auf Facebook vernetzt, adde ich aber einen neuen Kontakt, stelle ich sofort ein, dass mir keine Inhalte von dieser Person angezeigt werden. Das habe ich mit allen Kontakten gemacht und da ich selber nichts mehr auf Facebook veröffentliche, ist meine Wall angenehm leer.

Einzig und allein den Messenger von Facebook habe ich in meiner Abwesenheit etwas vermisst, denn in Kombination mit WhatsApp und Slack kommuniziere ich so mit Freunden, meiner Familie, Bekannten und Kontakten. Und wenn mir darüber jemand etwas schickt, interessiert es mich eigentlich auch immer.

Twitter: Unfollow all

Letzte Woche las ich im Blog von Steffen Peschel über eine Chrome-Erweiterung, mit der man alle Twitter-Nutzer, denen man folgt, auf einmal entfolgen kann. Peschel wendete den Dienst auch gleich mal an und entfolgte alle seine Kontakte auf Twitter.

Den Grund können wahrscheinlich die meisten Twitter-Nutzer nachvollziehen: “Die Timeline war voll mit Tweets, die mich eigentlich gerade nicht interessierten. Und da war er plötzlich, der Gedanke die Timeline nicht einfach nur wieder etwas zu entschlacken, sondern noch einmal komplett von vorn anzufangen. Einmal allen zu entfolgen, von Null zu starten und wieder neu den Menschen zu folgen, von denen ich denke, dass sie mir heute auch noch was zu erzählen haben.

Und wieder entschloss ich mich kurzfristig, es Peschel gleich zu tun. Bereits im Sommer hatte ich meine Twitter-Timeline in mühseliger Handarbeit auf rund 1.100 Menschen halbiert und diejenigen, denen ich nicht mehr folgte, in Listen organisiert. Jetzt entfolgte ich auch den Rest und fing an, mir meine Timeline neu zu organisieren. Übrigens entfolgten mich daraufhin nur rund 20 Folgst-du-mir-nicht-folge-ich-dir-auch-nicht-Beleidigte.

Ich folgte zuerst den Twitter-Nutzern, mit denen ich in den letzten zwei Monaten Direktnachrichten ausgetauscht hatte. Dann folgte ich Personen und Medien, die mir sofort als wertvolle Timeline-Kontakte in den Sinn kamen. In den letzten Tagen addete ich dann Nutzer, die mir etwas verspätet in den Sinn kamen.

Inzwischen folge ich wieder 82 Twitter-Konten und muss sagen, dass ein Blick in meine sich nicht sekündlich verändernde Timeline wertvoller geworden ist. Wenn ich einen Artikel finde, ist er es auch wirklich wert gelesen zu werden. Twitter machte mir unverändert zum Senden viel Spaß, inzwischen lese ich hier auch gerne wieder.

Zwar geht es noch immer nicht vorrangig um Literatur von Hermann Hesse oder Jack Kerouac, Architektur von Festungen und Burgen, die Renaissance oder The Libertines, aber das liegt vielleicht auch an der Plattform oder den Konten, denen ich bisher folge. Zumindest für beruflich relevante Themen hat sich eine unmittelbare Verbesserung eingestellt.

Was uns interessiert, ist für uns wertvoller als das, was andere interessiert (Image: Junpinzon, via PicsaStock)

Das soziale Web ist tot, es lebe der Interessen-Feed!

Ian C. Rogers hat seine sozialen Netzwerke bereits vor zwei Jahren aufgeräumt und dies ist jetzt mit den aktuellen Dienste, die er nutzt, wiederholt. Die beiden Artikel — “Why I unfollowed you on Twitter” und “Why I unfollowed you on Instagram” – sind, auch wenn es um mehr als die beiden in den Überschriften erwähnten Dienste geht, interessante Kommentare zur Nutzung sozialer Netzwerke.

Statt einem weiteren sozialen Netzwerk wünscht er sich einen intelligenten Interessen-Feed, der auch wirklich nur das anzeigt, was ihn auch wirklich interessiert, kuratiert von Personen, denen er vertraut. Dieser Content muss nicht nach Thema oder Medium sortiert sein, sondern sollte nach der Wahrscheinlichkeit, dass er diese Inhalte wirklich sehen will, bestimmt sein.

Dieser Interessen-Feed sollte seine Interessen wirklich kennen, man muss den Kuratoren oder anderen Nutzern nicht folgen, sie kennen oder mit ihnen kommunizieren müssen, trotzdem sollte man mit einer Art Whitelist einstellen können, welchen Kuratoren man sein Vertrauen schenkt. Eine schöne Wunschliste von Rogers, den meiner Meinung nach noch kein Dienst, nicht einmal das immer noch sehr geniale RSS, erfüllt. Schade.

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Tobias Schwarz

Tobias Schwarz, who was born and raised in Magdeburg, is Coworking Manager of the St. Oberholz in Berlin and Editor-at-Large for Netzpiloten.de.