Journalismus ist nicht schön. Schade, Blendle.

Tobias Schwarz
2 min readSep 20, 2015
Image: J Dub, CC BY 2.0

Anfang des Jahres ging ich an einer Buchhandlung in Berlin-Mitte vorbei und entdeckte ein mir unbekanntes Buch von Jerome D. Salinger — “Die jungen Leute”. Es ist eine zweiundvierzigseitige Sammlung von drei bisher nicht auf Deutsch veröffentlichten Kurzgeschichten. Preis 14,99 Euro. Die Geschichten sind unterhaltsam, zeigen einen frühen Salinger, noch nicht den von “Franny and Zooey”, trotzdem musste ich kurz über den Preis und sein Verhältnis zur Ware nachdenken.

Fast 15 Euro für nur 42 Seiten, die sich viel zu schnell durchlesen ließen, erschienen mir kurz wie kein gutes Angebot. Für die Ausgabe von “Der stille Don” aus dem Jahr 1967 zahlte ich vor ein paar Jahren keine 20 Euro und dabei handelt es sich um mehr als 1.800 Seiten russische Literatur. Scholochow ist wirklich nichts für kurz angebundene Gemüter, aber damals war ich auch noch nicht so oft online wie heute. Ich brauchte trotzdem rund zwei Jahre für sein Werk.

Warum schreibe ich über Literatur, wenn der Titel des Beitrags wie ein Rant über den neuen Liebling der deutschen Presseverlage klingt? Ich glaube, dass Blendle auf das falsche Pferd setzt — Literatur statt Journalismus wäre wohl die klügere Wahl gewesen. Denn langfristig hat der deutschsprachige Journalismus nicht die gleiche Qualität wie ein Essay oder eine Kurzgeschichte, für die ich, im Gegensatz zu Informationen, offensichtlich immer noch sehr viel Geld ausgeben würde.

Was Verlage bei Blendle anbieten ist das Geld nicht wert. Es sind nur Informationen. Ich habe in den letzten fünf Jahren bei höchstens fünf Artikeln gedacht (davon waren noch nicht einmal alle auf Deutsch), dass ich diese noch einmal lesen möchte, und vielleicht noch einmal, sie mir sogar ausdrucken könnte und wohl behütet aufheben würde. Journalismus ist selten schön und leider gehörte Qualität zu den ersten Opfern der vielen Einsparungen in Redaktionen. In Schönheit wird der Journalismus sicherlich nicht sterben (er wird sowieso überhaupt nicht sterben).

Um aber einen Artikel anbieten zu können, denn man ähnlich wie ein Lied besitzen und konsumieren möchte, wodurch auch Blendle dem eigentlich sehr unpassenden Vergleich als “iTunes für Journalismus” etwas gerechter werden würde, müssten die Verlage Content neu gestalten. Am besten von Autoren und nicht meldungsverliebten Journalisten verfassen lassen. Das kostet aber Geld und ich sehe es nicht kommen, dass Verlage diesen Schwenk machen. Sie werden bei Blendle einfach das alles abladen, was sie sowieso an Inhalten haben.

Es mag Geschmackssache sein, wann ein Artikel als sein Geld wert betrachtet wird. Die bisherigen Beiträge der Verlage sind es meiner Meinung nach nicht. Wer das anders sieht, möge bitte einen gekauften Artikel noch einmal in einem Monat, in drei und in sechs Monaten lesen und für sich bewerten, ob dieser Beitrag immer noch sein Geld wert war, ob man diesen Artikel immer noch aufheben muss oder ob das nur Journalismus war und jetzt weg kann.

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Tobias Schwarz

Tobias Schwarz, who was born and raised in Magdeburg, is Coworking Manager of the St. Oberholz in Berlin and Editor-at-Large for Netzpiloten.de.