Der Film „Planetary“ (2015). Ein Review.

Jörg Ossenkopp
4 min readSep 3, 2021

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Der Dokumentarfilm „Planetary“ (2015) von Guy Reid verbindet dreierlei: eine Beschreibung mit einer Analyse und beide wiederum mit einem Vorschlag. Die Beschreibung ist am Ende besser gelungen als die Analyse sowie die Ausformulierung des Vorschlags.

Beschrieben wird zunächst der „Overview Effect“. Sequenzen aus der Geschichte der Raumfahrt, vom Start der Rakete Apollo 11 und der Mondbegehung durch Armstrong und Aldrin, aus der ISS und von der Space Shuttle Discovery, die die Erde „im Überblick“ zeigen, begleiten kurze Ausführungen von Astronauten wie Mae Jemisin und Ron Garan. Beides verdeutlicht bildlich und diskursiv, wie der Overview-Effekt entsteht und wirkt.

Dokumentiert war dieser Effekt von Anfang der bemannten Raumfahrt an, bereits der erste Mensch im Weltraum, Jurij Gagarin, berichtete davon. Die Kombination aus Schwerelosigkeit, der Einzigartigkeit der Situation, des vormals Ungesehenen daran, doch auch die Wirkung dessen, was man sieht, die Kugelform der Erde mit dem Schimmer der 100km Atmosphäre, die plötzlich dünn und fragil und gleichzeitig sehr schützenswert erscheinen, und vorher immer riesengroß und unverletzbar, dies macht den Overview-Effekt aus.

Vor kurzem (und damit natürlich nicht im Film gezeigt) vergrößerte sich die Anzahl der Zeugen des Overview-Effekts zum ersten Mal durch Privatpersonen, die nicht mehr mithilfe staatlicher Organisationen in das Weltall gelangten. Unter ihnen der Amazon-Eigner Jeff Bezos, der wie genauso viele andere berichtet von der Fragilität und dem Bedürfnis zu schützen sobald der eigene Blick aus 100km Höhe über die blaues Licht brechende Biosphäre schweift. Das Bedürfnis zu schützen steht in einem Widerspruch zu vielen unserer Praktiken. Dies verdeutlicht der starke Kontrast im Falle von Jeff Bezos, dem einerseits mit Amazon Web Services die Infrastruktur für das halbe Internet gehört, und in dessen Lagern schlechte Arbeitsbedingungen herrschen, der somit exemplarisch für die gegenwärtige Wirtschaftsordnung steht, die durch zu wenig Nachhaltigkeit die Biosphäre bedroht. Andererseits betont er eben auch die Fragilität und die Notwendigkeit von „care“ für den „einzigen guten“ Planeten, den wir haben. Die interviewten Astronauten bezeugten darüber hinaus mit eigenen Augen gesehen zu haben, dass industrielle Luftverschmutzung in manchen Gegenden der Welt aus dem Orbit zu sehen ist, genauso der Rauch von flächendeckenden Rodungsbränden.

In „Planetary“ beeindrucken Filmmusik und Bilder, und sie lassen eine Vorstellung entstehen, wie sich der Overview-Effekt anfühlt. Mehr noch, durch die Betonung der Fragilität und der Schutzbedürftigkeit sowie der letztendlich für das Schützen nötigen Verhaltensänderung wird der Overview-Effekt in die Nähe einer persönlichen, moralischen Konversionserfahrung gerückt.

Die Analyse in „Planetary“ ist in der Folge auch sehr auf das Persönliche ausgerichtet. Der Tenor ist dieser: In unserer weltumspannenden individualistischen Kultur sind wir entgegen unserer eigenen Natur zu sehr losgelöst und getrennt vom Rest der Natur, von den Pflanzen und Tieren außerhalb des urbanen Raums und von anderen Menschen, die genauso wie wir selbst im Kern, unter ihrer urbanen Schale Natur sind. Zumindest die Idee, dass wir alle indigen sind, dass auch die Berliner oder die Niedersachsen oder Uckermärker genauso wie die Hopi ein Naturvolk seien, der ist interessant, weil er die klassische Abwertung von Naturvölkern umkehrt.

Die Idee, dass die Bedrohung unserer Biosphäre auf den oder die Einzelne zurückzuführen ist und auf sein oder ihr Verhältnis zur Natur, die fällt jedoch unter die eigene Kritik: das ist zu individualistisch gedacht, das verkennt, dass hier das Zerstörerische größer ist als die Summe der Individuen.

Und aus der Analyse ergibt sich dann auch der Vorschlag, was es jetzt zu tun gilt. Staunen und meditieren, das ist der Vorschlag.

Staunen, thaumazein, ist Anfang oder Prinzip, arché, der Philosophie, sagt Platon im Theaitetos. Wenn das heißt, dass ein verantwortliches und Sorge tragendes, schützendes Verhältnis zur Biosphäre die gleiche Wurzel hat wie die Philosophie, so kann daran eigentlich nichts falsch sein. Die richtige Grundlage ist entscheidend. Nur muss man konstatieren, dass die Dokumentation dazu dann Bilder liefert von der Schönheit des Planeten Erde, die man bestaunen kann, die vielleicht vom Staunen über die Schönheit der Erde selbst ablenken und die trotz allem nicht den gleichen Wert haben wie zum Beispiel eine Beschäftigung mit den Texten Platons. Der Film nimmt im schlimmsten Fall eine Ersatzstellung ein für das Staunen und würde damit eine konsumistische Sackgasse werden (eine, die ich selbst mir auf Amazon Prime angeschaut habe). Anders ausgedrückt: Staunen ist wichtig, nicht ohne Grund steht es aber ganz am Anfang und genügt noch nicht als ausgearbeitete Antwort auf das Bedürfnis und die Bedürftigkeit, auf das Geben und Nehmen, von Schutz und care, die sich beide im Overview-Effekt so eindrucksvoll zeigen.

In „Planetary“ kommen nicht nur Astronauten, Physiker und Philosophen zu Wort, sondern auch viele Buddhisten. Der zweite Teil des Vorschlags, was zu tun ist, besteht dementsprechend in Meditation. Der Film selbst kommt als eine cineastische Meditation daher, durch die ruhigen Schnitte und die getragene Musik. Meditation löst die Illusion auf, man sei ein selbstgenügsames Individuum. Das bewußte Atmen kann verstanden werden als das Eingehen einer physiologischen Verbindung zu allen Pflanzen und Bakterien, die den Sauerstoff in unserer Biosphäre in den letzten 3 Mrd. Jahren erzeugt haben. Aber genau das ist die Frage: Meditation wird insbesondere gern von Leuten betrieben, die Führungspositionen auch in nicht nachhaltig wirtschaftenden Unternehmen inne haben. Meditation per se macht da keinen signifikanten Unterschied für das, was mit dem Overview-Effekt aufgezeigt wurde. Meditation kann auch sehr unterschiedliche Inhalte haben, christliche Meditation sieht anders aus als buddhistische, die wiederum anders als kartesische und es gibt auch dezidiert atheistische Meditation. Wahrscheinlich ist eine Meditation als Vorschlag am sinnvollsten, die eng an dem bleibt, was der Film selbst macht und weniger an dem, was er sagt; eine planetarische Meditation.

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Jörg Ossenkopp

Philosopher and Techie, interested in values and leadership