Das Prinzip Fiktion im Kontext des Politischen

Jörg Ossenkopp
2 min readJul 25, 2022

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Auch im Kontext des Politischen setzt das Prinzip Fiktion allererst einen Unterschied zwischen dem fiktionalen Unbegrenzten und dem empirischen Begrenzten. Wobei das Unbegrenzte eben nur ein anderer Name für Fiktion mit all ihrer Vielgestaltigkeit ist. Der erste Unterschied, der überhaupt gesetzt wird, ist der zwischen dem Unbegrenzten und jenem, was vom Unbegrenzten erzeugt wird, nämlich dem Begrenzten mit konkreter Gestalt. Das Unbegrenzte allein ermöglicht keine Unterschiedssetzung, weil das bereits eine Begrenztheit des Unbegrenzten implizierte. Erst mit der Erzeugung des Begrenzten werden Unterschiede überhaupt möglich.

Hier bereits greift die Denkfigur von Meister Eckhart: das Begrenzte als ex arches oder Prinzipiatum setzt das Umbegrenzte als unterscheidbares. Das Unbegrenzte ist der Bereich des anfänglich Erzeugenden, des Prinzips, der Fiktion selbst; das Begrenzte ist der Bereich des Erzeugten, des Prinzipiatums, der empirischen Ausformung des Politischen.

Im Kontext des Politischen heißt das, es wird die Grenze zwischen dem gesetzt, was politikfähig ist und dem, was nicht. Das, was nicht politikfähig ist, bleibt das, aus dem heraus die Grenzziehung in Frage gestellt wird und aus dem heraus in besonderem Maße Veränderungen geschehen. Die Grenzsetzung zwischen dem Politikfähigen und dem nicht Politikfähigen ist bereits eine Grenzsetzung, die nach dem Kriterium der Gerechtigkeit beurteilt wird, und die einer Ordnung der Zeit unterworfen ist.

Die Bibel zum Beispiel als Fiktion bringt immer wieder neue politische Ordnungen hervor, oder empirische Modifikationen politischer Ordnungen. Dieser Prozess ist alles andere als abgeschlossen, wie die Evangelikalen in den USA zeigen, deren Bibelinterpretation als Verifikationsstil dazu führte, dass der Supreme Court das Selbstbestimmungsrecht schwangerer Frauen dieser Tage stark eingeschränkt hat.

Übermaß ist gleichzeitig ungerecht und unausweichlich und schuldhaft, Gerechtigkeit wird wieder hergestellt durch ein Wiederaufgehen im Unbegrenzten. Die Unausweichlichkeit der Ungerechtigkeit und der darauffolgenden Zerstörung der konkreten Ausformung des Politischen bedingt die grundlegende Tragik alles Politischen. Das Politische ist grundsätzlich dynamisch, es gibt kein Ende der Geschichte und auch keine Homöostatik des Friedens am Ende des kosmopolitischen Prozesses. Die Ordnung der Zeit ist die eines Anfangs, eines Mittelteils mit Peripetie und einem Ende. Alles Politische hat einen Anfang, einen Mittelteil mit Zeitenwende und ein Ende.

Inwieweit diese Zyklen miteinander zusammenhängen oder inwieweit dann jeder Zusammenhang und jegliche Kontinuität durch eine Zeitenwende aufgelöst wird, das ist nicht klar. Zum Beispiel dass es Fortschritt gibt, das ist eine starke These, die impliziert dass etwas einen Zyklus überdauert, gegen die jedoch ein erstes Verständnis der Ordnung der Zeit spricht. Bei alledem ist es nicht beliebig, was die Fiktion besagt, wie demzufolge genau die Verteilung von Politikfähigkeit und Nicht-Politikfähigkeit ausgestaltet ist. Je mehr Übermaß in der gemeinschaftsstiftenden Fiktion angelegt ist, desto eher muss sich die zerstörende Wirkung der Gerechtigkeit zeigen. Eine Gemeinschaft zum Beispiel, die durch eine rassistische Fiktion gestiftet wird, ist besonders instabil. Meine These wäre, dass sich das Übermaß aufbläst durch mangelnde Übereinstimmung und sich reduziert durch gute Passung mit den Prinzipien Erde und Sonne.

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Jörg Ossenkopp

Philosopher and Techie, interested in values and leadership